Brausebonbons habe ich nicht gegessen. Schmetterlinge auch nicht – würde ich nie tun. Trotzdem fühle ich mich, als hätte mir einer eine Ampulle Oxytocin in meine Brause gemixt. Und wer heute aufmerksam in den Himmel guckt, sieht zwischen all den Regentropfen eine Socke im Himmel hängen. Keine Sorge, da ist nichts explodiert, die Socke ist auf völlig natürlichem Weg dorthin gelangt. Durch die graue Suppe ist es schlecht zu erkennen, aber sie hängt tatsächlich an der siebten Wolke.
Ja, die hatte ich lange nicht. Die roten Öhrchen. Und das Kribbeln im Bauch. Und alles könnte so schön sein, hätte der Esel eine Antenne für meine Gefühle. Was? Nee, hat er nicht. Und meinen Blog liest er auch nicht. Und meine Leute wissen auch, falls sie wissen, wer gemeint ist, dass ich absolute Zurückhaltung erwarte. Mir muss niemand beim Rangieren helfen. Das bekomme ich schon selbst hin – oder eben auch nicht, und dann ist das auch okay und besser als wenn schon vor dem ersten Kuss eine Eheberatung in Anspruch genommen werden muss.
Kein Rollstuhlfahrer. Ein Fußgänger. Auch wenn wir ja alle behindert sind, gut möglich, dass in diesem Fall meine 100% für uns beide reichen. Er ist 28, also unendliche achteinhalb Jahre älter als ich. Das ist schwierig, ich weiß. Und als athletisches Model geht er auch nicht durch, weiß ich auch. Aber hässlich ist er keineswegs! Er hat total hübsche Hände. Und faszinierende Augen. Sein Verhalten kann ich nur schwer beschreiben: Er ist sehr zurückhaltend, nicht schüchtern, aber eben sehr reflektiert und eher leise; wenngleich er auch toll und mitreißend lachen kann und ich seinen Humor sehr mag. Gestern wollte er mich irgendwas fragen, hat mindestens vier Anläufe gebraucht, um die richtigen Worte zu finden, ich habe ihm anscheinend völlig den Kopf verdreht und dachte nur: „Scheiße, ist der süß.“
Er ist sehr intelligent. Hat ein abgeschlossenes Masterstudium. Schreibt Blödel-SMS einerseits, schreibt lange Texte ohne einen einzigen Rechtschreibfehler andererseits. Fachsimpelt mit mir über Muskelausfälle bei Querschnittlähmungen, ohne vom Fach zu sein. Kreiert eine geile Wiedergabeliste für eine Geburtstagsfeier, kann Gitarre spielen und singt ohne jede Probe bei einem spontan auf einer Party vorgetragenen Song die zweite Stimme, hat tolle selbst gemachte Fotos auf seiner Webseite, schüttelt bei einem spontan an einem Spieleabend gespielten Wissensquiz Antworten aus dem Ärmel, von denen ich noch nicht mal gewusst hätte, wo ich sie suchen sollte, hat ein unheimlich ausgeprägtes Gespür für sein Gegenüber und ist stets bescheiden darauf bedacht, dass niemand zu kurz kommt.
Gestern hat er mich mit seinem Auto nach Hause gefahren. Den Transfer vom Fahrersitz in den Rolli mache ich ja ständig, bei derselben Übung spiegelverkehrt setze ich mich natürlich prompt daneben und rutsche zwischen Auto und Rollstuhl, Kopf voraus. Nicht völlig, sondern nur so halb und das beste, was man dann machen kann, ist: Einmal von hinten das obere Hosenbund packen und mir wieder hochhelfen. Während ich da auf halb sieben hänge, weder vor noch zurück komme und mich allenfalls auf den Boden fallen lassen könnte, fragt er: „Darf ich dir an den Arsch greifen?“ – Holt sich also quasi die Erlaubnis, mich, oder besser mein Hosenbund dort zu berühren, um mir in den Rolli zu helfen. Wie süß! Junge, pack einfach zu! Und am liebsten ziehst du mich ganz zu dir hoch und küsst mich. Aber es blieb beim Reinhelfen in den Rolli. Menno.
Wir kennen und inzwischen seit zwei Jahren. Hatten viele stundenlange Gespräche. Über Gott und die Welt. Vor einigen Monaten hat ihn seine Partnerin verlassen, wegen eines anderen. Bis dahin hätte ich nicht mal mit ihm geflirtet. Inzwischen mache ich das so gut, wie ich es kann. Aber er sagt, beiläufig: Er fängt so schnell keine neue Beziehung mehr an, das ist alles viel zu kompliziert. Er sagt, er sehe mich als gute Freundin. Normalerweise würde ich ihm einfach immer deutlicher machen, dass ich in ihn verliebt bin. Aber ich habe Angst. Davor, dass er mir nicht glauben wird, dass ich mich auch mit einem „Nein“ arrangieren kann, ohne dass er den Kontakt zu mir abbrechen muss. Und „Nein“ sagt und sich von mir abwendet. Wir verstehen uns eben so auch sehr gut, ohne
eine Beziehung zu haben. Schwierig das.
Auf jeden Fall muss ich dauernd an ihn denken und hoffe einfach, dass wir zu einer für uns beide einen guten Weg finden. Am liebsten einen auf meiner Wolke, klar. Aber zur Not eben auch einen freundschaftlichen, der mit etwas von mir zu leistender Vedauungsarbeit beginnt. Ich brauche nur irgendwann mal eine klare Richtung, so ein dauerhaftes Überangebot an Hormonen kann über längere Zeit auch unangenehm werden.