Da steht man an der Tankstelle, hat knapp 60 Liter Diesel frisch gezapft, möchte bezahlen, gibt dem Verkäufer durch den Nachtschalter die Karte – und wird nach drinnen gebeten. „Das ist ein wenig blöde mit dem
Rollstuhl, kommen Sie doch bitte rein.“
Das war ja noch nie da. Bevor ich diskutiere, rolle ich zur Tür. Er kommt von innen zur Tür, öffnet sie, lässt mich rein. Die Tür schließt sich hinter mir, ein deutliches vernehmbares „Klack“ lässt mich realisieren, dass ich ohne seine Hilfe hier nicht wieder raus komme. Der Verkaufsraum ist recht groß, bis auf den Nachtschalter spärlich beleuchtet. Irgendwie wird mir gerade etwas mulmig. „Ich würde Sie bitten, mit mir hier kurz auf die Polizei zu warten.“ – „Was?!“ – „Ja, erkläre ich Ihnen gleich.“
„Nee, das erklären Sie mir jetzt. Sie halten mich nicht ohne Grund fest.“ – „Bleiben Sie mal ganz ruhig. Ich rufe jetzt die Polizei und dann sehen wir weiter.“ – „Warum wollen Sie die Polizei rufen? Was habe ich falsch gemacht?“ – „Die Karte, die Sie mir eben gegeben haben, ist gestohlen und zum Einzug vorgesehen. Ich habe keine Wahl und muss die Polizei rufen.“ – „Das ist meine Karte. Hier ist mein Personalausweis, vergleichen Sie das.“
Immerhin lässt er mit sich verhandeln. Er nimmt meinen Ausweis. – „Haben Sie die Karte als gestohlen gemeldet?“ – „Nein.“ – „Das ist mir alles nicht geheuer, woher soll ich wissen, dass Sie nicht die Karte als gestohlen gemeldet haben, um später behaupten zu können, Sie hätten damit nicht bezahlt?“ – „Weil ich das nicht nötig habe?! Ich tanke hier regelmäßig, meine Bilder sind auf der Videoüberwachung, ich fahre im Rollstuhl, bin also auffällig und leicht wiedererkennbar. Da drehe ich doch nicht so ein Ding.“ – „Haben Sie genug Geld dabei, um das bar zu bezahlen?“ – „Ich muss schauen, vielleicht. Ja, habe ich.“ – „Noch verdächtiger. Warum zahlen Sie dann mit Karte?“ – „Das ist doch meine freie Entscheidung.“ – „Es ist merkwürdig.“ – „Wie Sie meinen.“ – „Ich rufe jetzt die Polizei. Dann sehen wir weiter. Wenn Sie nichts angestellt haben, haben Sie ja auch nichts zu befürchten.“
Super. Irgendwann werde ich Mitglied in dem Verein. Keine drei Minuten später fährt ein Streifenwagen auf das Tankstellengelände. Zum Glück ohne Lalülala. Ich bin erstaunlich ruhig und denke: ‚Hier steht die Verbrecherin, kommen Sie ruhig näher. Am besten nehmen Sie mich heute Nacht mit in die Zelle, weil die Bank erst morgen früh erklären kann, warum sie meine Karte sperrt.‘
Sozialfälle sind bei der Polizei Frauensache. „Mach du das mal“, sagt der männliche Polizist zu seiner Kollegin vor der Glastür. Deutlich hörbar. Der Verkäufer öffnet die Tür, die beiden treten ein. Der Mann bleibt an der Tür stehen, die Frau fragt, was denn los sei. Der Mitarbeiter holt meine Karte und den Bon. Auf dem steht: „Karte gestohlen, sofort einziehen.“ – Er sei verpflichtet, dann die Polizei zu rufen, das stehe in seinen Dienstanweisungen. Die Polizistin fragt mich: „Darf ich dann erstmal Ihren Ausweis sehen?“
„Den hat er schon“, antworte ich und deute auf den Verkäufer. Sie guckt sich das alles an und sagt: „So, der Name stimmt ja überein, warum zahlen Sie mit einer als gestohlen gemeldeten Kreditkarte? Bevor Sie was sagen: Da steht ja nun möglicherweise eine Straftat im Raum, denn wenn Sie die Karte als gestohlen gemeldet haben und hinterher damit bezahlen, könnten Sie in der Absicht gehandelt haben, die Kreditkartengesellschaft zu betrügen. Sie müssen sich vor der Polizei also zu der Sache nicht äußern, wenn Sie das nicht möchten.“ – „Ich habe
die Karte nicht als gestohlen gemeldet.“ – „Das ist alles, was Sie dazu zu sagen haben?“
Ich zucke mit den Schultern und nicke. Die Polizistin sagt: „Das überzeugt mich nicht. Wissen Sie, wie viele Leute sowas machen und sich dabei sehr schlau vorkommen?“ – „Nein, das weiß ich nicht. Ich habe sowas nicht gemacht, komme auch nicht auf solche Ideen und komme mir auch gerade ziemlich blöd vor. Ich denke, dass sich das bei einem Gespräch mit der Bank aufklären wird.“ – „Mein Kollege prüft gerade mal ab, ob Sie schon öfter mit solcher Sache aufgefallen sind.“ – „Dann hätte ich bestimmt noch eine auf meinen Namen ausgestellte Kreditkarte.“
– „Sie geben es also zu?“ – „Was gebe ich zu?“ – „Dass Sie es heute zum ersten Mal gemacht haben?“ – „Verdrehen Sie mir bitte nicht das Wort im Mund.“ – „Werden Sie bitte nicht frech. Was machen Sie beruflich?“ – „Ich bin Studentin.“ – „Studentin? Also knapp bei Kasse, oder? Und dann für 80 Euro tanken, das ist schon viel Geld.“ – „Sie fragen mir etwas zu einseitig. Sie belasten mich. Dass die Bank eventuell einen Fehler gemacht haben könnte, ziehen Sie gar nicht in Betracht.“ – „Es gibt sowas wie eine kriminalistische Erfahrung. Die Wahrscheinlichkeit sagt mir, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Bank sich irrt. Und Sie verhalten sich einfach verdächtig. Ist das Ihre Geldbörse da auf dem Schoß? Darf ich mal bitte?“
Bevor ich was sagen kann, greift die Polizistin zu und durchsucht mein Portmonee. In Ordnung finde ich das nicht, aber finden wird sie auch nichts. „Ah, noch mehr Kreditkarten. Wollen wir mal ausprobieren, ob die auch gesperrt sind?“ – „Nö“, antworte ich. Ich glaube auch nicht, dass ich das muss. Ich weiß auch nicht, was daran nun verdächtig oder unverdächtig sein soll, das ist ein Kartendoppel meiner Hausbank und zu einem Kartendoppel gehören, wie der Name schon sagt, immer zwei Karten. Nachdem die Abfrage über Funk nichts gebracht hat und in meinem Portmonee weder Rauschgift noch andere verbotene Dinge sind, fragt die Polizistin, ob ich damit einverstanden bin, dass sie die anderen Karten sicherstellt. Ich sage, dass ich nicht damit einverstanden bin. „Sie wissen aber, was passiert, wenn Sie heute Nacht noch woanders mit einer weiteren als gestohlen gemeldeten Karte zahlen, ja?“ – Den blöden Spruch, dass ja nun der Tank voll ist, spare ich mir natürlich. Ich darf
nach einer umfangreichen Belehrung nach Hause.
Frank meinte zu Hause gleich: „Das darf doch nicht wahr sein. Dich kann man nirgendwo alleine hin lassen.“ – „Na vielen Dank.“ – „War die Karte abgelaufen am 31.03.?“ – „Nein, die war noch über drei Jahre gültig.“ – „Und wer hat die jetzt?“ – „Die Polizei.“
Am nächsten Morgen rief ich nicht an, sondern fuhr gleich persönlich zu meiner Bank. Auf die Ausrede war ich nun wirklich gespannt. Wenn die Nummer vielleicht abgefischt worden war und man die Karte sperrt – aber dann gleich als gestohlen „zur Fahndung“ ausschreiben? Man bräuchte mich ja einfach nur anrufen. Die Filiale wurde geöffnet, ich rollte rein. Am Empfang bat ich darum, mit meiner Beraterin sprechen zu dürfen. Die sei heute nicht im Hause. Ich erzählte kurz, in Hörweite stand eine Frau mit einem Becher Tee in der Hand, es war die Chefin der Filiale, sie bat mich in ihr Büro.
Sie sagte, sie habe gestern einen Anruf bekommen, dass mir meine Handtasche mit allen Karten, Handy, Schlüssel geraubt worden sein soll. „Eine aufgeregte Frau war am Telefon. Sie war von der Zentrale durchgestellt worden. Sie konnte mir Geburtstag, Geburtsort und die aktuelle Anschrift nennen. Ich habe nach dem Gespräch auf dem Handy zurückgerufen unter der bei uns gespeicherten Nummer, dort ging niemand dran. Ja, es kam mir komisch vor, weil ich auch nach dem ungefähren Kontostand gefragt habe, einfach zur Plausibilitätskontrolle, und diejenige so aufgeregt war, dass sie gar keine Antwort wusste. Sie wusste auch keine Karten- oder Kontonummer. Sie könne sich Zahlen schlecht merken. Aber es war eine aufgeregte Frau, sie wollte keine Auskünfte, sie wollte nur verhindert wissen, dass die Leute, die die Handtasche gestohlen hätten, jetzt mit den Karten zahlen könnten. Da habe ich abgewogen und mich entschieden, die Karten sicherheitshalber zu sperren. Wäre der Anruf echt gewesen und ich hätte nicht gehandelt, wäre es auch verkehrt gewesen. Ich musste mich entscheiden und habe mich
nun offenbar falsch entschieden – will Sie jemand ärgern? Wer macht sowas? Haben Sie eine Idee?“
Ja, die hatte ich. Die Idee. Dass das jemand war, der mich über meinen Blog kennt, hielt ich für eher unwahrscheinlich. Aber über meine Mutter musste ich mir mal wieder Gedanken machen. Ich war kaum aus der Bank raus, da rief mich eine Mitarbeiterin meines Sportvereins an. Man habe gestern einen Anruf bekommen, bei dem eine Frau sich als Mitarbeiterin eines Sportverbandes ausgab und meinen Namen im Zusammenhang mit einer falschen Adresse nannte. „Wir konnten Frau … unter dieser Anschrift nicht erreichen, die Post ist wieder zurück gekommen.“ – Selbstverständlich habe man keine „aktuelle“ Anschrift rausgegeben, sondern um eine Anfrage per Mail gebeten. Nicht zuletzt, weil ein entsprechender Hinweis im System hinterlegt sei.
Keine Frage, bei irgendeinem solcher Anrufe muss sie meine Anschrift herausbekommen haben, denn die Bankberaterin sagte ja, dass sie die korrekte Anschrift in dem Gespräch genannt hat. Und es wundert damit auch niemanden mehr, dass sie ab 14 Uhr bei mir vor der Tür stand. Nicht reingelassen wurde, draußen Terror machte. Sofie rollte nach unten, versuchte, mit ihr zu reden. Nichts zu machen. Es gibt noch immer einen Gerichtsbeschluss, der ihr die Kontaktaufnahme verbietet. Frank rief die Polizei, die Polizei brachte sie nach Hause, zwei Stunden später stand sie wieder unten und machte Terror. Fünf fettige Pizzen hatte ich auch an der Haustür. Vermutlich kommen als nächtes ein paar Katalogartikel. Marie hat mir bereits angeboten, ein paar Tage bei ihr zu schlafen. Bisher war das noch nicht nötig. Aber man weiß ja nicht, was hier noch so alles passiert. Nein, es wird nie langweilig. Und es passiert noch was, das ist so sicher wie der Gestank meiner Socke.