In Hamburg Bergedorf wird zur Zeit mit großem Aufwand der Bahnhof (einschließlich Busbahnhof) neu gebaut. Die Kosten haben den geplanten Rahmen bereits um mehr als 150% überschritten, wie bei allen öffentlichen Großprojekten. In diesem Zusammenhang hat der Bahnhof Bergedorf auch neue Aufzüge bekommen. Jene, die ich auch benutzen muss, wenn ich mit Öffis zur Therapie ins Krankenhaus fahre.
Es ist kein Geheimnis und es stand auch mehrfach bereits in den Medien, dass die neuen Aufzüge permanent defekt sind. Ein Software-Fehler jagt den nächsten, in der letzten Woche funktionierte der Aufzug zum Gleis 3 und 4 wieder nur sporadisch. Ich würde schätzen, mehr als 85% der Zeit stand er still.
Immerhin scheint die Bahn bemüht zu sein. Heute morgen traf ich dort per Zufall etliche Krawattenträger und Leute im Blaumann, die eifrig diskutierten. Ich schnappte einen Teil der Diskussion auf, während Jana und ich auf den Aufzug warteten, und ich konnte mich nicht zurückhalten.
Die Aufzugsfirma präsentierte ein Logbuch, nach dem der Aufzug in der letzten Woche über 98% funktioniert hätte. Während das Weichei von der Bahn schon mit den Schultern zuckte, weil er diesem schriftlichen Beweis
nichts entgegen zu setzen hatte, platzte mir der Kragen. „Über 98% der Zeit funktionierte vielleicht das Licht in der Kabine, aber mehr auch nicht.“
Auf die erste Empörung lehnte ich mich, auf meine Erfahrungen gestützt, weit aus dem Fenster und behauptete frech in die Runde: „Ich setze Ihnen jetzt sofort mit einer einfachen Alltagssituation diesen Aufzug außer Betrieb. Ohne List und Tücke und ohne rohe Gewalt. Sondern mit einer einfachen Alltagssituation, wie sie hier am Tag vermutlich 20 Mal vorkommt.“ – „Wer sind Sie denn überhaupt?“ fragte der Typ von der Aufzugsfirma.
„Ich heiße Julia und ich benutze das Ding mehrmals pro Woche. Wenn es funktioniert, und mich nicht Reisende die Treppe runtertragen.“ Ein dickbäuchiger Mann in einem etwas angeölten Blaumann mit DB-Logo auf der Brust wischte sich gerade mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, dann hatte die Arme in die Hüften gestemmt und grinste mich an. Ich glaube, ihm gefiel die Show. Hingegen sagte der Typ von der Aufzugsfirma: „Wir haben jetzt keine Zeit für solchen Unsinn.“
Worauf der Krawattenmensch von der Bahn zaghaft wiedersprach: „Naja, lassen wir den beiden Damen doch mal einen Versuch. Wenn das stimmt, können wir doch nur was lernen.“
Okay. Spontanes Drehbuch: „Jana fährt mit einer Begleitung runter und kommt wieder hoch. Die Begleitung schiebt Jana in Schneckengeschwindigkeit aus der Kabine nach draußen. Stellvertretend für die alte Oma, die ihren alten Mann schiebt und selbst nicht mehr richtig laufen kann. Ich stehe oben und will in die Kabine, will nach unten fahren. Okay?“
Gesagt, getan. Der dickbäuchige Mann im Blaumann fuhr mit Jana nach unten und kam wieder hoch. Und dann schob er sie in Schneckengeschwindigkeit durch die Lichtschranke. „Noch langsamer“, sagte ich. „Sie müssen fast stehen bleiben dabei.“ Dem Typen im Blaumann schien es Spaß zu machen. Und dann geschah, was geschehen sollte: Der Aufzug spielte verrückt. Der labert sowieso zu viel – aber nun ging es los. „Achtung! Tür schließt.“ Während Jana drin stand. Die Tür ging 2 Zentimeter zu, dann wieder auf. Vermutlich hat sie gerade noch geschnallt, dass dort gerade jemand rausgeschoben wird. Dann sofort noch einmal: „Achtung! Tür schließt.“ Wieder 2 Zentimeter, dann ging sie wieder auf. Und sobald sie wieder offen war: „Achtung! Tür schließt.“ Und wieder auf.
Vermutlich war die „Drei“ eine magische Zahl für das Programm. Nun kam: „Bitte geben Sie den Türbereich frei!“ Jana war noch nicht einmal draußen, ich noch nicht drinnen. Dazu ein ohrenbetäubendes Gepiepe. Und die Tür schloss sich langsam. In Schneckengeschwindigkeit. Bis sie an die Greifreifen von Janas Rollstuhl stieß. Die Lichtschranke war offensichtlich ohne Funktion. Die Tür ließ sich nicht beirren und versuchte permanent, sich zu schließen. Obwohl Jana dazwischen stand. Ich drückte draußen auf den Taster, aber das nützte auch nichts. Der Typ im Blaumann konnte Jana nicht weiterschieben, ohne die nagelneue Tür zu verschrammen. Die ganze Situation, vor allem mit dem lauten Gepiepe, war extrem nervig. Doch dann, nach etwa 10 Sekunden, wie durch ein Wunder, rauschten die Kabinentüren zurück, das Gepiepe hörte auf und es kam die Ansage: „Anlage außer Betrieb. Bitte räumen Sie die Kabine.“ Und draußen leuchtete das rote Licht auf.
Gewonnen. Der Typ von der Aufzugsfirma kommentierte: „Das ist die Drängel-Funktion. Wenn nach einer bestimmten Zeit die Lichtschranke nicht freigegeben wird, schließt die Tür langsam. Das trägt zur Erhöhung der Förderleistung bei, weil es verhindert, dass in einem prall gefüllten Aufzug ständig wieder die Tür aufgeht, weil irgendeiner seinen Hintern oder seinen Rucksack nochmal kurz rausstreckt. Und wenn das dann auch nicht funktioniert, schaltet sich der Aufzug aus Sicherheitsgründen ab.“ Ich kommentierte: „Toll. Und deshalb funktioniert der immer nur eine halbe Stunde?“ Daraufhin sagte der Typ: „Wenn hier alle halbe Stunde eienr so langsam aussteigt, könnte das der Grund sein.“
„Dann schalten wir doch einfach mal diese Drängel-Funktion für eine Woche aus“, meinte der Typ im Blaumann. „Und schauen mal, ob er dann besser läuft.“ Der Typ vom Aufzugshersteller sagte: „Das geht nicht. Der ist mit Drängel-Einrichtung vom TÜV abgenommen. Wenn Sie das jetzt ohne betreiben wollen, müsste der neu abgenommen werden. Und das kostet richtig Geld.“ Ich sagte: „Entschuldigung, darf ich mich nochmal einmischen? Hier scheint doch die ‚Drei‘ die magische Zahl zu sein. Drei Mal probiert die Tür, zu schließen, und wenn das nicht geht, kommt dieser Drängelversuch. Kann man die Zahl nicht einfach mal für eine Woche auf 30 oder 50 erhöhen?“
„Das könnte man wohl“, antwortete der Typ. Nun bin ich mal gespannt. Stinkesocke rettet die Mobilität hunderter, ach was sage ich, tausender Bergedorfer. Wer baut eigentlich Aufzüge für Menschen mit Mobilitätseinschränkung, die eine Drängelfunktion haben? Und programmiert die so, dass sie beleidigt abschalten, wenn man den Behinderten nicht schnell genug rausgedrängelt bekommt? Einfach irre.