Mein Freitagabend ist schnell vorbei und wird vor dem Fernseher enden. Es dauert im Allgemeinen verdammt lange, bis meine Geduld zu End ist, aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die finde ich so schlimm, dass ich sie nicht ertragen möchte.
Es fand eine Party von einer Sportkollegin statt. Sie trainierte früher in meinem Verein, hat aber in etwa zu dem Zeitpunkt aufgehört, als ich mit dem Triathlontraining begonnen habe. Einige von den älteren Hasen kennen sie noch intensiver als ich. Trotzdem hat sie auch mich zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladen, was ich sehr nett fand. Es waren viele Leute da, viele Rollstuhlfahrer. Die Gastgeberin selbst sitzt nicht im Rollstuhl, hat aber nach einem Autounfall beide Beine unterhal der Knie amputiert bekommen. Sie kann im Alltag mit Prothesen laufen.
Sie wohnt noch zu Hause, studiert, soweit ich weiß. Sie hat uns nett begrüßt. Wir haben einen Moment gequatscht, dann meinte sie, wir sollte uns doch mal an dem Buffet bedienen. Das sah alles ganz lecker aus, wi setzten uns mit einem Teller an einen Tisch wo zur Hälfte Leute saßen, die wir vom Sport kannten, aber auch einige unbekannte Leute.
Nach einiger Zeit setzt sich der Vater der Gastgeberin mit an den Tisch und folgt interessiert der Unterhaltung. Ein Sportkollege wird vo einem anderen Gast halb auf Smalltalk-Ebene, halb aus tatsächlichem Interesse gefragt, was für Hobbys er hat und was er beruflich macht. Er erzählt, dass er im öffentlichen Dienst arbeitet und aktuell mit seiner Frau ein Haus baut. Jemand fragt, ob es Kinder geben soll – und das ist sollte man wissen, eine Frage, mit der man bei Rollstuhlfahrern leicht in verschiedene Fettnäpfchen treten kann.
Mein Sportkollege antwortet, dass seine Frau und er sich entschieden haben, keine eigenen Kinder in die Welt zu setzen, weil sie das Kind nicht der potentiellen Gefahr aussetzen wollen, auch seine neurologisch Erkrankung, aufgrund der er im Rollstuhl sitzt, zu bekommen. Seine persönliche Entscheidung, klar und freundlich erklärt – bis dahin noch alles gut. Spätestens jetzt würde einem aber jeder davon abraten, diese Thema unvorbereitet zu vertiefen. Und mit „unvorbereitet“ meine ich, dass es Leute gibt, die sich noch nie Gedanken über dieses Thema gemach haben. Was ja auch okay ist – ich will nun gewiss nicht darauf hinaus, dass jeder sich schonmal mit vererbbaren Erkrankungen beschäftigt haben sollte, nebst aller Überlegungen, die betroffene Eltern anstellen könnten. Ich erwarte nicht mal, dass deutsche Bürger die deutsche Geschichte kennen sollen. Aber immerhin hätte zweites mehr als einen Anlass geliefert, sich vielleicht mal dem Thema gedanklich anzunähern. Wenn also der Vater mit der These in die Diskussion einsteigt, Menschen mit vererbbarer Behinderung sollten generell keine Kinder bekommen, hätte er zumindest wissen können, dass er sich damit in unruhiges Fahrwasser begibt.
Ich drücke mich bewusst so zurückhaltend aus, weil ich eben auch jedem Menschen das Recht auf eine eigene Meinung zugestehen möchte. Seine Meinung war: „Ich finde es aber anerkennenswert, dass Sie bemüht sind, der Evolution hier zu helfen. Ich denke jedoch, dass sich die Natur hier langfristig selbst helfen wird und den Fehler insgesamt korrigiert. Man muss wissen, dass Evolution immer über einen langen Zeitraum zu betrachten ist und das Dasein von Menschen mit Behinderunge eben keinen Willen der Evolution, sondern einen kurzfristigen Wildwuch darstellt, der sich bald von alleine korrigiert.“
Der Sportkollege hat sich natürlich sofort distanziert und gesagt, dass er sich mit seiner Partnerin zusammen für sich persönlich entschieden hat, keine eigenen Kinder zu bekommen, um das durch ihn gezeugte Kind nicht dem deutlich erhöhten Risiko einer schweren neurologische Erkrankung auszusetzen. Das sei und bleibe aber seine persönliche Entscheidung.
Wenn nun dieser Vater nicht zurückrudert und seine Haltung auch nich korrigiert, kann ich nicht länger auf dieser Party bleiben. Ich finde es unerträglich, neben einem Menschen, und dann auch noch als Vater der Gastgeberin, zu sitzen, der (dazu noch in Gegenwart Betroffner) die Ansicht vertritt, bei Menschen mit vererbbaren Erkrankungen handele es sich um einen Fehler der Evolution. Einerseits finde ich es schon sehr beschränkt, sich anzumaßen, die Evolution bewerten zu dürfen, andererseits lässt sich das keinesfalls mit meiner Sicht der Dinge auf einen Nenner bringen. Ich vertrete die Ansicht, dass alles, was lebt, eben aus der Tatsache, dass es lebt, ein Recht zum Leben hat.