Huch? Hallo? Ich werde ja ganz rot vor Scham. 55 Glück wünschende Kommentare? Womit habe ich denn das verdient? Ich muss zugeben, im ersten Moment, als ich eben die Zahl „55“ sah, dachte ich, da hätte jemand rumgespammt. Aber nein! Ein Eintrag netter als der andere. Auf jeden Fall sage ich erstmal: Vielen, vielen Dank! Ich habe mich sehr gefreut. Dass hier inzwischen am Tag teilweise weit über 100 Besucher vorbei kommen, war mir bekannt, dass aber jeder zweite davon gratuliert,
hat mich dann doch sehr überrascht.
An meinem Geburtstag habe ich noch in der Nacht von den Leuten aus meiner WG ein Ständchen und einen Geburtstagskuchen bekommen. Die meisten Glückwünsche kamen dann per SMS, per Mail und über Social Network. Aber ich habe mich auch gewundert, wieviele Leute trotzdem noch
etwas auf dem herkömmlichen Postweg versenden.
Gewundert habe ich mich auch über den Besuch meiner Eltern am Vormittag. Sie kamen zusammen mit meiner Currywurst-Tante
und hatten sich hinter einem großen Blumenstrauß versteckt. Sie fragten, ob sie reinkommen dürften, später wiederkommen dürften oder lieber gar nicht wiederkommen sollen. Im Verhältnis zu den letzten Überfällen, bei denen es immer kurz davor war, dass sie die Tür eingetreten hätten, kamen mir diese Sätze beinahe wie ein Kniefall vor. Ich antwortete, und im Nachhinein bin ich recht erstaunt, dass mir gleich diese Antwort eingefallen war, dass ich es am besten fände, wenn wir draußen an der frischen Luft reden würden. (So kann ich mich einfach
entfernen, wenn das zu dumm wird.)
Normalerweise ist das die Steilvorlage für meine Tante, zu fragen, ob
sie einmal die Toilette benutzen könnte. Nicht, weil sie mal muss, sondern um in die Wohnung hinein zu kommen. Dass es so ist, hat sie selbst schon mal indirekt zugegeben, als ich vor langer Zeit mit ihr darüber sprach, dass sie gerne die Wohnung ihrer Bekannten sehen wollte und man sowas am besten dadurch anstelle, dass man frage, ob man das WC benutzen dürfe. Das würde einem selten verwehrt werden. Ich glaube, ich muss das nicht kommentieren. Auch deshalb nicht, weil sie sich diesmal zusammengenommen hat und nicht fragte, sondern hinter meinen Eltern hinterherdackelte.
Ich sagte Sofie Bescheid, dass ich kurz nach draußen gehen würde. Ob sie mal ein Auge aus dem Fenster werfen könnte, falls in der nächsten halben Stunde Schreie, Ringkämpfe oder Schüsse zu hören seien. Sie fragte, ob ich mir das ernsthaft antun wollte. Ich überlegte auch schon,
warum man sich so handzahm gab, ob möglicherweise etwas dahinter stecken könnte. Immerhin war ich 18 und hätte alles unterschreiben können, wofür sie früher noch die Zustimmung meines Vormundes gebraucht hätten.
Nein, es kam anders. Mein Vater entschuldigte sich zwar nicht für seine gewalttätige Aktion, sondern sagte fast gar nichts, meine Mutter sagte jedoch, dass sie über Monate in einer Klinik gewesen und inzwischen mit Therapie und Medikamenten recht gut eingestellt sei. Sie meinte, sie habe während ihrer Therapie auch irgendwelche Bücher über Querschnittlähmungen gelesen. Sie sagte, dass sie verstanden habe, dass sie mit meiner Situation überfordert sei. Sie könne sich nicht in meine Situation hineinversetzen und sie könne sich nicht vorstellen, selbst mit einer Querschnittlähmung zu leben. Wenn ich es hinkriegen würde, mit
einer solchen Behinderung zu leben, dann solle ich diesen Weg gehen, aber bitte akzeptieren, dass weder mein Vater noch sie mir dabei helfen könnten.
Ich habe mir das nur angehört. Ich habe in den letzten Monaten niemanden um Hilfe gebeten. Von daher verstand ich nicht ganz, was sie mir damit sagen wollte. Sie fuhr fort: „Dein Unfall hat unsere Ehe zerrüttet. Wir werden uns trennen. Ich werde in eine andere Stadt ziehen, vermutlich nach Köln, dort wollte ich schon immer wohnen, und dort ein neues Leben beginnen. Dein Vater hat, bedingt durch seinen Job,
bereits in Hannover eine Wohnung gefunden und wohnt schon nicht mehr hier.“
„Dann wünsche ich euch beiden, jedem von euch, alles Gute für euer neues Leben.“ Dann standen sie auf und gingen davon. Keine Verabschiedung, keine Umarmung, nichts. Und ich blieb zurück mit einem Kopf voller Fragezeichen. Was sollte der Blumenstrauß? Was wollte man mir sagen? Ich hatte ja schon über Monate keinen Kontakt mehr. Wollte man mir sagen, dass das auch in Zukunft so bleiben soll? Sollte es eine Art Abrechnung sein für die gescheiterte Ehe? Oder wollte man nur nicht auf sich sitzen lassen, dass ich den Kontakt abgebrochen habe? Und was sollte meine Tante dabei, die die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte? Und
wieso das alles ausgerechnet an meinem 18. Geburtstag?
Dass meinetwegen ihre Ehe in die Brüche gegangen ist, den Schuh ziehe
ich mir nicht an. Ich kann nichts für meine Behinderung. Ich hatte nicht mal Schuld an dem Unfall. Meine Eltern waren es, die damit nicht klar kamen. Nicht ich. Sie selbst sind an dieser Aufgabe gescheitert. Klingt vielleicht frech, sehe ich aber so. Und ich glaube, das will ich auch nicht diskutieren.
Die Geburtstagsparty jedenfalls wurde sehr nett. Viele Leute vom Triathlon kamen, fünf aus der Schule, insgesamt waren wir fast 20 Leute,
prima Sache. Wir haben gegessen, getrunken, gespielt, gequatscht und gefeiert und fast alle haben auch bei uns geschlafen. Mit Luftmatratzen und Schlafsäcken auf dem Fußboden, sofern nicht noch in irgendeinem Bett
Platz war. Was mir persönlich sehr gut gefallen hat, war, dass ich mir eine anti-alkoholische Party gewünscht hatte und das auch durchsetzen konnte. Bier und Wein war okay, aber ich wollte kein Besäufnis mit irgendwelchen hochprozentigen Getränken. Auch wenn es mein 18. Geburtstag war und ich erstmalig so etwas offiziell hätte trinken dürfen. Nein. Auch wenn es uncool klingt, die Stimmung war trotzdem super. Und einen Vorteil hatte es: Ich musste keine Kotze aufwischen.
Nun bin ich 18 und darf unbegrenzt und ohne Fahrtenbuch Auto fahren. Unbegrenzt heißt: Auf der Autobahn auch außerhalb Hamburgs und auch über
100 km/h, nicht nur zu speziellen Anlässen wie Therapie, Schule etc. – und letztlich nicht mehr mit der Gefahr, durch eine Laune meiner Eltern oder meines Vormundes oder der Behörde, die diese Ausnahme gestattet hat, meinen Führerschein wieder abgeben zu müssen. Klar, ich bin genauso
noch in der Probezeit wie alle anderen Führerscheinneulinge. Auch wenn das eine Jahr auf die Probezeit bereits angerechnet wird.
Am Donnerstag bekomme ich vermutlich mein neues Auto. Wenn alles klappt. Es ist bereits in Hamburg, wird aber noch umgebaut und muss auch
erst zum TÜV zum Gutachten für die eingebauten Umbauten. Und dann zur Zulassung. Und ich habe mir inzwischen eine Visakarte bestellt. Damit ich beim Bezahlen auf den Pornoseiten im Internet und bei Hotels etc. nicht immer Sofie fragen muss. Bisher habe ich noch keine Nachteile gespürt, dass ich 18 bin. Ich hoffe, dass es so bleibt und ich mir nicht allzu schnell wünsche, doch wieder ein Kind oder eine Jugendliche zu sein.
Alles in allem war mein 18. Geburtstag ein aufregender Tag. Die vielen Leute, die an mich gedacht haben, der Besuch meiner Eltern, die tolle Party, die vielen Veränderungen. Er war aufregend, intensiv. So sehr ich ihn ersehnt hatte, so sehr freue ich mich jetzt, dass er endlich da war.