Die Finsternis Einer Behinderung

Er liest meinen Blog nicht. Und wenn, hat er nicht gelesen, was ich vor etwa einem Vierteljahr geschrieben habe, als ich in einer fast täglich erscheinenden Boulevardzeitung seine Worte abgedruckt sah. Damals war am Bodensee eine Werkstatt für Behinderte abgefackelt.

Klar, warum sollte er meinen Blog lesen? Es wäre vermessen, das anzunehmen oder gar zu erwarten. Nur kenne ich diverse öffentliche Stellungnahmen von Menschen mit Behinderung, die meiner recht ähnlich sind. Irgendeine müsste ihm doch … ach vergiss es.

Heute nun richtet sich sein Brief, der wieder in jener großen Boulevardzeitung abgedruckt ist, an einen ganz bestimmten Rollstuhlfahrer. Jener hatte damals die blödsinnige Idee, über Autos zu springen, und hat sich dabei übel auf die Fresse gepackt.

„Lieber Samuel“, heißt es in dem offenen Brief, „ich bewundere Sie, dass Sie auf einer Party sind und nicht in der Finsternis Ihrer Behinderung bleiben.“

Ich weiß zwar nicht, ob eine Behinderung finster ist, aber zwei Ding weiß ich sicher: Erstens gibt es viele Rollstuhlfahrer, auch E-Rollstuhl-Fahrer, die sogar tanzen können, und zweitens gibt es sogar viele Rollstuhlfahrer, die nicht nur zum Tanzen auf eine Party fahren!

Aufklärung naht: „Sie können nicht tanzen.“ – Und sich nicht an der Nase kratzen. Und so weiter. Weil: „Alles ist gelähmt. Was nicht gelähm ist, sind Ihre Träume. Deshalb waren Sie im Rollstuhl auf dieser Party Ich hoffe, dass Sie in Ihren Träumen bis zum Abwinken tanzen konnten.“

Ich möchte mich schon wieder übergeben. Könnte dieser Mensch mal aufhören, seine verrückten Vorstellungen über das Volk zu gießen? Finsternis! Glaubt wirklich irgendjemand, dass ein Rollstuhlfahrer auf eine Party fährt, um davon zu träumen, wie es wäre, jetzt tanzen zu können? Wenn ich auf eine Party fahre, dann möchte ich mich vorher gut anziehen und ein bißchen aufbrezeln, dort nette Leute treffen, mich mit ihnen angeregt unterhalten, viel lachen, was Gutes essen, was trinken, vielleicht auch tolle, neue, laute Musik hören und mal den Alltagsstres hinter mir lassen.

Natürlich ziehe ich mich gut an und brezel mich ein bißchen auf. Nein, ich sehe nicht aus wie ein Tuschkasten und rieche auch nicht wie eine Parfümerie. Ich bin eher eine Freundin von Dezenz und Unaufdringlichkeit. Aber ich bin, streng genommen, „geschminkt und wohlriechend“, und manchmal trage ich auch ein Kleid. Wie viele andere Menschen auf jener Party, bei der jener Briefeschreiber den Samuel getroffen hat. Samuel war allerdings nicht geschminkt, nehme ich an. Un ein Kleid trug er wohl auch nicht. Und wohlriechend war er … ähm, wie jetzt?!

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