Wenn ein Mensch in einen Laden geht, nur um dem Inhaber mitzuteilen, dass ihm die Auswahl missfällt, muss die Frage erlaubt sein, welches Ziel dieser Mensch mit seiner Aktion verfolgt. Möchte er das Sortiment ändern? Oder nur Stunk machen? Sehr viel einfacher macht es sich dieser Mensch, wenn er über seine Motivationslage aufklärt. Entsprechend versteht wohl jeder, dass ich unsachliche Meckerkommentare (dein Blog ist scheiße, deine Idiotenmagnetsgeschichten sind frei erfunden, …) nicht veröffentliche. Dadurch entsteht zwar ein falsches Bild, nämlich das, das alle meine Leser meinen Blog toll finden, aber ich glaube, damit kann ich leben.
Zum Thema „Idiotenmagnet“ habe ich in meinem Beitrag „Nur die Augen“ folgende These aufgestellt: „Diese
schrägen Situationen häufen und vermindern sich parallel zum Umfang der Behinderung, dem eigenen Umgang damit und den wiederum deshalb verwendeten Hilfsmitteln.“ Als ich das vor etwa einem Vierteljahr aus bestimmtem Anlass geschrieben habe, habe ich nicht lange über diesen Satz nachgedacht, sonst wären mir bestimmt auch noch Worte wie „Kongruenz“ eingefallen und ich hätte irgendwie auch noch die Abhängigkeit von persönlicher Assistenz mit eingebaut.
Entscheidend ist aber, und diese These möchte ich heute noch einmal so deutlich formulieren: Den Idiotenmagneten gibt es zu jeder Behinderung kostenlos dazu. Und seine Anziehungskraft bestimmt sich nach
dem im Ausweis eingetragenen GdB (Grad der Behinderung), ihrer Sichtbarkeit und ihren Auswirkungen im Alltag, den verwendeten Hilfsmitteln und Kompensationstechniken sowie … einer dem einen oder anderen unbekannten Größe, mit der man multiplizieren muss.
Meine Bank heißt genau so wie jene, die mit einem mit diesen Worten beginnenden Slogan seit vielen Jahren beworben wird. Zumindest jene Bank, bei der ich mein Girokonto habe. Für die Anlage meiner Unfall-Entschädigungen hatte man leider kein mir passendes Konzept. Ich möchte vorweg sagen, dass ich von dieser Bank (und das betrifft nicht nur einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, sondern alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen ich bislang zu tun hatte) immer korrekt und freundlich behandelt worden bin. Mein Kundenberater in der Filiale in der Nähe meiner alten Wohnung kam bei jeder Gelegenheit auf mich zu, gab mir die Hand, fragte, ob alles in Ordnung ist, erkundigte, wenn gerade nichts los war, sich nach meinem Sport – insgesamt sehr angenehm.
Wenn ich jetzt gezwungen wäre, über meine jetzige Kundenberaterin etwas negatives zu sagen, würde ich sagen, sie erscheint mir manchmal ein wenig overdressed. Wenn ich bei dem Wetter in kurzer Hose, Top, barfuß dort reinrolle und sie in Feinstrumpfhose, langem Rock, Bluse, Jacke und aufwändig zusammengesteckten Haaren sehe, möchte ich manchmal am liebsten fragen, ob sie nicht schnell mit an den See möchte, eine Runde schwimmen. Ich hätte überhaupt nichts, was ich kritisieren könnte, sie hat sich gerade erst für mich um eine Kreditkartenabrechnung gekümmert, auf der eine Buchung doppelt auftauchte, hat mir telefonisch einen Zwischenstand aufs Handy gegeben … ich mach es kurz: In einer Umfrage würde ich sie mit „sehr gut“ bewerten.
Dennoch habe ich heute über einen Link eines befreundeten Rollstuhlfahrers etwas gelesen, was ich zunächst nicht glauben konnte. Angeblich soll vor etwa zwei Wochen in einer Mitarbeiterkonferenz in einer (anderen) Filiale eben dieser meiner Bank beschlossen worden sein, einen Rollstuhlfahrer nicht mehr zu bedienen. Besagter Rollstuhlfahrer leidet an Muskelschwund, was nicht selten auch -wie bei ihm- eine Sprachbehinderung mit sich zieht. Die Mitarbeiter der Filiale ekeln sich vor dieser Behinderung, es sei eine große Zumutung. Er solle sich doch einer Assistentin bedienen, die sich ihren Job schließlich ausgesucht habe. Der Filialleiter habe, konfrontiert mit diesem Vorfall, lediglich ergänzt, die Mitarbeiterin sei besonders geruchsempfindlich.
Ich hätte das nicht weiter aufgegriffen, weil es so unglaublich klingt. Die Bank bestätigt diesen Vorfall aber mindestens indirekt, indem sie auf ihrer Webseite zu dem Thema schreibt: „Dieser Ausnahmefall tut uns und der betreffenden Kollegin sehr leid und entspricht selbstverständlich nicht unserem Verständnis von Kundenservice. Wir haben uns deshalb bereits kurz nach dem Filialbesuch in der vergangenen Woche bei Herrn W. persönlich entschuldigt und zwei längere Gespräche mit ihm geführt. Herr W. teilte uns daraufhin mit, dass er weiterhin bei [uns] betreut werden möchte. Außerdem haben wir Kontakt zum Verband behinderter Menschen aufgenommen, um zu prüfen, ob es dort ggf. weitere Empfehlungen für den Umgang mit behinderten Menschen gibt.„
Da wird eine Mitarbeiterkonferenz einberufen, in der es zu dem Beschluss kommt, einen behinderten Menschen, der seit Jahren Kunde ist, wegen seiner Behinderung nicht mehr zu bedienen? Was bitte läuft da falsch?! Wie kann es zu solchen Vorgängen kommen?
Ich kenne den ganzen Sachverhalt nicht. Ich kenne den Kunden nicht. Kackt der regelmäßig ein, so dass es zu solchen Geruchsbelästigungen kommt? Dann würde ich der Bank zustimmen, das ist unerträglich. Ich meine das völlig ernst: Das kann ja mal passieren. Wenn jemand, ob nun durch einen Querschnitt oder durch schwindende Muskelkraft, das eine oder andere nicht mehr so ganz unter Kontrolle hat, geht schonmal was in die Hose. Und das stinkt dann auch. Und ich würde, würde mir das passieren, ganz sicher nicht in einen Supermarkt, eine Bank oder ähnliches gehen rollen. Zumindest nicht, um dort seelenruhig jemanden anzusprechen, ob er mir einen Überweisungsträger ausfüllt. Sondern ich begebe mich schnurstraks unter die nächste Dusche und mache mich sauber, und wenn ich das nicht selbst kann, bitte ich meine Pflegekraft, das zu tun.
Wie gesagt, ich kenne den Kunden nicht. Ich kann mir alles mögliche vorstellen. Und darauf darf man auch als Dienstleister, auch als solcher für behinderte Menschen, angemessen reagieren. Wenn der Herr mit einem tropfenden Rollstuhl reinkommt und die Auslegware der Filiale mit einer Urinspur versieht, muss er für den Schaden aufkommen. Wenn das mehrmals vorgekommen ist und er die Reinigung nicht zahlen kann, hätte man meines
Erachtens ebenfalls einen sachlichen Grund, um den Herrn des Hauses zu verweisen.
Wenn der Kunde rumsabbert und vielleicht noch mit seinen Händen ständig seinen runtertropfenden Speichel abwischt, dann kann ich es gut verstehen, wenn eine Bankmitarbeiterin demjenigen nichts in die Hand drücken will oder mit ihm zusammen mühsam die Unterschrift auf einem Überweisungsträger anbringt. Aber dann kann die Lösung doch nicht sein, dass man denjenigen rauswirft! Onlinebanking wäre sicherlich eine Möglichkeit, aber wer weiß, ob der Kunde überhaupt einen PC bedienen kann. Es wird sich doch eine andere Lösung finden: Beispielsweise dass der Kunde den Auftrag mündlich erteilt und zwei Bankmitarbeiter gegenzeichnen. Sollte er dann einmal behaupten, er habe den Auftrag nicht erteilt, hätte man wiederum einen Kündigungsgrund, nämlich ein fehlendes Vertrauensverhältnis, was für eine Bank ja besonders wichtig ist.
Ich sage es nochmal: Ich kenne weder die Bankmitarbeiterin noch den Kunden. Aber ich weiß, dass ich schon Leuten begegnet bin, die sich, nachdem sie mir die Hand gegeben haben, eben diese sofort waschen mussten. „Wer weiß, wo die überall ihre Finger hatte.“ – Soll ichs sagen? Genau dort, wo andere Leute ihre Finger auch haben.
Was mich an dieser Sache besonders stört, ist, dass hier wieder neuer Raum geschaffen wird, mit großem öffentlichen Druck auf ein politisch korrektes Verhalten zu drängen. Die Mitarbeiterin wird, auch wenn sie sich 1.000 Mal entschuldigen muss, um ihren Job zu behalten, nicht morgen oder übermorgen ein neutrales Verhältnis zu sabbernden oder pupsenden Kunden haben. Es entwickelt sich ein Umgang, vielleicht sogar eine Kultur, die es mir immer schwerer macht, festzustellen, ob jemand mich akzeptiert oder ob er mich akzeptieren muss. Klar, bei meiner Bankmitarbeiterin im Dienst könnte ich mit aufgesetzter Akzeptanz leben, solange es sich eben nur um ein zeitlich begrenztes Ereignis wie einen Bankbesuch handelt. Aber wäre es nicht wesentlich sinnvoller, echte Akzeptanz zu generieren? Das wäre, glaube ich, gar nicht sooo kompliziert…