Wie soll es erst im nächsten Jahr werden? Also in 2015? Da haben die Läden vom Donnerstag, den 24. Dezember mittags bis Montag, den 28. Dezember morgens geschlossen! Ein Chaos wird ausbrechen, denn die Menschen müssen sich für dreieinhalb Tage bevorraten! Ob man vielleicht am 27. Dezember einen verkaufsoffenen Sonntag veranstaltet? Sozusagen als den Tag, an dem das Weihnachtsgeld von Oma auf den Kopf gehauen, die
Geschenke getauscht und die sonst fast viertägige Hungersnot vorzeitig beendet werden kann?
Die letzten Schokoweihnachtsmänner, die seit Ende August die Regale füllten, werden für 20 Cent das Stück verkloppt. Platz muss dringend her
für die Osterhasen, die im kommenden Jahr schon am 5. April wieder beim
Hoppeln ihre Eier verlieren und jetzt schon in den Lagern einstauben. Und endlich gibt es wieder frische länger haltbare Milch. Und Brot, auf deren Tüten endlich eine „2015“ eingeprägt ist.
Zwanzig Kassen hatten geöffnet, als ich heute um kurz vor sechs einige wenige Knabbersachen für unsere Silvesterparty einkaufen wollte. Ich schwöre: Das werde ich im nächsten Jahr anders machen. Womit ich meinen ersten gute Vorsatz habe. Zur Silvesterparty 2015/16 bringe ich wieder Knabberkram mit. Nur werde ich den bereits kurz nach dem Nikolaustag holen.
Die Kassiererin möchte 7 Euro und 15 Cent von mir. So etwas zahle ich
nicht mit Karte. Und irgendwo hatte ich neben dem Zehn-Euro-Schein auch
noch eine Zehner- und eine Fünfer-Münze. Nein, es dauert nicht zu lange. Dennoch probt die Dame, die hinter mir steht und mir beim Warten in der Schlange zuvor schon vier Mal versehentlich gegen das rechte Rad meines Rollstuhls getreten hat, ihre guten Neujahrsvorsätze, Barmherzigkeit und Nächstenliebe, indem sie mir mit den Worten: „Soll ich Ihnen helfen?“ mein Portmonee aus der Hand nehmen will. Ich drehe meinen Oberkörper weg und nehme schützend einen Ellenbogen zwischen mein
Geld und die Frau und kann mir ein unwirsches „Geht’s noch?“ nicht verkneifen. Ich bin ja vieles gewohnt, und ich bin auch bereits, nicht nur ob meines letzten Neujahresvorsatzes, sehr viel geduldiger gegenüber
jenen Menschen, die es mit ihrer Hilfsbereitschaft übertreiben; aber dass mir jetzt jemand ins Portmonee fasst oder mir selbiges aus der Hand
zu nehmen versucht, um für mich zu bezahlen, das geht eindeutig zu weit
und so etwas gehört gleich im Keim erstickt.
Genauso wie die Diskussion, die die Dame zu beginnen versuchte. „Ich wollte nur helfen.“ – „Sie können doch nicht einfach fremden Leuten ins Portmonee greifen!“, gab ich ihr mit ernster Miene in scharfem Ton zurück. Zweifel, dass ich selbst für mich sorgen könnte, sollten danach eigentlich nicht mehr vorhanden sein. Die Dame holte Luft, allerdings mischte sich die Kassiererin ein: „Das muss ich aber auch sagen. Nur weil sie im Rollstuhl sitzt, ist sie doch nicht bescheuert!“
„Ich habe es nur nett gemeint“, verteidigte sich die Dame erneut. Nett ist bekanntlich eine kleine Schwester, aber so weit will ich nicht ausholen. Ins Portmonee greifen ist ein No-Go, und dabei bleibe ich. Selbst wenn ich mit Geld nicht umgehen könnte, läge es wohl bei mir, die
Kassiererin um Hilfe zu bitten. Jene adrette Dame, die zwischen den Kassen mit der Stornokarte und dem schnurlosen Telefon hin- und herläuft, wurde auf die Situation aufmerksam und stellte sich dazu. Ich bekam ohne weitere Worte meine drei Euro Wechselgeld und zog davon. Ohne
mich noch einmal umzudrehen.