Rollstuhl-Eingang

Wie öde kann eine Welt doch sein, wenn zwei Wochen lang eine Rollstuhl fahrende Stinkesocke keine Kuriositäten in ihr Online-Tagebuch
postet?

Wenn man in einem so einigermaßen kuscheligen Bettchen liegt und von einigermaßen niedlichen Krankenschwestern gepflegt wird, kommt mir hin und wieder die Überlegung in den Kopf, mein Idiotenmagnet könnte doch irgendwo am Rollstuhl montiert sein. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, er ist in meinem Körper direkt mit meiner Behinderung verwachsen. Vielleicht könnte eines Tages ein neues Rollimodell, garantiert ohne Idiotenmagnet, eine Marktlücke schließen und zum Verkaufsschlager werden.

Nein, im Ernst: Die Kuriositäten hielten sich in Grenzen. Dafür hat mich ein guter Kumpel aus meinem Sportverein besucht und mir neben stopfender Schokolade auch die Story zu einem jüngsten Erlebnis mitgebracht, das auch mir passieren hätte können. Er hat nicht das gleiche Rollimodell, sondern fährt einen Prototypen, also eine Einzelanfertigung. Aber selbst die scheint es nicht ohne diesen Magneten
zu geben.

„Ich komme bei Aldi durch die Eingangstür. Uralter Markt, noch mit Drehkreuz und rechts daneben hängen ein Dutzend orangefarbene Plastiklappen von einer Stange, unter der man seinen Einkaufswagen hindurchschiebt, während man sich selbst durch das Drehkreuz zwängt. Als
Rollifahrer hast du da keine Chance. Aber: Das Drehkreuz hat ja eine Paniksicherung. Am Ring drehen, und schwuppdiwupp kann man das zur Seite
schieben, durchfahren, und danach wieder hinschieben.

Da das aber wohl zu viele machen, auch gegen die Einbahnstraße und mit mehreren Flaschen Sprit unter der Jacke, haben die in dem Aldi-Markt
eine Hupe angebracht. Sobald einer das Drehkreuz verschiebt, gibt es ein lautes Geräusch, etwa wie eine Kindertröte, die man auf dem Jahrmarkt bekommt und bei der Kinder über Stunden fasziniert sind, wenn sich der Papierrüssel auf- und abrollt. Sehr zur Verzweiflung der Eltern. Nur das Ding bei Aldi ist noch gefühlte 10 Mal lauter.

Also vermeide ich natürlich, das Ding zu öffnen und da so einen Lärm zu machen, sondern hole lieber einmal Schwung, Brust auf die Knie und Hände vorweg unter diesen orangenen Lappen hindurch getaucht.

Letztes Mal steht kurz dahinter eine Oma, eine Hand ihre Handtasche, andere Hand eine Packung Apfelsaft, den Mund weit offen. Nach drei Sekunden fängt sie sich, schluckt und sagt: ‚Ich finde das toll, dass die heute immer mehr auch auf Behinderte Rücksicht nehmen müssen. Dieser
Rollstuhl-Eingang war mir vorher noch nie aufgefallen.’“

Wir haben so derbe gelacht, dass ich mich verschluckt habe. Tränen in
den Augen, alles tat mir weh – und meine Bettnachbarin fand das gar nicht witzig. Sie meinte, das Verhalten der alten Dame sei beschämend und zeuge von flacher Intelligenz, zumal sie ja ihre Einkaufskarre kurz zuvor selbst durch diesen „Rollstuhleingang“ geschoben hatte.

Herrlich. Mehr fällt mir dazu nicht ein.

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