Fahrtkosten und Rückwärtsgang

Meine Triathlonsaison ist für dieses Jahr beendet, vielleicht kommt noch irgendwas spontanes im Schwimmen oder eine Ergometer-Party, aber richtige Wettkämpfe – eher nicht. Also hatte ich am Samstag einem „Funktionär“ (mir fällt gerade kein anderes Wort für jemanden ein, der sich im Ehrenamt um seine Freizeit bringen lässt, damit es allen Mitgliedern gut geht) aus unserem Sportverein geschrieben, dass ich gerne meine Fahrtkosten einreichen möchte. Man muss dazu wissen, dass das Land Vereine dabei unterstützt, wenn sie ihren Sportlern im Amateurbereich die Aufwendungen, die sie im Wettkampfbetrieb haben, bezuschussen.

Nicht, dass ich auf finanzielle Hilfe angewiesen bin, aber ich fände es falsch, diese Mittel ungenutzt liegen zu lassen. Dann sind sie nämlich im nächsten oder übernächsten Jahr, wenn sie vielleicht dringend gebraucht werden, gestrichen. Also bitte ich meinen Verein um einen Fahrtkostenzuschuss. Zwei Drittel davon zahlt der Verein aus eigenen Einnahmen, bis zu einem Drittel davon zahlt das Land. Anschließend spende ich die Gesamtsumme wieder an den Verein, zuzüglich eines fiktiven Wertes, den ich voraussichtlich an Steuern spare, wenn ich spende (meistens so fünfzehn bis zwanzig Prozent).

Ich bin in diesem Jahr knapp über 2.500 km gefahren, etliche Strecken mit mehreren weiteren Sportlern. Bei einem Kilometersatz von 20 Cent sind das rund 500 €, von denen das Land 162 € zahlt, der Verein zahlt 338 €. Anschließend spende ich 650 €, weil ich davon ausgehe, dass ich durch eine Spende von 650 € rund 100 € Steuern sparen kann – der Rest geht zu meinen Lasten, ich will ja schließlich nicht profitieren. Somit hat der Verein durch meine Abrechnung (162 + 150 =) 312 € eingenommen, die er für sinnvolle Projekte verwenden kann, zum Beispiel für die Unterstützung von (in diesem Fall konkret drei) körperlich sehr eingeschränkten Menschen aus einer Pflegeeinrichtung, die unbedingt auf ein Vereinsturnier mitfahren wollen, das nötige Kleingeld dafür aber nicht haben.

Ich bin normalerweise nicht für Schmu zu haben, aber wenn ich höre, dass für diese Menschen kein öffentliches Geld da ist (oder nur einmal pro Jahr), während meine Fahrten aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden könnten, dann nehme ich doch dieses Geld an und schenke es denen, die es brauchen. Ich würde normalerweise nie darüber schreiben, aber nachdem sich gerade in der letzten Woche einige Vereinskollegen (nein, nicht vom Triathlon) darüber aufgeregt haben, dass ich Fahrtkosten abrechne, muss ich mal dagegen halten. Die jeweils zugehörigen Spenden in den letzten Jahren haben diese Kollegen -wie könnte es anders sein- großzügigerweise übersehen.

Wie dem auch sei, den einen oder anderen Stinker gibt es ja überall. Ich traf mich also heute nach einer Sportveranstaltung mit dem erwähnten „Funktionär“, übergab die Abrechnung, machte vom dortigen Rechner die Online-Überweisung für die Spende klar, bekam die Spendenquittung und quatschte gerade sehr angeregt mit dem Typen (er ist 20 Jahre älter als ich, nicht mein Typ, aber ich liebe es, ihm den Kopf zu verdrehen und mit ihm zu schäkern), als draußen vor der Tür eine Pöbelei los ging.

Ein Rollstuhlfahrer, ein alter Mann, vermutlich über 70, vermutlich nach einem Schlaganfall, bewegte sich mühsam auf dem Gehweg entlang. Mit unserem Verein hatte er nichts zu tun, vermutlich war er bei einer nahe
gelegenen Tankstelle und hat sich eine Zeitung geholt – oder sonstwas. Durch das Bürofenster konnte man ihn beobachten und auch hören. Er war halbseitig gelähmt und fuhr rückwärts. Hatte also sein rechtes Bein auf dem Fußbrett, während er mit dem linken sich rückwärts im Rollstuhl sitzend vom Boden abstieß und mit seiner linken Hand durch Bremsen am Greifreifen steuerte. Von Zeit zu Zeit wird er sich umgedreht haben, vielleicht hat er auch spekuliert, dass alle ihn sehen und ausweichen. Ich weiß es nicht; jedenfalls pöbelte eine Radfahrerin, geschätzt Mitte 40, derbst herum, ob er nicht merken würde, dass er rückwärts fährt.

Ich dachte, ich höre nicht richtig. Der alte Mann konnte kaum reden und verteidigte sich mühsam. Ich bekam zunehmend den Eindruck, der Frau ging es nur um Krawall. Sie war von seiner Rückwärtsfahrerei überhaupt nicht betroffen, sie hätte mit dem Fahrrad nicht nur um ihn herumlenken können, sondern die Wege haben sich noch nicht einmal gekreuzt oder gar geschnitten, da er auf dem Gehweg und sie auf dem Radweg fuhr. Am liebsten wäre ich aus dem Büro rausgefahren und hätte ihr ein paar gescheuert, so angepisst war ich von dieser blöden Kuh. Aber natürlich löst man Konflikte nicht mit Gewalt und mein „Funktionär“ stand auch noch vor mir und versperrte mir damit den Weg nach draußen.

Allerdings nicht mehr lange, dann öffnete er die Tür und stellte sich, Arme in die Seiten gestemmt, vor das Büro. Er hat kein einziges Wort gesagt, nur geguckt. Das schien gereicht zu haben, um die Frau unsicher werden zu lassen. Sie blubberte noch irgendwas vor sich hin und
fuhr mit einem „glotz nicht so“ davon. Das möchte ich eines Tages auch mal können: Mich irgendwo hinstellen, ein autoritäres Gesicht machen – und alle benehmen sich. Ob ich jemals dorthin komme?

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