Marie, Cathleen und ich wollten das schöne Wetter ausnutzen und schon früh in Richtung Ostsee aufbrechen. Durch das lange kühle Wetter hier im Norden hat die Ostsee zur Zeit gerade mal 15 Grad, eigentlich recht frisch ohne Neo. Dafür waren für die Luft aber 27 Grad versprochen. Wir hatten uns für 7 Uhr bei Marie verabredet, die einzige Möglichkeit, mitten in den Schulferien zwischen den ganzen Touristen noch ein freies Plätzchen zu ergattern. Immerhin bräuchten wir ohne Stau
noch rund 2 Stunden bis nach Scharbeutz.
Spätabends bekam ich gestern noch eine SMS von ihr, dass sie auch ihren Eltern versprochen hatte, am Sonntag endlich mal wieder etwas mit ihnen zu unternehmen, zumal beide nicht arbeiten mussten – als Kompromiss hatten die Eltern vorgeschlagen, ob wir nicht zu fünft an den
Strand fahren wollten. Also zielte die Frage in die Richtung, ob Cathleen und ich ich etwas dagegen hätten, wenn ihre Eltern dabei wären.
Da es keine Party werden sollte und der Strand ja groß genug ist, um sich aus dem Weg zu gehen, wenn man sich nervt, empfanden wir das alle nicht als Problem – und Marie war froh, dass sie nicht fahren musste.
Die Hinfahrt verlief ohne große Komplikationen, der Behindi-Parkplatz
am Strand war um 9.15 Uhr noch frei. Die Eltern versuchten, zwei Strandkörbe zu bekommen und entsprechend mussten wir auf den Pächter dieses Strandabschnittes warten, der gerade beschäftigt war. „Komme gleich wieder!“ stand an seinem Häuschen, vor dem sich bereits eine längere Schlange gebildet hatte. Maries Vater meinte: „Ich geh uns mal paar frische Brötchen besorgen.“ – Und verschwand.
Wir warteten einige Minuten. Eilig hatten wir es ja nicht, nur hofften wir, dass nicht bereits alle Strandkörbe vergeben waren und während der Wartezeit auch bei den umliegenden Pächtern die letzte Chance verfliegt. Während wir warteten, blieb unser Blick an einem Typen
kleben, altersmäßig schwer einschätzbar, vielleicht Mitte 60, tiefbraun
gebrannte Haut, auf dem Kopf nur noch ein Haarkranz und auf der Brust ein dickes Fell aus weißen Haaren. Er war nur mit einer kurzen Hose bekleidet – und mit Socken und Sandalen. Okay, wie er rumläuft, das ist ganz alleine sein Problem. Nur kam er immer dichter und versuchte, mit Maries Mutter ins Gespräch zu kommen, beinahe schon zu flirten.
Er fragte sie: „Weißt du, was es bedeutet, wenn man sagt, dass man einen Klotz im Feuer hat?“ – Maries Mutter fragte: „Was bedeutet es?“ – „Ich zeige es dir“, sagte er, ging in eine leichte Hockstellung und furzte einmal laut. „Das bedeutet es“, sagte er und fing an, sich wie ein kleines Kind zu freuen. Dann ging er ohne ein weiteres Wort die Holzrampe runter und lehnte sich an das Geländer, guckte in Richtung Wasser. Marie guckte ihre Mutter entsetzt an, sie guckte zurück und meinte: „Ein bißchen ungezogen, der Gute.“
Es dauerte nicht lange, da kam er die Rampe wieder hoch und sprach eine andere Frau an. „Ich habe ein Geschenk für dich. Willst du wissen, was es ist?“ – „Na?“, fragte die Frau skeptisch. Wir beobachteten es aus
der Entfernung und ahnten schon, was kommt. Er ging wieder etwas in die
Knie und furzte erneut. Die Frau machte eine abweisende Handbewegung und sagte einigermaßen schlagfertig: „Na das Geschenk können Sie behalten.“ – „Es war mit Liebe gemacht!“ – „Ja, vielen Dank, Sie dürfen jetzt weitergehen.“
Marie guckte ihre Mutter an. „Was ist denn das für ein Ferkel?“, fragte sie. Die Mutter antwortete: „Keine Ahnung. Der scheint sich witzig zu finden.“
Dann endlich kam der Strandkorbvermieter und wir bekamen tatsächlich zwei Strandkörbe und nach einigem Hin- und Hergeschiebe in seinem Plan auch noch wenige Meter neben einem mit Holzpaletten gelegten Weg, auf dem man mit dem Rolli von der Rampe bis zum Wasser kommt. So konnten wir
unsere Rollis am Wegrand stehen lassen und die letzten 20 Meter durch den um diese Zeit noch recht kühlen Sand krabbeln. Als wir die Strandkörbe so gedreht hatten, dass wir nicht in der Sonne garen, kam Maries Vater mit einer Brötchentüte in der Hand die Rampe herunter. Der alte Mann sprach ihn an: „Wissen Sie, was es bedeutet, wenn man sagt, man lässt ein Vögelchen aus dem Käfig?“
Maries Vater antwortete: „Nein?!“ – „Ich erkläre es Ihnen“, sagte der
Typ, lehnte einen Fuß auf eine Strebe des Geländers, stützte sich an seinem Knie ab und … furzte schon wieder. – „Ach das Vögelchen!“,
sagte Maries Vater, lachte und ging weiter. Maries Mutter empfing ihn: „Der hat uns auch schon einen vorgepupst. Er meinte, er hätte einen Klotz im Feuer.“ – „Wenn er Spaß dran hat – ich will jetzt entspannen.“
Bis auf den Typen (einen pro Tag braucht es immer) war es ein total toller Tag. Maries Papa hat uns Nutellabrötchen geschmiert (es gab nur ein Messer), wir drei Mädels hatten unseren eigenen Strandkorb, Cathleen
hatte ein paar Kartenspiele mit, Maries Eltern waren völlig entspannt und haben sich gesonnt und Zeitung gelesen, mittags hat uns Maries Papa Pommes geholt …
… und irgendwann wollten wir dann unbedingt auch ins Wasser. Eigentlich wollten wir krabbeln, aber Maries Papa nahm Marie auf den Rücken und Maries Mama meinte zu uns: „Wer zuerst?“ – „Sind wir nicht zu
schwer?“ – „Quatsch, auf dem Rücken geht das.“
Cathleen war zuerst dran, ich schaute mir das erstmal aus sicherer Entfernung an. Aus dem Strandkorb, also aus dem Sitzen, Cathleens Beine um die Hüften der Mutter, sie hielt sie dort fest und Cathleen verschränkte zusätzlich noch ihre Arme vor der Brust von Maries Mutter. Und dann lief sie mit ihr ins eiskalte Wasser. Cathleen schrie wie am Spieß, ließ sich, als es tief genug war, einfach fallen, dann kam die Mutter wieder raus, streckte mir ihren Rücken hin, gleiches Manöver noch
einmal. Als mein Bauch ihren nassen Rücken berührte, merkte ich, wie eisig das Wasser sein musste. In Wirklichkeit war es noch schlimmer. Als
mein Po die Wasseroberfläche berührte, fingen meine Beinmuskeln an, sich zitternd zusammenzuziehen. „Ein kleiner Gruß von deiner Spastik“, witzelte sie. Es ist immer wieder erstaunlich, wie eigentlich gelähmte Körperteile auf Reize reagieren. Und dann: „Boa Jule, pfui. Cathleen hat
mich eben auch schon angepiescht.“
„Aaah, sorry, das ist so peinlich“, versuchte ich, mich zu entschuldigen. Das kommt von dem kalten Wasser, da zieht sich ja irgendwie alles zusammen. Ich ließ mich los und rückwärts in das eisige Wasser fallen. Es fühlte sich an wie mindestens tausend Nadelstiche, aber nach fünf Sekunden ging es. Ich tauchte wieder auf und versuchte, ruhig zu atmen. Sehr erfrischend. Ich guckte Maries Mutter in die Augen.
Als Ärztin müsste sie wissen, dass das eben keine Absicht war. Trotzdem
war es endlos peinlich und ich musste es unbedingt nochmal sagen: „Das war keine Absicht. Tut mir leid.“ – „Weiß ich doch, ist nicht schlimm. Cathleen hat sich auch sofort fallen gelassen. Marie würde sich hingegen
erstmal richtig festklammern und noch einen dummen Spruch machen.“ – „Marie ist aber auch deine Tochter.“
Was hatten wir für einen Spaß! Die Eltern schwammen mit uns ein Stück, dann kamen wir zu einer Sandbank, wo beide stehen konnten, der Vater schnappte sich Marie und warf sie im hohen Bogen weg, dann Cathleen, dann mich … es war richtig toll. Aber nach rund 10 Minuten mussten wir wieder raus, obgleich die Sonne von oben richtig gut wärmte.
Das Wasser war einfach noch zu kalt. Die Eltern trugen uns bis zum Strandkorb, so mussten wir nicht nass durch den Sand rutschen und sahen auch nicht aus wie die panierten Schnitzel.
Wir waren zwei Stunden später noch einmal drin, da war es anfangs nicht so kalt, dafür froren wir aber schneller, und gegen 18 Uhr zogen schlagartig dunkle Wolken am Himmel zusammen, die unter allen noch anwesenden Leuten eine blitzartige Aufbruchstimmung verbreiteten. Auf dem Rückweg haben wir noch kurz im Stau gestanden, aber insgesamt war es
ein absolut genialer Tag!