Es Frühlingt!

Was für ein vielversprechender Himmel morgens um 9 Uhr über Hamburg!

Es gab gestern bereits das erste Freilufttraining dieser Saison. Ein mehr oder weniger ausgedehnte Runde auf unserer Sommer-Trainingsstrecke sollte den Staub von den Rahmen und den Flugrost von den Bremsscheiben unserer Bikes entfernen. Es waren erstaunlich viele Leute da und in der Sonne war es echt schön. Allerdings verschwand die gegen halb sechs hinter dem Horizont und dann wurde es schlagartig kalt. Der See, in dem wir immer trainieren, hat fast über die komplette Länge und über mindestens die halbe Breite noch eine geschlossene Eisdecke. Aber nach diesem Himmel heute morgen bin ich vorsichtig optimistisch, dass wir in zwei Monaten schon wieder im Neo draußen schwimmen können.

Die ersten Sonnenstrahlen lockten neben uns natürlich auch wieder jede Menge andere blasse Gestalten an die Frühjahrsluft. Und während wir uns schon wunderten, woher der ganze Winterspeck gekommen ist und froh über unsere Thermokleidung und die eine oder andere Tasse heißen Tee waren, naschten auf der anderen Seite der Straße die ersten Wahnsinnige im T-Shirt schon das eine oder andere kühle Eis. Nein, nicht das vom See.

Und dann war da noch die kleine Luisa. Geschätzte zehn Jahre alt, Spasti, fröhlich-frech und vorlaut, begleitete sie ihre Eltern zu einem völlig langweiligen Ausflug an die Elbe. Während die Eltern auf der Bank saßen und (immerhin nicht im T-Shirt) sich die Sonne auf das Gesicht scheinen ließen, flitzte Luisa wie ein kleiner Wirbelwind in unsere Richtung und musste uns erstmal stolz ihren völlig bunten und mega coolen Kinderrolli mit schrill blinkenden Skaterrollen als vordere Lenkräder zeigen. „Wow, das blinkt ja sogar, wenn du abends ins Bett gehst.“ – „Nee, das blinkt den ganzen Tag, und das braucht keine Batterien, cool oder?“

Sie guckte fasziniert auf unsere Rennbikes und auf die ersten, die sich bereits wieder in ihre Alltagsstühle umsetzten. Sie deutete auf mein Bike: „Wie geht das?“ – Nachdem ich ihr das einigermaßen erklärt hatte, sagte sie: „Wie alt muss ich sein, damit ich das auch machen darf?“ – „Hm. So vierzehn vielleicht?“ – „Vierzehn? Das ist ja noch vol lange! Können wir nicht ‚zwölf‘ sagen und ich streng mich dafür richtig an?“

„Du kannst ja mit zwölf mal vorbei kommen und schnuppern.“ – „Schnuppern?“ – „Ja, ausprobieren. Ausprobieren, wie gut es klappt. Vielleicht klappt es bei dir ja schon mit zwölf oder dreizehn.“ – „Wann hast du damit angefangen?“ – „Mit sechzehn.“ – „Erst? Warst du vorher noch zu klein oder hast du dich nicht richtig angestrengt?“ – „Ich hatte mit fünfzehn erst meinen Unfall und saß vorher nicht im Rolli.“ – „Ich hab meinen ersten Rolli schon mit vier gekriegt! Aber der hier ist viel schöner. Wieso hattest du denn einen Unfall?“ – „Ich bin über die Straße gegangen und dann kam ein Auto und hat mich angefahren.“ – „Echt? Hast du nicht nach links und rechts geguckt?“ – „Doch, das war an eine Ampel und ich hatte grün, aber eine Frau hat nicht angehalten mit ihrem Auto und dann hat es gescheppert.“ – „Hat die Frau Strafe gekriegt dafür?“ – „Ja.“ – „Auweia. Kannst du jetzt gar nicht mehr laufen?“ – „Nee.“ – „Ich kann laufen, willst du mal sehen?“

Ich nickte. Der kleine Wirbelwind machte die Bremsen fest, rutschte mit dem Po an die vordere Kante des Rollstuhls, stellte sich auf seine Füße, hielt sich am Rolli fest und hatte irgendwann genug Stabilität, u völlig wackelig und angespannt wie ein Flitzebogen, x-beinig und mit weit ausgestreckten und stabilisierenden Armen in einer irren Geschwindigkeit eine Runde um mich und mein Bike zu drehen. Ich sah sie schon auf der Erde liegen, aber es klappte. „Oh, da hast du aber fleißig für trainiert, oder?“ – „Andrea will immer, dass ich noch viel mehr trainiere, aber ich hab meistens keinen Bock, wenn ich ehrlich bin. Ich muss jetzt wieder zu meinen Eltern. Vielleicht treffen wir uns ja mal wieder hier.“ – „Genau! Und melde dich, wenn du zwölf bist!“

Cathleen grinste mich an: „Jule generiert schon mal den Nachwuchs.“ „So neugierig, wie sie ist, probiert sie bestimmt noch zwanzig andere Sportarten aus.“

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