Zurück aus Hannover: Der zweite Teil des Trainings-Camps
ist geschafft. Wieder ging es am Samstagmorgen mit dem ICE in Höchstgeschwindigkeit nach Niedersachsen, wieder haben wir unsere Zimmer
bezogen, wieder in der gleichen Aufteilung, wieder sollten wir draußen schwimmen … WHAT?!
Der Himmel war bewölkt, draußen waren 16 Grad, es regnete immer mal wieder und der Wind war eher kalt, so dass ich mir schon einen Fleece-Pullover über mein T-Shirt gezogen hatte. Wer war denn auf diese Idee gekommen? Ich wollte bei der Besprechung in der Sporthalle nicht als einzige großen Alarm machen und wunderte mich, warum Cathleen oder Simone nicht widersprachen, als es hieß, wir wiederholen den Schwimmkurs
von vor zwei Wochen. Hinterher wusste ich es: Die Ausschreibung, in der
stand, dass der Neoprenanzug mitgebracht werden sollte, habe ich nicht bekommen.
Aber selbst wenn: So etwas habe ich nicht und hatte ich auch noch nie
besessen. Es ist sicher nicht ungewöhnlich, dass man so etwas bei Wettkämpfen oder bei Schwimmtraining draußen trägt, gerade wenn man kaum
Durchblutung in den Beinen hat, diese auch nicht bewegt und man daher schnell auskühlt. Aber ich wüsste nicht einmal, welche Größe ich bräuchte, geschweige denn, worauf ich beim Kauf achten müsste. Die faule
Stinkesocke liebäugelte also schon damit, dass sie anderweitig bespaßt werden würde, hatte aber die Rechnung nicht mit einer Segelschule am See
gemacht, die solche Dinger verleiht und bereits einen ganzen Karton in die Halle gestellt hatte.
Insgesamt waren drei Leute dabei, die so etwas leihen mussten und zu unserem Glück waren unsere Größen vorrätig. Größe 38 ist allerdings auch
nicht so ungewöhnlich. Ich hatte noch nie in meinem Leben so ein Ding an. Ich fand schonmal, dass es ziemlich eklig roch, nach Gummi halt, und
dass es ziemlich schwer war, dort hineinzukommen. Auf der Erde liegend und mit Cathleens Hilfe schaffte ich das aber. Jetzt nur noch in dem Ding zum Steg kommen! Meine Güte, sahen wir bescheuert aus. Rund 30 Rollstuhlfahrer in Gummianzügen fahren 50 Meter über einen Wanderweg zu einem Steg. Etliche Spaziergänger blieben stehen und schauten sich das Spektakel an. Ich kam mir vor wie eine Pellwurst auf Rädern.
Am Steg nebenan wurde ein großes Ruderboot aus dem Wasser gehoben. Die Ruderer blickten auch ziemlich fragend aus der Wäsche, als sie uns sahen. Wir mussten uns nun erstmal vom Rollstuhl auf den Steg setzen, während die Rollstühle wieder in die Halle gebracht wurden, damit sie bei Regen nicht völlig durchweichen. Mir war bereits ziemlich warm in dem Ding. Zwischenzeitlich mussten auch noch die zwei Kajaks, mit denen wir begleitet werden sollten, herangeschafft werden. Da (nicht nur) mir das freie Sitzen schwer fiel, legte ich mich auf den Bauch, die Hände unter dem Kinn verschränkt, und schaute mir das alles aus der Liegeposition an. Dann kam Renè aus Bremen wieder an, der mich letztes Mal schon so angebaggert hatte, obwohl er eine Freundin zu Hause hat, und sagte: „Wow, hast du einen knackigen Arsch! Darf ich mal klatschen?“
Cathleen rollte die Augen zum Himmel, Simone tippte sich an die Stirn
und ich antwortete genervt: „Klatsch so viel wie du willst“, dachte aber, er wollte in die Hände klatschen. Stattdessen kam er auf mich zu und zimmerte mir eine auf meinen Hintern. Damit bestätigte sich meine Meinung von letzter Woche: So ein Idiot.
Während es immer längerte dauerte, bis es endlich mal losgehen sollte, erklärte uns ein schlauer Fuchs, dass, wenn man sich einen neuen
Neoprenanzug zum Schwimmen kauft, man darauf achten muss, dass er sehr eng anliegt, damit nur ein minimaler Wasserfilm auf der Haut ist, der sich erwärmt und dann als Isolierschicht wirkt. Wenn der Anzug zu groß ist oder nicht für das Schwimmen gedacht ist, dann strömt immer wieder kaltes Wasser nach und die Sache funktioniert nicht. Genial. Außerdem hat man mit dem Ding ziemlichen Auftrieb, so dass auch Leute, die ihre Beine nicht bewegen, wesentlich gerader im Wasser liegen. Und dann sollten Querschnitte noch beachten, dass es im gelähmten Bereich keine Reißverschlüsse, keine Falten, hervorstehenden Nähte oder ähnliches gibt
und dass die Beine nicht abgeschnürt werden.
Während er laberte, interessierte mich eine Sache viel mehr: Wenn der
Wasserfilm nicht ausgetauscht wird beim Schwimmen, was ist denn, wenn sich unterwegs meine Blase entleert? Gehe ich dann beim Ausziehen als marinierter Seeteufel durch und stinke wie ein Dachs im Zoo? Und vor allem: Mir gehört dieser Anzug ja gar nicht. Und erstrecht: Gab es vor mir noch andere Ferkel … ich denke lieber nicht weiter über das Wort „Leih-Anzug“ nach. Vor einigen Wochen hätte diese Unsicherheit bei mir eine mittelschwere Katastrophe ausgelöst, mit Heulattacke und Panikstimmung, heute fragte ich Cathleen: „Sag mal, was passiert eigentlich, wenn man in das Ding reinpinkelt?“
Kristina, die direkt daneben saß, fing laut an zu lachen, und als Cathleen ohne eine Miene zu verziehen antwortete: „Dann wird es warm.“, prustete sie erst richtig los, lief im Gesicht schon rot an und bekam fast keine Luft mehr. Ich ersparte mir weitere Nachfragen, denn endlich ging es los. Das Wasser war wärmer als ich vermutet hatte, aber kälter als beim letzten Mal und der kalte Wind, der über das Wasser fegte und einige Wellen machte, war fast schon unangenehm. Der Auftrieb dieses Schwimmanzugs machte einiges einfacher als beim letzten Mal, der zeitweilige Gegenwind brachte mich aber fast zur Verzweiflung. Zwei Mal bekam ich von einer Schwimmerin, die ständig nah an mich herankam, keine
Ahnung warum, einen Ellenbogen in die Rippen, was ziemlich weh tat. Es hieß zwar, wir sollen nur ankommen und nicht auf Höchstleistung schwimmen, aber wäre ich nicht auf Höchstleistung geschwommen, wäre ich teilweise gar nicht vorwärts gekommen. Der Wind spielte mit uns. Ich war
allerdings nicht die einzige, der das so ergangen ist. Alle waren froh,
als wir endlich unter der heißen Dusche waren. Einschließlich Tatjana, die mit ihrem Kajak 20 Meter vor dem Steg gekentert ist – ich sage nicht, wer nachgeholfen hat…
Am Nachmittag stand nochmal Ergometertraining auf dem Programm. Abends gingen wir ins Kino und schauten uns Horst Schlämmer an. Naja. Die Popcorn waren gut. Und das Bier in der Disko hinterher auch. Damit sich der Anschiss in Grenzen hält, lagen alle schon um 1 in den Betten. Und unsere Betreuer ließen uns sogar bis 8 Uhr ausschlafen.
Nach einem Zirkeltraining am Sonntagmorgen und einem weiteren Ergometertest mit Blutentnahme aus dem Ohr ging es wieder zurück nach Hamburg. Am Hauptbahnhof gerieten wir noch direkt in das Remmidemmi des gewonnenen HSV-Heimspiels gegen Köln. Wer den Hamburger Hauptbahnhof mit
seiner großen Bahnsteighalle kennt, kann sich vorstellen, wie es wirkt,
wenn einige Tausend Leute darin ihre Fangesänge abgeben. Fast so schön wie im Stadion. Aber nur fast.