Endlich darf ich wieder sitzen und am Laptop schreiben… seit letzten Freitag bin ich im Krankenhaus und schaue die Decke an. Nicht aufstehen, nicht umdrehen, nicht hinsetzen, zum Essen und trinken am besten mit Strohhalm und Kopf seitwärts im Liegen. Einziger Lichtblick: Ein Flachbild-Fernseher an einem langen Arm, den man so über das Bett schwenken kann, dass man in Rückenlage mit Blick an die Decke was sieht.
Da hat mal einer mitgedacht.
Normalerweise bin ich Teamwork eher zu- als abgeneigt, aber seit letztem Freitag muss ich mir das wohl nochmal überlegen. Wir saßen in Sechsergruppen an den Tischen und …
Ich muss anders anfangen. Wenn man eine Querschnittlähmung hat, sind ja nicht nur die jeweiligen Bewegungen eingeschränkt, sondern auch die Empfindungen in den gelähmten Bereichen und natürlich auch Durchblutung etc. Das kann sehr gefährlich werden: Setzt mal sich zum Beispiel auf einen Schlüssel, würde man normalerweise sofort wieder aufstehen und das Ding unter dem Hintern wegnehmen, weil es weh tut oder zumindest unangenehm ist. Ich merke das jedoch nicht, so dass ich irgendwann davon eine Verletzung bekomme, die dann auch noch sehr schlecht abheilt, weil ja die Durchblutung in dem Bereich eben auch nicht gut ist.
Deswegen wird während der medizinischen Reha nach dem Unfall oder auch bei Nachkontrollen immer wieder darauf hingewiesen, dass man auf seine Haut aufpassen muss. „Hauptsache Haut“ ist zum Beispiel im Krankenhaus überall an den Wänden auf irgendwelchen Postern und auf Flyern. Ich hatte einmal eine Mini-Druckstelle, nämlich als ich zum 50. Geburtstag meiner Mutter sollte vor rund 15 Monaten. Das hat mir gereicht. Daher passe ich immer sehr, sehr genau, fast schon peinlich genau, auf, dass ich mich nirgendwo draufsetze, drauflege, mich vorsichtig umsetze und keine spitzen, scharfen oder heißen Sachen auf meinen Schoß lege. Zum Beispiel: Wenn ich ins Bett gehe, schlage ich vorher immer erst einmal die Decke zurück und gucke, ob da irgendwas drinliegt, was da nicht reingehört. Manchmal werfe ich tagsüber doch mal etwas drauf, was da sonst nicht hingehört, und das rutscht dann unter die Decke oder ähnliches.
Wir saßen also in Sechsergruppen an den Tischen und sollten auf einem A2-Poster so ein komisches Schema aufmalen in der Gruppe und während eine Mitschülerin dieses Poster ausrollt auf dem Tisch, schiebt eine andere einen Becher heißen Tee (heißes Wasser, der Teebeutel hängt noch drin, gerade frisch aufgebrüht) bis 5 Zentimeter vor die Tischkante, direkt dort, wo ich sitze. Ich habe gerade einen Stapel Hefte und 10 dicke Edding-Stifte für das Plakat in den Händen und sage sofort: „Nee, stell die Tasse bitte woanders hin, nicht dass mir das noch über den Schoß kippt.“ – Die Mitschülerin sagt: „Alter, nun entspann dich doch mal!“ Die mit dem Poster sagt: „Komm, bevor es Theater gibt…“, greift nach der Tasse, verfehlt sie und kippt mir das heiße Wasser mitsamt der Tasse über den Schoß.
Ich habe nur den ganzen Kram, den ich in der Hand hielt, auf den Tisch geschmissen und wollte zum Waschbecken, aber meine Tischnachbarin, auch Rollstuhlfahrerin, hatte schon geistesgegenwärtig ihre Wasserflasche in der Hand und kippte mir die 1,5 Liter kaltes Mineralwasser über den Schoß. Der Lehrer kam an und sagte: „Was macht ihr denn da? Was soll denn sowas?“ Meine Tischnachbarin antwortete: „Jaja, rufen Sie lieber mal einen Krankenwagen.“
Ergebnis: Beide Oberschenkel verbrüht und zwar sowohl vorne als auch seitlich als auch zum Teil hinten. Die schlechte Nachricht: Mindestens zwei Wochen stationäre Behandlung. Und das Haus ist voll, eventuell werde ich noch verlegt. Ätzend! Die gute Nachricht: Es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Das verdanke ich wohl meiner Tischnachbarin, die gleich kaltes Wasser hinterhergekippt hat. Es ist nichts offen, es tritt keine Feuchtigkeit aus, es ist nur knallrot und glüht. Derzeit liege ich in einem Luftkissenbett. Keine Wechseldruckmatratze, bei der sich alle paar Minuten andere Kammern aufblasen, sondern ein Luftkissen, vergleichbar mit einer Hüpfburg. Unter mir wird Tag und Nacht warme Luft durchgeblasen und wenn man sich bewegt, schwingt der ganze Kram wie
eine große Hängematte. Unter mir ist ein riesiger Blechkasten und das Ding macht einen Lärm wie eine große Kühltruhe. Laut Typenschild (Liam musste gleich nachschauen) ist das Betriebsgeräusch 58 db(A).
Aber es gibt schlimmeres. Meine ganzen Leutis aus der WG waren schon hier und meine Tischnachbarin aus der Schule, ich habe ein Einzelzimmer (schön Fernsehen und Musik hören) und das Personal ist auch nett und wenn ich Glück habe, bin ich bald wieder raus.