Tief und flach

Ich weiß noch ganz genau, wie es mir ging, als ich nach meinem Unfall im Krankenhaus von der Intensivstation auf die „normale“ Station verlegt wurde und mich so langsam an ein Leben im Rollstuhl gewöhnte. Eine ganz, ganz große Angst von mir war damals, dass ich keine Kinder mehr bekommen könnte. Auch wenn ich mir damals keine Gedanken darüber gemacht habe, ob ich jemals Kinder bekommen möchte, so war es für mich absolut wichtig, diese Entscheidung nicht durch diesen Unfall abgenommen bekommen zu haben.

Diese Angst verstärkte sich damals und führte regelrecht zu schlaflosen Nächten, weil ich über ein halbes Jahr meine Regel nicht bekommen hatte. Damals war ich auch noch so schüchtern und so abgefüllt mit unerträglichen Neuigkeiten, dass ich mich nicht getraut habe, einen Arzt zu fragen. Heute bekomme ich meine Regel wieder und inzwischen habe ich auch viele Rollifahrerinnen kennen gelernt, die (auch mit kompletter hoher Querschnittlähmung) völlig gesunde Kinder zur Welt gebracht haben.

Solche Probleme haben andere Teenies natürlich nicht. Die haben andere. Werden vielleicht ungewollt schwanger oder denken das, wenn ihre Regel wegbleibt, bekommen viel zu früh Kinder oder haben alle vier Wochen heftige Unterleibkrämpfe. Was mir zum Glück bisher erspart geblieben ist (bis auf wenige Ausnahmen). Vielleicht durchleben sie auch gerade irgendeine Krise, haben Liebeskummer, Zoff mit den Eltern, werden sehr krank – oder es geht ihnen einfach gut. Wie mir im Moment auch. Ich hoffe und ich wünsche mir, vielleicht zu Weihnachten, vielleicht zum neuen Jahr, dass dieses auch erstmal so bleiben möge. Und das wünsche ich natürlich allen Lesern auf diesem Wege auch.

Genug ernsthaftes für heute. Um ungeschickt vom Tiefen ins Flache zu kommen, möchte ich von einer Sache erzählen, die mir in letzter Zeit verstärkt auffällt und in meinem Köpfchen unlösbare Fragen aufwirft. Wer
steckt eigentlich hinter diesem selbstlosen Elternverband, der sich, offenbar aus reiner Nächstenliebe, zusammengeschlossen hat, um für die Verpflichtungen anderer Menschen aufzukommen? Ich finde das ja rührig, gerade in Zeiten, wo sich immer weniger Menschen eine private Haftpflichtversicherung leisten können (wollen).

Wenn zum Beispiel mein Kind auf einen Turm klettert und von dort oben Flaschen runterwirft, weil es so schön scheppert, und dabei aus Versehen einen Spaziergänger trifft, kommt diese Elterngemeinschaft für den Haftpflichtschaden auf. Anscheinend ohne Wenn und Aber. Wenn mein Kind auf eine Baustelle läuft, auf den Kran klettert, von dort oben den Betonmischer anhebt und ihn beim Nachbarn in den Fischteich plumpsen lässt, dito. Es ist doch eigentlich recht praktisch, oder? Dieser Elternverband lässt an solch gefährlichen Stellen Schilder aufstellen, auf denen es heißt: Eltern haften für meine Kinder.

Für ihre eigenen wäre es ja schon Blödsinn, denn, wie Frank gerade erklärte, haften Eltern nur dann, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Wenn das Kind also auf dem Weg zur Schule noch nie auf diesen Turm geklettert ist, es heute, beim 100. Mal aber tut, haften seine Eltern mitunter auch mal nicht. Aber dafür gibt es ja nun diesen Elternverband, denn diese „Eltern haften für Ihre Kinder“, also für meine. Oder wer wurde da angesprochen?

Okay okay, ich habe ja schon angekündigt, dass es flach wird. Ich bin aber noch nicht am Boden. Rollstuhlfahrer haben ihre Füße ja auch nie ganz am Boden, sondern auf dem Fußbügel einige Zentimeter über der Erde.
Damit sie zur Not über das Niveau hinwegfahren können, falls es flach an der Erde liegt.

In diesem Sinne: Als ich kürzlich durch das Krankenhaus fuhr, in einer Hand meine schmutzigen Socken und in der anderen meine Bierdose, merkte ich mehr und mehr, wie mich dieses „Gepäck“ beim Antreiben meines
Rollstuhls behinderte. Ich nahm einen letzten tiefen Zug aus der Bierdose, rülpste laut, so dass es von den Wändern widerhallte, knickte die Dose in der Mitte und wollte sie gerade, zusammen mit den dreckigen Socken, im Vorbeifahren vor eine Tür werfen. In letzter Sekunde las ich dieses Schild.

Sorry, ich bin wieder ein Schelm heute. Aber ich habe vor dieser Tür gestanden und kam aus dem Gackern nicht mehr heraus. Die vorbei gehenden Leute müssen gedacht haben, ich hätte meine Pillen nicht genommen (oder
zu viel davon). Ich habe dort gestanden und vor meinem inneren Auge lief so ein Film ab, was passiert sein könnte, bevor dieses Schild dort hing.

Irgendeiner ist in dem Raum beschäftigt und alle paar Minuten donnert und scheppert es an der Tür, weil im Vorbeigehen die Angestellten volle stinkende Wäschesäcke, Beutel mit leeren Infusionsflaschen und anderes Zeug dort einfach fallen lassen. Manchmal tritt dieser Mitarbeiter vor die Tür und ihm fallen Berge von Schrott entgegen, über die er erstmal rübersteigen muss, um seine Bude zu verlassen. Ich weiß, einige finden das gar nicht witzig, aber ich bin gerade etwas albern..

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert