Ich habe das Gefühl, man kann es nicht oft genug erzählen. Denn es ist jedes Mal unerträglich, und immer, wenn ich denke, da bessert sich mal was, werde ich aufs Neue enttäuscht.
Gestern abend stehen Marie und ich an einer Bushaltestelle, wollen nach Hause. Es ist arschkalt, Schneetreiben, das Haltestellenhäuschen bietet nur wenig Schutz, da der eiskalte Wind selbstverständlich aus de Richtung kommt, wo die Glasscheibe fehlt. Endlich kommt der Bus, der u diese Zeit nur noch alle 30 Minuten fährt.
Im Bus sind noch lange nicht alle Sitzplätze belegt und es stehen vielleicht acht bis zehn Leute im Gang. Vier davon stehen ausgerechnet im Bereich der hinteren Tür, durch die wir hinein wollen. Der Busfahrer hält an, öffnet die hintere Tür, senkt den Bus ab. Ich balanciere die Vorderräder meines Rollis über die Schwelle. Als die Hinterräder gegen die Kante stoßen, greife ich um, um mich an den auf der Innenseite der Türen angebrachten Haltegriffe in den Bus zu ziehen. Zuerst muss ich aber die vier Leute ansprechen, die offensichtlich noch nicht gemerkt haben, dass sie im Weg stehen.
„Entschuldigung, darf ich mal durch?“, ist meine Frage. Keine Reaktion. Ich frage noch einmal: „Hallo! Könnten Sie ein kleines Stück zur Seite gehen, bitte?“
Die vier Typen, alle in meinem Alter, alle Marke „Türsteher“, reden weiter und ignorieren mich. Ich setze ein drittes Mal an: „Jungs!! Ihr steht in der Tür! Geht doch bitte mal ein paar Schritte weiter, damit wir einsteigen können.“
Über Lautsprecher sagt der Busfahrer: „Machen Sie dahinten mal die Tür frei! Die Leute wollen ein- und aussteigen!“
Einer der vier antwortet leise: „Alter, mach die Tür zu, es wird kalt hier drin!“ – Gelächter.
Normalerweise müsste man den Leuten einfach in die Hacken fahren. Nu die Gefahr, dass sie sich dann bewusst auf mich fallen lassen oder gewalttätig werden, ist mir zu groß. Also rolle ich zurück, wieder auf den Gehweg, will am Bus vorbei nach vorne zum Fahrer und den bitten, ob er uns hinten beim Einstieg helfen könnte. Was macht der? Der Fahrer schließt die Türen und fährt ab. Maries einziger Kommentar: „Oah, was für Wi…er hier wieder.“
Der nächste Bus würde in einer halben Stunde kommen. Ich mache mir die Mühe, rufe über Handy die Nummer des Verkehrsunternehmens an, die i der letzten Zeile des Fahrplanaushangs abgedruckt ist. Nach dem dritte Tuten hebt jemand ab. Ich schildere dem Mitarbeiter am anderen Ende de Leitung, was sich gerade ereignet hat. Er sagt mir zu, den Fahrer über Funk anzusprechen und zu fragen. Er rufe mich gleich zurück. Es tue ihm leid, dass wir nun eine halbe Stunde bei der Kälte warten müssten.
Fünf Minuten später klingelt mein Handy. Der Fahrer habe über Funk mitgeteilt, eine Beförderung der Rollstuhlfahrer sei nicht möglich gewesen, da es im Bus hierfür nicht genügend Platz gegeben hätte. Gerad am Freitagabend käme es hin und wieder vor, dass der Bus bis zur Kapazitätsgrenze ausgelastet sei. Ich antworte: „Das stimmt nicht. Im Bus waren mehrere Sitzplätze noch frei und es waren allerhöchstens acht bis zehn Stehplätze belegt.“
„Da habe ich leider eine andere Information von unserem Mitarbeiter. Und der trägt auch die Verantwortung.“ – „Sie machen es sich zu einfach Das ist eine Schutzbehauptung, der Bus war höchstens zu 30% ausgelastet.“ – „Ich muss mich auf die Angaben verlassen können, die unser Mitarbeiter macht. Und wenn der sagt, der Bus ist voll, ist der Bus voll. So einfach ist das leider.“
Lohnt es, sich darüber aufzuregen? Nein. Immerhin sind wir nicht noc beschimpft und vermöbelt worden, weil wir die Typen angesprochen haben.
Würde das jemand tun? Ja. Eine ähnliche Szene hat sich vor knapp zwe Wochen in Hamburg abgespielt, Opfer wurde ein Rollstuhlfahrer, den ich flüchtig kenne. Er war in Begleitung seiner Frau, als diese ebenfalls einen anderen Fahrgast ansprach, ob er ein paar Schritte weitergehen könnte, weil er im Weg steht. Antwort: „Nur weil dein Mann behindert ist, muss ich doch nicht zur Seite gehen.“
Um nicht die Abfahrt des Busses aufzuhalten, stellte sich der Rollstuhlfahrer erstmal in den Gang und diskutierte während der Fahrt weiter, ob der andere Fahrgast nun nicht doch ein Stück weiter gehen könnte, damit nicht alle über ihn drübersteigen müssten. Der hatte allerdings kein Einsehen, sondern fing an zu pöbeln, vertrat die Meinung, dass ein Elektrorollstuhl nicht in den Bus gehöre, sondern auc mit eigener Motorkraft nach Hause käme, bezeichnete den Rollstuhlfahre als Krüppel und seine Ehefrau als Hure. Auf das Theater wurde der Sohn aufmerksam, der von der Arbeit kommend zufällig in der vorletzten Reihe des Gelenkbusses saß und sich nach vorne zu seinen Eltern durchdrängelte.
Was dann geschah, kann man nur spekulieren. Jedenfalls kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Sohn die Nervensäge ein Stück weiter geschubbst haben soll. Man muss allerdings wissen, dass der Sohn eher die Figur eines Milchbubis als die eines Bodybuilders hat. Um das nicht noch weiter eskalieren zu lassen, sei die komplette Familie an de nächsten Haltestelle ausgestiegen und die letzten zwei Kilometer zu Fuß weiter gegangen. Wurde dabei allerdings noch von der Polizei angehalten, nachdem die Nervensäge telefonisch diese verständigt und hinterher Anzeige wegen Körperverletzung erstattet hat. Also hat die Sache -neben einem Artikel in einer Hamburger Tageszeitung- auch noch ein gerichtliches Nachspiel. Unglaublich.