Viel Interpretiert, Nicht überzeugt

Aus irgendeinem Grund wird immer sehr viel interpretiert. Ich möchte mir über den Grund, vielleicht sind es auch mehrere, gar keine Gedanken machen.

Ich wundere mich, was man (man!) aus meinem gestrigen Post alles herauslesen und kommentieren kann. Auch per Mail. Nicht, dass ic mir keine Kommentare wünsche. Im Gegenteil. Nur habe ich mindestens di Hälfte von dem, was dort kommentiert oder per Mail geantwortet wurde, gar nicht gesagt und schon gar nicht geschrieben.

Ich lasse mich dazu hinreißen, ein zweites Mal auf ein Thema (näher) einzugehen. Anlässlich einer Überarbeitung der Straßenverkehrsordnung ist bei der Suche nach einem geschlechtsneutralen Begriff für Rollstuhlfahrer „Fahrende von Rollstühlen“ herausgekommen. In meiner Auseinandersetzung mit dem Thema bin ich sehr bewusst nicht darauf eingegangen, dass ein Rollstuhlfahrer auch alleine oder trotz schwerer Gehbehinderung gerade zu Fuß unterwegs sein, geschoben werden oder mehrere Rollstühle besitzen, einen anderen Willen als sein möglicherweise motorbetriebenes Gefährt haben oder vielleicht auch noch mit angezogenen Bremsen am Straßenrand stehen kann.

Ja, Sprache kann vieles verändern und vor allem vieles bewusst machen. So finde ich es wichtig, richtig, zum respektvollen Umgang miteinander und zum guten Ton untereinander gehörig, meine lieben Leserinnen und meine lieben Leser anzusprechen. Trotzdem bleibe ich dabei: Gestern kamen 1.319 Leser auf meine Seite. Davon waren einige männlich und einige weiblich, einige von ihnen fühlten sich dem anderen oder gar keinem Geschlecht zugehörig, wieder andere fühlten sich auf de nicht mehr nur Männern vorbehalteten Schlips getreten und fühlen sich aktuell nicht angesprochen, obwohl sie gestern auch hierher geklickt haben.

Ich bin nach wie vor (soll heißen: Ich war es auch schon vorgestern) sehr dafür, beispielsweise in Anreden beide Geschlechter anzusprechen. Ich bin ebenfalls sehr dafür, eine Bloggerin auch als solche anzusprechen und nicht (weiblicher) Blogger zu sagen. Aber wenn es daru geht, Leute zu zählen, muss ich nicht jedes Mal betont haben, dass diese Leute verschiedene Geschlechter haben. Diese Haltung kann meinetwegen politisch unkorrekt sein, sie entspricht trotzdem meiner Überzeugung.

Für mich sind Studenten jene Menschen, die an Hochschulen studieren. Für mich sind männliche Studenten diejenigen, die nicht nur versehentlich in den Raum abbiegen, in dem die Pissoirs hängen, und Studentinnen diejenigen, die in den Raum abbiegen, in dem Hygienetüten an den Wänden hängen, minus die Spanner. Plus ein paar Rollstuhlfahrerinnen, die sich aus technischen Gründen mit den männlichen Rollstuhlfahrern eine Toilette in der Uni teilen. Rollstuhlfahrer sind übrigens in meinem Sprachgebrauch jene Menschen, die im Rollstuhl fahren.

Ich bin der Meinung, dass es richtig und wichtig ist, Frauen als Frauen anzusprechen und Männer als Männer. Ich bin aber auch der Meinung, dass es für die Gleichstellung von Frau und Mann eher hinderlich ist, ständig zu betonen, dass man sich als Frau nicht angesprochen fühlt, wenn eine männliche Form für die Bezeichnung einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe verwendet wird, und damit dazu aufzufordern, aktiv zu differenzieren, wo ich nun wirklich eine Frau oder mehrere Frauen ausschließen möchte. Sicherlich, um ein Umdenken in Gange zu setzen, mag das gut gewesen sein, aber inzwischen würde ich eher die Frage in den Raum stellen wollen, ob es nicht sinnvoller wäre, einfach eine Selbstverständlichkeit vorzuleben.

Wie gesagt, ich lese allgemeine (nicht persönliche!) Texte, in denen es um Gruppen geht (nicht bei einer einzelnen Person!) immer geschlechtsneutral, auch wenn das grammatikalische Maskulinum verwendet wurde. Der Idiot, der unter Hinweis auf eine männliche Formulierung unpersönlicher Texte ernsthaft behaupten will, Frauen seien nicht angesprochen, soll sich doch bitte selbst die Blöße geben – dabei muss ich ihm nicht helfen. Vielmehr kann ich mich als Frau doch freuen, dass ich die weibliche Form eines Substantives nicht mit Männern teilen oder durch ein hinzugefügtes Wort (männliche Studenten) betonen muss, dass wirklich nur die männlichen gemeint sind. Bei weiblichen Studentinnen ist das ‚weibliche‘ entbehrlich.

Vielleicht setze ich mein persönliches Verständnis aber auch ungerechtfertigt als Selbstverständnis voraus. Aber wäre es dann nicht noch mehr meine Aufgabe, andere Menschen davon zu überzeugen, anstatt mit Mitteln der Sprache neue Möglichkeiten zu schaffen, mit denen man diskriminieren kann? Aus dem gleichen Grund finde ich, und das habe ich ja auch schon mehrmals betont, Bemühungen zur Inklusion behinderter Menschen fragwürdig. In dem Moment, wo jemand nachhelfen muss, schafft man einen Sonderfall. In dem Moment, wo jemand etwas tolles lebt, schafft man etwas Selbstverständliches.

Wenngleich das eigentlich ein schöner Schlusssatz wäre, bin ich noch nicht am Ende. Denn auf eine andere Frage möchte ich auch noch eingehen Ich sehe meine ausführlich dargestellte Haltung, in unpersönlichen Texten (und ein Gesetz ist ein unpersönlicher Text) die gebräuchliche männliche Form eines Wortes zu verwenden, nicht im Widerspruch zu meine Forderung, von „Menschen mit Behinderungen“ anstatt von „Behinderten“ zu sprechen. Im Fall einer Studentengruppe, deren Mitglieder sowohl männlich als auch weiblich sein können, geht es in erster Linie darum, die (berufliche) Tätigkeit darzustellen. Wie sich die Gruppe zusammensetzt, ob aus männlichen oder weiblichen Personen, ist nachrangig. (Es sei denn, es geht in einem Text tatsächlich vorrangig u das Geschlecht, aber darum ging es mir nicht.) Studenten sind Menschen die an einer Hochschule studieren, zusammengefasst anhand ihrer Tätigkeit in einer Gruppe. Das Genus des Wortes, das die Gruppe beschreibt, gibt in meinen Augen keinerlei Auskunft über die Geschlechterverteilung unter den Gruppenmitgliedern.

Eine Behinderung hingegen ist eine Wechselwirkung zwischen persönlicher (beispielsweise körperlicher) Beeinträchtigung und Barrieren der Umwelt. Ein Behinderter wird durch diese Wechselwirkung a seiner vollen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft behindert. Ihn bei der Wahl einer alltäglichen Bezeichnung hierauf zu reduzieren, halte ich für genauso daneben, als würde man einen Mann als Penisträger bezeichnen.

Ich bin gerne bereit, meine Ansicht zu überdenken und möglicherweise habe ich in naher oder ferner Zukunft Gespräche, Gedanken und Überlegungen, die mich meine heutige Meinung revidieren lassen. Ich verschließe mich anderen Meinungen nicht. Gleichwohl haben sie mich bisher nicht überzeugt. Und um auch noch eine letzte Frage zu beantworten: Nein, ich sehe das nicht verbissen. Aber ich bilde mir gerne eine Meinung und entsprechend diskutiere ich gerne.

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