Unsere Bevölkerung wird immer älter, vor allem durch höhere Lebenserwartung und niedrige Nachwuchsraten. Damit nimmt automatisch auch die Anzahl der an Demenz erkrankten Menschen zu. Schon heute fehlt es bei ihrer Versorgung an allen Ecken und Kanten. Die Neuordnung der Pflegeversicherung, aus der bezahlt werden soll, dass sich jemand um diese „Menschen im Hier und Jetzt“ kümmert, war überfällig.
Allerdings: Eine ehrgeizige Suche nach nachhaltigen Lösungen habe ich
mir anders vorgestellt. Selbst die von den Finanzierungsproblemen losgelöste Suche nach einer respektvollen Bezeichnung für eine Gruppe mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind, hat man in den Monaten intensiver Suche nicht gefunden. Und so bleibt es übergangsweise bei „Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz“. Pfui.
Und in allen Fällen testet man bis 2015. Und hat auch nur bis dahin eine gesicherte Finanzierung über eine Beitragserhöhung von 0,1% ab 2013
gefunden. Soll heißen: Dass dringend etwas getan werden muss, ist allen
klar. Antworten hatte aber keiner. Und so probiert und testet man erstmal – und sucht weiter.
Positiv, ich will ja nicht nur meckern, sind jedoch aus meiner Sicht einige Ansätze, die sich unter anderem auf Erfahrungen stützen, wie wir sie mit unserer großen WG gemacht haben. Ab 2013 unterstützt die Pflegeversicherung die Gründung solcher Wohngruppen, in der sich mehrere
Pflegebedürftige ihre Pflege und Assistenz selbst organisieren, mit einmalig bis zu 20.228 € für Umbaumaßnahmen. Bisher waren es 2.557 €.
Da es bei uns im Haus offiziell drei WGs gibt, hätte unser Trägerverein auf dem Wege knapp 61.000 € erhalten können – statt 8.500 €. Nachträglich gibt es diese Leistung aber nicht mehr, insofern dürfen wir uns allenfalls darüber freuen, mit unserem positiven Beispiel Wege geebnet zu haben.
Was jedoch funktionieren wird: Diejenigen von uns, die nur für bestimmte und einzelne alltägliche Verrichtungen die Hilfe einer Pflegekraft oder einer Assistenz benötigen und kein trägerübergreifendes
(also mischfinanziertes) „Persönliches Budget“ in Anspruch nehmen, können für Hilfen im Alltag, die nicht direkt Pflegeleistungen sind, aber mit ihnen im Zusammenhang stehen (Nebenleistungen), zusätzlich bis zu 200 € pro Monat erhalten. Wie die Pflegekassen das umsetzen, bleibt abzuwarten.
Und unser Trägerverein, der ja gemeinnützig und damit ohne die Absicht, Gewinne zu erzielen, arbeitet, kann auf Antrag durch die Pflegeversicherung finanziell für bestimmte Projekte mit entsprechend anerkanntem Konzept unterstützt werden. Bisher war das nicht möglich, da
wir, so die Begründung, nicht „themenübergreifend“ tätig sind und uns nur der Hilfe für wenige Indikationsgruppen widmen. Allerdings reden wir
hier von keinen Unsummen, sondern in der Regel von drei- bis vierstelligen Anschubfinanzierungen für irgendwelche Dinge, die sich später selbst tragen, andere Kosten minimieren oder auf Umwegen in irgendeine öffentliche Kasse wieder Geld hineinspülen (dazu das nötige anerkannte Konzept).
Was bleibt noch? Ein noch ganz wichtiger Punkt: Die Pflegekassen müssen künftig innerhalb von fünf Wochen begutachtet und entschieden haben, wenn jemand einen Antrag stellt, sonst müssen sie ohne Entscheidung pauschal eine festgelegte Summe vorleisten. Ich kann nicht mitreden, weil ich keine Pflegeleistungen aus der Pflegeversicherung erhalte, sondern bei mir die Unfallversicherung zuständig ist. Allerdings habe ich aus dem Freundeskreis schon von Fällen gehört, in denen eine Entscheidung über ein halbes Jahr auf sich warten lassen hat.
Auch wenn dann nachgezahlt wird: Wer hat schon so viel auf der hohen Kante, dass er eine Pflegekraft (oder mehrere) mal eben ein halbes Jahr vorfinanzieren kann?
Und noch etwas: Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung, eine
Körperschaft des öffentlichen Rechts, die auch für die Begutachtung von
Pflegebedürftigen zuständig ist, muss einen Verhaltenskodex erstellen und sich an diesen halten. Traurig, dass das sein muss, weil da eigentlich nur drinstehen wird, wie man respektvoll miteinander umgeht. Es muss aber sein: Aus den letzten sechs Monaten kenne ich zwei Fälle, in denen der Pflegebedürftige den Gutachter vor die Tür gesetzt hat, weil er sich nicht benehmen konnte.
Einmal gab es dumme Kommentare zu einer Packung Kondome im Nachtschrank, als der Gutachter sich zeigen lassen wollte, ob Handschuhe
und Desinfektionsmittel vor Ort sind (im Sinne von: Wer vögeln kann, braucht keine Pflege), ein anderes Mal weigerte sich der Gutachter, Koordinationsstörungen zu berücksichtigen, weil die Türrahmen nicht verschrammt seien. Hätte die Pflegebedürftige solche Koordinationsstörungen in den Armen, würde sie mit ihrem Rollstuhl öfter
mal gegen die Türrahmen krachen. Danach sehe das aber nicht aus. Fakt war aber, dass die betroffene Frau ganz offensichtlich nicht mal ein Glas zum Mund führen konnte, die Erkrankung immer mit Koordinationsstörungen einhergeht, die Erkrankung zweifelsfrei und seit Jahrzehnten stetig fortschreitend dokumentiert war.
Zusammenfassend möchte ich also sagen: Dass privat organisierte Wohngruppen für pflegebedürftige Menschen künftig besser gefördert werden, finde ich (wie überraschend) gut. Dass Menschen mit Demenz künftig besser gefördert werden, auch. Klauseln, wie wir miteinander umgehen, sind immer ein Armutszeugnis. Und die beschlossene gedeckelte Finanzierung der Neuerungen für maximal vier Jahre zeigt einerseits die Ratlosigkeit zu diesem Thema – gibt aber andererseits die Hoffnung, dass
innerhalb der nächsten vier Jahre doch noch ein etwas größerer Wurf gelingt.