Malediven

Am liebsten würde ich darüber schreiben, dass ich einen tollen Man kennengelernt habe, mit dem ich mich drei Wochen lang vergnügt habe. Wir sind spontan zusammen verreist, er hat mich zu einem Tauchurlaub auf die Malediven mitgenommen, er ist ein total knackiger Typ, intelligent witzig, charmant, gut aussehend, athletisch … und er trägt die kleine Stinkesocke auf Händen. Zumindest dort, wo sie nicht hinrollen kann. Wir haben von morgens bis abends Spaß und nachts erst recht. Er ist gut im Bett, experimentierfreudig, ungehemmt.

Er freut sich, wenn andere Menschen erfolgreich sind und ist selbst erfolgreich in einem gemeinnützigen Job. Er weiß, dass er intelligent ist. Er ist sogar so intelligent, dass er weiß, dass er vieles nicht weiß. Er versteht Liebe als Freiheit, als Bereicherung. Kann über sich selbst lachen, seine eigene Meinung auch mal überdenken. Und vor allem: Er hat eine eigene Meinung. Er findet nicht alles gut an mir. Und er liebt mich.

Am liebsten würde ich darüber schreiben, dass auf den Malediven so viel Sand, Strand, bunte Fische und Funklöcher waren, dass ich drei Wochen nicht schreiben konnte. Und dass mein toller Lover mich jetzt krault, während ich endlich darüber aufkläre, was los war.

Aber das Leben richtet sich bekanntlich nicht nach dem, was man am liebsten hätte. Eine gewisse Lebenskunst besteht wohl darin, wenn man das, was man gerade bekommt, als das sehen kann, was man gerade gerne hätte. Das gelingt mir sehr oft, aber wenn ich jetzt schreibe, dass zwei Wochen Krankenhaus toll waren, würde ich es mir selbst nicht mal glauben.

Daher schreibe ich einfach, wie verdammt scheiße es war. Trotz Einzelzimmer. Trotz täglichen Besuchs. Trotz vieler Freunde, die vorbei gekommen sind. Trotz Fernsehen, trotz überwiegend netter Schwestern, trotz allem. Es war einfach nur scheiße. So viel geheult wie in den letzten zwei Wochen habe ich mindestens fünf Jahre nicht mehr. Ich bin nur sehr froh darüber, seit Freitagnachmittag wieder zu Hause zu sein. Ich habe fast 24 Stunden nur geschlafen und fühle mich jetzt wieder so fit, dass ich mein Studium wieder aufnehmen kann.

Was passiert war? Ich sage nur: Spasti und Wasserkocher. Nein, nein, nein und nochmals nein, ich bin ihr nicht böse. Es war keine Absicht, keine Unachtsamkeit, es war noch nicht mal steuerbar. Sie hat sich erschrocken, hat das Ding umgeworfen, ich stand in der Nähe. Es ist einfach passiert und ich bin froh, dass das kochende Wasser nicht direkt in meine Richtung gespritzt und dass der Deckel drauf geblieben ist. Und dass ich gerade einen Teller auf dem Schoß hatte, so dass das kochende Wasser nur einen Arm und Teile meines Oberkörpers verbrüht hat.

Die Situation selbst war gar nicht mal so heftig, ich habe mich eher erschrocken als dass es weh tat. Meine Mitbewohnerin, die den Wasserkocher umgeworfen hat, war in dem Moment mehr in Panik als ich. Sie war so aufgeregt, dass sie kein vernünftiges Wort zusammen bekam. Von unten kam eine Krankenschwester zu mir, die darauf bestand, dass ich das im Krankenhaus ansehen und versorgen lasse. Sie hat einen Krankenwagen bestellt und damit nahm das eigentliche Drama seinen Lauf. Die Rettungsleitstelle schickte die Polizei mit, wahrscheinlich weil ein Unfall mit einem Wasserkocher in einer WG auch mal auf böse Absichten zurückzuführen sein könnte. Oder weil gerade Langeweile herrschte. Die Polizei fragte den Spasti und sie gab natürlich, lieb und brav wie sie ist, zu Protokoll, dass sie das Ding umgefeuert hatte.

Dem Rettungssanitäter war das Zusammenwirken von Brandverletzung und Querschnitt nicht geheuer, so dass er den Notarzt nachorderte. Das kann ich einerseits verstehen, aus medizinischer Sicht, denn die Verbrühung war schon großflächig und großflächige Verbrühungen können sehr schnell mal zu einem Schock führen. Und gerade wenn dann der Patient noch eine Kreislaufregulationsstörung hat, da sich die Gefäße in den unteren Gliedmaßen durch die Querschnittlähmung nicht so zusammenziehen können wie das bei einem Menschen ohne Querschnittlähmung der Fall ist, kann das schnell mal entgleiten. Aber es war unnötig. Und dann ist es besonders aufregend, wenn der nächste Notarzt im Einsatz ist und der Rettungshubschrauber starten muss, um einen Doc einzufliegen. Ja, so läuft das in Hamburg. Und dafür dann noch gefühlte hundert weitere Streifenwagen nötig sind, um den Landeplatz zu sichern und eine Straße zu sperren. Einschließlich drei Millionen schaulustige Leute.

Nein, ich bin nicht mit dem Heli geflogen und nein, es war auch nich die Notärztin, die ich schon kannte. Aber sie begleitete mich ins Krankenhaus und ich musste auch drei Tage auf die Intensivstation, allerdings war ich die ganze Zeit wach und es gab keinerlei Probleme. Richtig aus der Bahn geworfen hat mich die Ankündigung eines Pflegers, dass der verbrühte Bereich auch das gelähmte Areal betrifft und es durchaus sein könnte, dass mein Aufenthalt in Monaten besser bemessbar sei als in Wochen. Am Ende war aber alles halb so wild: Der richtig kritische Bereich, also die Beine, haben nur Spritzer abbekommen und die sind durch die Jeans so abgehalten worden, dass man da nichts machen musste. Die heftigen Verbrennungen (zweiten Grades, schön mit Brandblasen) waren im Bereich des rechten Armes, des rechten vorderen Rumpfes und ein Fleck noch am Rumpf hinten rechts. Das war der, von dem man die meisten Probleme erwartete und da ist jetzt auch noch ein Verband drüber, aber das heilt.

Da das gleich vernünftig versorgt wurde (die Brandblasen konnten steril abgewischt werden und mussten nicht chirurgisch entfernt werden) und die Dermis (also die zweite Hautschicht) nur teilweise und nur geringfügig betroffen war, wird das ohne großartige Narbenbildung abheilen. Im Grunde ist also nicht viel passiert – aber zu viel Langeweile ist ja auch ungesund, habe ich mir sagen lassen. Die hatte ich im Krankenhaus gewiss nicht, aber darüber schreibe ich ein anderes Mal.

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