Wochenendlehrgang SH

Es war ein absolut genialer Wochenendlehrgang, mit genügend frisch getankter Kraft, um die letzte Woche vor den Semesterferien noch überstehen zu können. Auch wenn das Wochenende gleichzeitig ziemlich an meinen Kräften gezehrt hat. Aber am Ende im positiven Sinn.

Es ging diesmal vorrangig um das Schwimmen in freien Gewässern, und es war eine Vorbereitung auf ein Trainingslager, das ich ab nächster Woche für insgesamt fünf Tage besuchen werde. Insgesamt waren wir 14 Leute, damit war der Kurs mehr als überfüllt, denn es gab nur eine Trainerin aus Bayern, zwei Helfer aus Schleswig-Holstein und jede Menge Einzeltraining.

Zum Glück war das Wetter überwiegend genial und die Leute waren überwiegend nett, so dass der viele Leerlauf nicht sonderlich negativ auffiel. Jüngste Teilnehmerin war mit 14 Jahren eine Pia aus dem Raum Köln, die mit ihren Eltern angereist war, und während alle anderen auf dem Trainingsgelände zelteten, hatten ihre Eltern mit dem Kind im Viersterne-Hotel eingecheckt. Am Ende schliefen jene jedoch alleine im Hotel und hatten ein nettes Wochenende, während wir mit unserem Charme auch jenes überbehütete behinderte Kind aus den Fängen fürsorglichster Eltern gerettet hatten.

Prinzessin Pia war gewohnt, dass ihre Eltern sofort alles taten, was sie sich wünschte. Das gipfelte darin, dass sie ihren Papa losschickte, um einen Becher Wackelpudding mit dem Auto aus dem nächsten Ort zu holen, und sie sich hinterher darüber aufregte, dass er rot sei, während sie seit einigen Wochen doch nur noch grünen esse. Und das gipfelte auch darin, dass ihre Mutter mit einem Taschentuch zu Pia auf den Steg kam und ihr die Nase putzte. Nicht, dass Pia erkältet war oder ihr Rüssel gar tropfte oder Pia durch ihre Behinderung so eingeschränkt wäre, dass sie selbst kein Taschentuch halten könnte – nein. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme vor dem Schwimmen gehen, damit keine Schnodder in den See gelangt.

Dabei war Pia eigentlich total nett und herzlich. Ich habe mich richtig in ihr Lachen verliebt. Während sie in den ersten zwei Stunden ihren Namen höchstens in Flüsterlautstärke piepste, brauchte es, als die Eltern weggeschickt worden waren, gerade mal eine halbe Stunde, bis sie mit mir einen körperlichen Ringkampf auf dem Steg begann. Meine permanenten Frotzeleien hatten sie aus der Reserve gelockt. Dann war der Knoten geplatzt und sie begann, auch Marie, Cathleen, Simone und mich zu ärgern. Harmlose Dinge, wie dem rechten Nachbarn auf die rechte Schulter tippen, obwohl dort niemand steht. Oder jemanden mit einem Grashalm kitzeln, so dass der denkt, irgendein Krabbeltier suche Körperkontakt. „Habt ihr nicht noch einen Platz für mich im Zelt?“ – „Na sicher.“

Worüber sie in nächster Zeit auf jeden Fall nochmal nachdenkt: Verantwortung übernehmen. Nicht immer nur nach Mama oder Papa rufen, wenn man nicht mehr weiter weiß. Und vor allem dann nicht rufen, wenn man bestimmte Antworten nicht hören möchte. Ich will bestimmt niemanden, schon gar nicht Kinder, zu Ungehorsam erziehen. Aber einige Dinge gingen gar nicht. So durfte Pia, wäre es nach den Eltern gegangen, nicht mit uns Planschen gehen. Wir sind nach dem Schwimmtraining noch im flachen Wasser gewesen und haben dort rumgespritzt und mit einem alten Surfbrett rumgespielt – Pia sollte, nachdem sie gefragt hatte, ob sie noch mitmachen darf, sofort aus dem Wasser. Sie sei zum Training da und nicht zum Spielen. 13 Leute planschen im Wasser, Nummer 14 guckt zu und die Eltern merken nix.

Beispiel 2: Pia hatte einen zweiteiligen Neo. Absolut ungeeignet, weil die träger- und gürtellose Hose ständig runterrutschte und das Oberteil ständig hochrutschte. Um das zu verhindern, bekam Pia von der Mutter noch einen Nierengurt umgebunden, schön stramm. So kann aber niemand schwimmen, vom Wasserwiderstand mal ganz abgesehen. Wir haben nicht gepokert, ob die Eltern einem Experiment zustimmen, sondern Pia, als die Eltern kurz weg waren, zu viert überredet, den ganzen Kram gleich wieder auszuziehen und ihr meinen zweiten Neo angezogen. Von der Größe und der Figur passte er astrein, als Pia mit dem Einzeltraining dran war und die anderen alle auf dem Steg waren, kamen die Eltern zurück und waren zuerst sauer, anschließend aber erstaunt, welchen Unterschied die richtige Bekleidung macht. Dann schrieb sich der Vater erstmal die Marke auf und fragte Pia mindestens fünf Mal, ob der gut sei…

Pia bekam ihr Nutellabrötchen geschmiert, ihr Grillfleisch klein geschnitten, ihre Alltagsklamotten fertig zusammengelegt im Bündel von der Mutter präsentiert, alleine Umziehen durfte sie sich auch nicht, obwohl sie es konnte; plötzlich beim Essen unangekündigt die Haare gebürstet, zum Zähneputzen kam Mama mit ins Bad – Papa trug Pia sogar das Handy hinterher. Ich wäre fast wahnsinnig geworden. Aber ich freue mich auf das Trainingslager in der nächsten Woche: Eltern haben keinen Zutritt zum Trainingsgelände. Wir wollen aus Pia keinen anderen Menschen machen und sie soll auf jeden Fall 14 bleiben. Aber wenn sie so weiter macht wie bisher, schafft sie keinen Triathlon, bevor sie 30 ist. Und ich glaube, es tut ihr gut, wenn sie ihr Fleisch mal alleine klein schneiden muss.

Ich freue mich auf jeden Fall, in einer Woche die ganzen Leute wieder zu sehen und seit langer Zeit mal so richtig intensiv wieder trainieren und Spaß haben zu können. Das letzte Wochenende war zur Einstimmung auf jeden Fall perfekt!

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