Unser Training wurde wegen der Affenhitze von den Abend- in die frühen Morgenstunden verlegt. Als ich Marie fragte, ob wir an dem frei gewordenen Abend mit dem Handbike zum Badesee fahren wollen, meinte sie: „Ich würde gerne meine Omi mal wieder besuchen. Und am liebsten würde ich dich mitnehmen. Ich habe ihr schon so viel von dir erzählt und sie hat mich so oft schon gefragt, ob ich dich nicht mal mitbringen möchte. Sie möchte dich so gerne mal kennenlernen.“
Kurz und knapp: Auf den 120 Kilometern zu war zum Glück trotz des Ferienreiseverkehrs und entsprechend gut gefüllter Autobahnen kein Stau so dass wir in etwas mehr als einer Stunde vor Ort waren. Die Oma war sehr nett und hat sich riesig gefreut. Sie ist körperlich nicht mehr so ganz fit, kann nicht mehr so schnell laufen. Vor einiger Zeit ist der dazu gehörige Opa verstorben, der aber zuletzt auch sehr krank war.
Einen Computer hat die Oma zwar nicht, aber einen DVD-Rekorder und einen hochwertigen und großen Fernseher, so dass Marie ihr immer alle möglichen Videoclips auf DVD brennt. Kurze Musikclips, lustige Sachen, Dokumentationen, Musiksendungen … alles das, was man nicht hat, wenn ma nicht auf das Internet zugreifen kann. Oder manchmal auch Musikclips, die sie toll findet und die sie sich live im Konzert angesehen hat oder ähnliches. Dazu meistens viele Fotos, die sie vom Handy oder von der Digitalkamera hochlädt und sich dann über einen Fotoversand zuschicken lässt. Die Oma hat sich jedenfalls sehr gefreut: „Da habe ich ja wieder wochenlang dran zu gucken!“
„Seit ihr hungrig? Ich hau euch sonst ein paar Eier in die Pfanne!“ „Omi, bleib sitzen! Wir hatten bei Mama Mittagessen, alles ist gut.“ – „Ganz bestimmt? Nicht, dass ihr mir mit hungrigem Bauch da sitzt. Aber vielleicht kann ich Euch mit ein paar frischen Erdbeeren was Gutes tun? Frisch zubereitet, von den Nachbarn aus dem Schrebergarten, einen ganze Korb voll, so viel kann ich gar nicht alleine essen!“
„Omi, was hältst du davon, wenn wir beide später kurz für dich einkaufen gehen, Mama sagte, du brauchst noch ein paar schwere Sachen, und danach essen wir zu dritt zu Abend?“ – „Nun ruht euch erstmal ein wenig aus. Die Fahrt war bestimmt anstrengend, ist viel los auf der Autobahn? Bei der Wärme will ich euch gar nicht so schnell wieder losschicken.“ – „Das hat ja auch noch Zeit. Die Läden haben ja bis 20 Uhr auf und wir fahren schnell mit dem Auto hin. Wir können dich auch mitnehmen, wenn du das möchtest.“
Naja, die Oma hatte viel zu erzählen, von dem Besuch, den sie in den letzten Wochen bekommen hat, von den Nachbarn, die nett zu ihr sind, von ihrem letzten Urlaub mit ihrem Mann (einschließlich einem ganzen beschrifteten Album voller Urlaubsbilder), und von Marie. Stolze Oma.
Gegen 18.30 Uhr sind wir dann zum Einkaufen gefahren. Marie meinte, sie würde einige Artikel gerne in einem Drogeriemarkt eine Straße weite kaufen, da sie dort erheblich billiger seien. Also stellten wir das Auto auf dem Supermarktparkplatz ab und machten uns per Rolli auf den Weg zur Drogerie. Der kürzeste Weg führte über einen Spielplatz, an dessen Enden befanden sich so genannte Fahrradsperren, also solche hüfthohen Bügel, die Radfahrer zwingen sollen, abzusteigen. Auf diesen Bügeln turnten vier Mädchen im Alter zwischen 13 und 16 herum. Wir fragten sie, ob sie uns bitte durchlassen.
„Nö“, war die Antwort. „Nehmt gefälligst einen anderen Weg.“
Marie antwortete: „Och kommt. Lasst uns mal bitte durch, ihr könnt gleich weiterturnen.“
„Das kostet fünfzig Euro. Für fünfzig Euro gehen wir hier weg.“
Marie guckte mich an. „Ganz schön geschäftstüchtig, oder?“ – „Aber hallo“, antwortete ich.
„Habt ihr fünfzig Euro?“, fragte das älteste der Mädchen. Marie antwortete: „Nein, haben wir nicht. Und jetzt würden wir gerne mal durch.“
Das älteste Mädchen forderte ihre jüngste Freundin auf: „Guck mal nach, was die im Rucksack haben. Da ist bestimmt irgendwo Geld.“
Während ich mich ein wenig an das Mobbing in meiner Schule erinnerte und schon überlegte, wo ich eigentlich mein Pfefferspray hatte, schließlich weiß man ja nie, was noch passiert, fuhr Marie einfach auf die Mädchen zu. Zwei sprangen zur Seite, der dritten fuhr sie gegen das Schienbein. „Ich hab dich gewarnt. Geh zur Seite, sonst tut es weh.“ – Das Mädchen setzte den Gangsterblick auf. Ich hoffte nur, dass sie nich noch irgendein Messer aus der Tasche ziehen würde. Auf der Rücktour nahmen wir einen anderen Weg. Unglaublich, auf welche Ideen die Gören kommen.
Maries Oma hatte in der Zwischenzeit reichlich Brote gemacht und vor allem drei große Schalen klein geschnittene Erdbeeren auf den Tisch gestellt. Und sich riesig gefreut, dass sie wieder genug Mineralwasser, Waschpulver und andere schwere Sachen im Haus hatte.