Vor etwa zwei Wochen lernte ich durch Zufall Markus kennen. Er ist 25 Jahre alt, kommt aus Berlin, studiert Sportwissenschaften (wird im Frühjahr fertig) und hatte sich in unserem Sportverein als Trainer beworben. Er war ein paar Mal beim Schwimmtraining dabei, aber diejenigen, die das zu entscheiden hatten, fanden, dass er nicht der richtige sei. Nun stand er plötzlich und unverhofft vor mir in der Schlange, als ich zusammen mit Cathleen in der Geschäftsstelle meines Sportvereins war, um mir einen Stempel für eine Startlizenz für das nächste Jahr abzuholen. Was er gerade dort wollte, weiß ich nicht. Die vier Damen, die dort an den Schreibtischen saßen, hatten gerade alle Hände voll zu tun, permanent bimmelte das Telefon, ein Typ mit irgendwelchen Kontoauszügen hielt den Laden zusätzlich auf Trab (bei ihm sei angeblich doppelt Beitrag abgebucht worden).
Als wir in den Raum reinkamen, stützte sich Markus auf einem Tresen auf und blätterte in einem Prospekt. Ich grüßte beim Reinkommen kurz und knapp mit einem „Moin“ und reichte die Tür an Cathleen weiter, die direkt hinter mir kam. Markus guckte uns an, grinste und rief laut mit Berliner Dialekt und scheinbar bester Laune: „Na da schau her, zwei Schneefrauen! Und eine hübscher als die andere!“ Während des Trainings hatte er sich bisher mit solchen Kommentaren immer zurückgehalten.
Ich erwiderte: „Wer ist denn die ‚eine‘ und wer ist die ‚andere‘?“ – Cathleen ergänzte sofort: „Pass gut auf, was du jetzt sagst.“ – Ich nickte zustimmend. Markus überlegte nicht lange. „Das kommt ja immer auf die Sichtweise und den Geschmack an. Ich persönlich steh ja eher auf blond.“ – Ich grinste Cathleen an: „Siehste, du mit deiner dunklen Mähne hast nicht mal annähernd eine Chance.“ – Cathleen antwortete sehr charmant: „Ich würd das anders ausdrücken, Jule: Ich hab es leichter. An mir bleiben nur die Männer kleben, die auf beste innere Werte stehen. Du hingegen musst dich erstmal auch mit all denen rumschlagen, die nur deine blonden Haare wollen.“
Ich nickte zustimmend: „Da könnte was wahres dran sein. Sowas kann manchmal richtig lästig sein.“ – Markus mischte sich ein: „Na ihr seid ja ein paar lustige Vögel. Ich meine das aber ernst. Wollen wir nicht mal zusammen einen Capuccino trinken gehen?“ – Ich erwiderte: „Ich denke, du wohnst in Berlin!“ – Markus antwortete: „Noch. Bald in Hamburg. Ich krieg vielleicht einen Job in einem Rehazentrum. Sieht ganz gut aus. Nee, mal im Ernst, ich würde dich gerne mal auf einen Capuccino einladen. Oder einen Tee. Hättest du nicht Lust?“ *bagger*
Ich antwortete: „Du kannst mir ja mal eine Mail schreiben, wenn du wieder nach Hamburg kommst. Meine Mailadresse hast du ja – vom Training.“ – Er sagte: „Ja, das mach ich. Wirklich!“ – Cathleen und ich tauschten Blicke aus. Dann schaute er wieder zu den Mitarbeiterinnen, die noch immer beschäftigt waren. „Hier ist ja der Teufel los. Wenigstens Stühle könnten die hier doch mal hinstellen, oder?“
Auch wenn ich den Spruch sonst nicht leiden kann, sagte ich: „Siehst du, da haben wir es einfacher. Wir bringen unsere Stühle immer gleich mit.“ Mir fiel nichts besseres ein. Ohne zu fragen, ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich plötzlich bei mir auf den Schoß. Ich war völlig perplex und dachte so: Hat der ne Macke? Ich schluckte einmal, dann fragte ich: „Ist es bequem so?“ – Er antwortete: „Ja, ja, alles bestens. Sehr bequem.“ – Cathleen staunte nur und sagte: „Na Jule, da kann ich ja froh sein, dass er sich nicht auf meinen Schoß gesetzt hat. Sonst wärst du bestimmt gleich eifersüchtig geworden.“ – Ich nickte und sagte mit ironischem Unterton: „Bestimmt!“
Das war, wie gesagt, vor zwei Wochen. Als ich später wieder mit Cathleen im Auto saß, waren wir uns recht einig, dass ich auf diese plumpe Tour überhaupt nicht stehe. Ich mag es gerne etwas diskreter, etwas indirekter, etwas erotischer. Andererseits ist er kein Typ, den ich von der Bettkante schubsen würde. Er ist groß, kräftig, sportlich, hat eine super Figur, sieht gut aus – und wenn er ein Studium abschließt, kann er auch nicht so ganz dumm sein… Auch wenn es für den Job nicht gereicht hat, ich fand ihn beim Training ganz okay. Ich hätte mich mit ihm als Trainer anfreunden können. Die anderen Mädels auch.
Montag hatte ich nun eine Mail bekommen, dass ihm der Capuccino sehr wichtig wäre und er heute wieder in Hamburg sei. Er könne sich vorstellen, dass mich die sehr direkte Anmache in dem Büro des Sportvereins nicht unbedingt „vom Hocker gehauen“ hätte, aber er müsse mir sagen, dass er sich schon beim Schwimmtraining unsterblich in mich verliebt, aus beruflichen Gründen aber auf jedwede derartige Andeutungen bewusst verzichtet hätte. Nun, wo er den Job beim Sportverein sowieso nicht bekäme, wollte er mich eigentlich vergessen, das sei ihm aber nicht gelungen. Während er überlegt hätte, wie er mir näher kommen könnte, hätte mich (wer auch immer) direkt zu ihm geführt. Das habe er als Zeichen gesehen: ‚Das ist deine Chance. Vielleicht deine einzige. Nutze sie.‘ Und so habe er sie genutzt, völlig unvorbereitet, sehr zielstrebig, sehr unromantisch. Ja, er gebe es zu, mit der Einladung zum Capuccino verfolge er sehr eindeutige Absichten. Er wünsche sich, dass ich sie zulassen könnte und ihm die Chance geben würde, mich zu überzeugen, dass er auch romantisch sein kann und nicht nur auf meine blonden Haare stehe.
Ich will es mal so deutlich sagen: Ohne diesen Text wäre ich nie mit ihm einen Capuccino trinken gegangen. Ich habe zwar niemandem die Mail gezeigt, aber meinen allerengsten Freunden von dem obigen Text erzählt (es stand noch weit mehr drin), und die haben mir alle zu dem Treffen geraten. Selbst Cathleen. Verlieren könnte ich nichts, nur gewinnen, im schlimmsten Fall an Erfahrung. Ich habe mich bis zu dieser Mail gedanklich nicht damit beschäftigt, dass Markus in mich verliebt sein könnte. Und ein paar Mal habe ich den Gedanken bewusst wegschieben müssen, dass er ein Abenteuer sucht und meine Naivität ausnutzt.
Am Ende meiner tausend Überlegungen habe ich mich entschieden, ihn zu treffen. In einem italienischen Restaurant zum Essen. Ich bereue es nicht. Er hat mir sehr viel erzählt, eine Sache auch, über die ich erstmal nachdenken muss und über die ich heute noch nicht schreiben möchte. Aber insgesamt war es so, dass ich ihn zum Abschied ganz fest in den Arm genommen habe. Dabei gab er mir ein Küßchen auf die Wange. Automatisch, ohne groß nachzudenken, erwiderte ich das bei ihm. Ich habe ihn zurück zum Bahnhof gebracht, da sind wir zuletzt Hand in Hand gegangen. War auf den teilweise ungeräumten Gehwegen zwei, drei Mal etwas beschwerlich, aber es klappte. Am Bahnhof haben wir uns sogar noch ein Küßchen auf den Mund gegeben. Es hat total gekribbelt.
Als er im Zug saß, war ich einerseits froh, wieder Zeit für mich zu haben, um nachdenken zu können, andererseits war das gerade so spannend und toll, dass ich mir insgeheim wünschte, der Zug würde zurückkommen und er wieder aussteigen und es würde weitergehen. Bitte wünscht mir Glück..