Heute war wieder einer dieser Tage, den man am besten ganz und gar vom Kalender streicht. Zumindest von meinem Kalender.
Heute morgen fuhr ich zur Schule, mit meinem Viano. Als erstes wunderte ich mich über eine Kontrollleuchte, die mir anzeigte, dass vorne rechts der Scheinwerfer nicht funktionierte. Also fuhr ich in der Freistunde schnell zur Vertragswerkstatt. Gleich wechseln? Nö, geht nicht, zu viel zu tun. Und Garantie ist das auch nicht, das unterliegt dem natürlichen Verschleiß. Ey hallo? Die Funzel ist noch nicht mal ein halbes Jahr alt.
Also fuhr ich mit der Bahn zurück zur Schule. Auf dem Bahnhof kam dann so ein Typ auf mich zu, von dem ich nicht wusste, was er (nicht) genommen hatte. Seine Jeans sah aus, als hätte er sich damit einmal gepflegt in den Matsch gelegt. Als er auf mich zukam, fuhr ich erstmal ein Stück weiter. Dann eierte um eine Infosäule herum und ging wieder hinter mir her. „Ey Schnecke, wollen wir zusammen was trinken gehen?“ – Ich sagte: „Nee lass mal, ich muss noch fahren.“ Und entfernte mich ein Stückchen.
Er kam hinter mir her. „War ja nicht böse gemeint!“ – „Nee schon gut.“ Ich fuhr wieder ein Stück in die andere Richtung. Er kam wieder hinter mir her. „War nicht böse gemeint!“ – „Ja, hab ich verstanden. Alles in Ordnung.“ Wieder entfernte ich mich. Eine Minute verging, dann kam er erneut zu mir: „Wollen wir wirklich nicht was trinken gehen?“ – „Darauf habe ich schon geantwortet, jetzt ist mal gut.“
„Ich wollte ja nur mal fragen!“ sagte er. „Das wird man ja wohl mal dürfen. Wie lautet denn die Antwort?“ – „Die Antwort lautet ‚Nein, ich möchte nicht.’“ – Er schaute mich an, als hätte ich ihn übel beschimpft.
Dann kam er wieder auf mich zu, wollte mich umarmen. Ich rollte zurück. Er hatte seine Bewegungen nicht mehr so ganz unter Kontrolle, stolperte und fiel hin. Ich entfernte mich ein Stück. Dann stand er wieder auf, kam in schnellem Schritt auf mich zu und wollte mich wieder umarmen. Ich brüllte ihn an: „Jetzt lassen Sie mal gut sein!!“ – Ein Typ mit einer HSV-Jacke mischte sich ein, stellte sich vor die Nervensäge, drückte ihn mit der Hand von mir weg. „So, du gehst jetzt mal drei Meter weiter und lässt die Frau mal in Ruhe. Sonst werde ich böse.“ Ein zweiter Typ stellte sich zwischen den Störer und mich, nahm mit mir Blickkontakt auf. „Das stellen wir jetzt mal ab“, sagte er. Ich bedankte mich.
Der Typ schwafelte noch mindestens zehn Mal, dass er es ja nicht böse meine, die HSV-Jacke nickte immer wieder. Dann kam endlich die Bahn. Ich suchte mir gleich einen anderen Waggon. Thema erledigt.
Als ich mittags nach der Schule das Auto wieder abholte, wunderte ich mich über die Rechnung: 42 Euro für einmal Glühbirne wechseln. Was für eine Abzocke!
Nach dem Mittag wollte ich mit Sofie noch zum Einkaufen und zur Apotheke. Ich hatte deswegen extra draußen geparkt und nicht in der Tiefgarage. Selbstverständlich hatte mich jemand so eingeparkt, dass ich nicht mehr in mein Auto kam. Okay … wir haben ja noch ein zweites Auto. Also fuhren wir mit dem Golf, den wir ja für die WG behalten hatten.
Die Straße direkt vor dem Supermarkt ist zweispurig (eine pro Richtung), neben der Fahrbahn ist ein Rad- und ein Fußweg. Die Fahrbahn ist relativ breit, es wird hier gerne schneller gefahren, entsprechend auch gerne geblitzt. 50 ist erlaubt, Tacho 55 fuhr ich. Hinter mir fuhr ein VW Bus extrem dicht auf, keine Ahnung, ob er mich anschieben wollte …
Auf dem Radweg fuhr ein Vater mit seinem Kind. Der Vater vorweg, das Kind, schätzungsweise 6 Jahre alt, auf einem Kinderfahrrad hinterher. Plötzlich, ohne Vorwarnung, ohne dass das Kind irgendwo anders hinschaut, ohne irgendeinen Anschein, biegt das Kind nach links ab, fährt den Bordstein runter und ist dabei, die Fahrbahn diagonal zu überqueren. Und kreuzt dabei selbstverständlich unseren Fahrweg.
Wie aus Reflex, wie ein Automat habe ich gehupt und voll gebremst. Was sonst sollte ich auch tun? Das Kind drehte sich blitzartig um, hatte sich wohl durch das Gehupe erschrocken und stürzte. Mitten auf meiner Fahrspur. Und ich bremste. Bremste. Hinten knallte es. Scheibenklirren. Knirschen. Ich bremste. Bremste. Es nahm kein Ende. Das umgefallene Fahrrad, das Kind, das mit erschrockenem Blick auf mein Auto schaute, das immernoch bremste, ich glaube, dieses Bild werde ich so schnell nicht mehr vergessen. Ich erinnere mich nur noch an einen Gedanken: „Wann kommen wir endlich zum Stehen?“ Je dichter wir in Richtung dieses Kindes kamen, umso größer wurden meine Zweifel, ob wir es noch rechtzeitig schaffen würden. Ich versuchte, nach links so weit wie möglich in den Gegenverkehr zu lenken. Das Auto fuhr nur geradeaus. Ich verzog das Gesicht, erwartete jeden Moment das Knirschen, wenn das Auto auf das Fahrrad trifft. Das alles waren nur wenige Sekunden.
Ich weiß nicht, ob es zwanzig Zentimeter waren oder nur zehn. Das Knirschen blieb aus. Wir standen. Kind nicht berührt. Hinter uns kreischten Bremsen. Ich dachte nur: „Bloß nicht uns jetzt noch auf das Kind schieben.“ Das Kind stand auf, schreiend, ließ das Fahrrad liegen und rannte dem Vater hinterher. Der hatte sich inzwischen umgedreht, in einem großen Bogen gewendet und kam zurückgeradelt. Sprang vom Rad, nahm das schreiende Kind auf den Arm. Ich guckte Sofie an, die auf dem Beifahrersitz saß. Sie war leichenblass. Ich war total zitterig.
Auf der anderen Fahrbahnseite waren die Autos angehalten. Ein Typ machte unsere Tür auf. „Sind Sie verletzt?“ – Ich schüttelte den Kopf. Ende vom Lied: Auto Totalschaden (schluchz), Sofies Rollstuhl, der im Kofferraum stand, Totalschaden (Rahmen verzogen), stundenlang gezittert, jede Menge Ärger. Gegen 16 Uhr hat uns der Abschlepptyp nach Hause gefahren, ohne eigenes Auto, ohne Einkauf. Aber das Kind ist, von ein paar Schrammen von seinem eigenen Sturz abgesehen, unverletzt. Und das ist das Wichtigste. Alles andere lässt sich ersetzen. Auch wenn ich schon nur sehr wehmütig mein erstes eigenes Auto hergebe. Ein letztes Foto: