Manche Menschen sollten keine Kinder haben. Und in einem Fall meine ich das durchaus ernst. Was habe ich mich heute aufgeregt!
Nicht weit von Maries und meiner Wohnung am Studienort entfernt wohnt
eine Familie. Im zweiten Stock. Das Kind ist schätzungsweise vier oder fünf Jahre alt. Hin und wieder sieht man die Mutter das Kind in einen Fahrradanhänger verladen und mit dem kleinen Mädchen zum Einkaufen fahren. Wenn ich für meine Uni am Schreibtisch sitze, fällt mein Blick manchmal nach draußen und ich sehe die beiden. So auch heute.
Heute sah ich allerdings nur die Tochter. Und zwar in der Wohnung. Auf der Fensterbank turnen. Das Fenster war zwar geschlossen, aber dennoch halte ich das für ziemlich gefährlich. Am Anfang habe ich ein paar Mal nach drüben geschaut und so gedacht: Hoffentlich fällt es dort nicht runter! Nach drinnen könnte es schon gefährlich werden, aber so ein Fenster kann ja auch mal zerbrechen. Gerade, wenn das Mädchen es lustig findet, mit dem Popo immer wieder gegen die Scheibe zu donnern und sich offenbar zu wundern, wie flexibel Glas doch sein kann. Kurzum: Ich sah das Kind schon auf der Straße liegen. Und der Adrenalinspiegel ging schlagartig hoch, als das Kind begann, am Fenstergriff zu spielen.
Ich zog mir schnell was über und machte mich auf dem Weg, wollte dort
klingeln. Leider kam ich an die Klingel nicht dran. Das Kind hampelte weiter auf der Fensterbank herum. Ich schaute, ob ich einen langen Stock
oder ähnliches finden würde, mit dem ich die Klingel erreichen könnte. Ich schaute sogar in die Mülltonne. Nichts. Vor der Tür war eine Treppe,
so dass ich auch nicht gegen die Tür klopfen könnte. Sofern das in den Wohnungen des Mehrfamilienhauses überhaupt jemand hören würde.
Ausgerechnet in dieser Zeit kam auch niemand vorbei, den ich bitten könnte, mal für mich zu klingeln. Doch dann kam eine junge Radfahrerin, die ich kurzentschlossen anhielt. Sie war zwar zuerst reichlich verdattert, was ich von ihr wollte, stellte dann aber ihr Fahrrad ab und
guckte ängstlich in die Richtung des inzwischen bereits gekippten Fensters. Sie klingelte. Einmal, zweimal, dreimal. Niemand zu Hause? Dann würde ich gleich die … doch, da tat sich was. Eine Frau öffnete mit
verschlafenem Blick. „Was wollen Sie?“
„Ihr Kind turnt auf der Fensterbank und ich habe große Angst, dass es
rausfällt“, sagte ich. Das Kind kam ebenfalls die Treppe heruntergelaufen. Die Mutter antwortete: „Haben Sie keine anderen Sorgen?“ – „Entschuldigung, es klettert unbeaufsichtigt auf der Fensterbank und hat das Fenster bereits geöffnet.“ – „Das Fenster geht nach innen auf, es könnte sich also höchstens selbst dort runterfegen. Und davor steht ein Bett. Gehen Sie zurück in Ihre Wohnung. Mein Kind, meine Erziehung.“
„Mama, was will die Frau?“, fragte das Kind. Die Antwort: „Die Frau hat gesehen, dass du auf die Fensterbank geklettert bist.“ – „Wieso?“ – „Weil sie das sehen kann.“ – „Warum?“ – „Weil ein Fenster durchsichtig ist.“ – „Hat die Frau kaputte Beine?“ – „Ja, und ganz viel Langeweile. Wir kochen uns jetzt erstmal einen Tee, wie findest du das?“ – „Toll!“ –
Rumms, Tür zu. Und fünf Minuten später kletterte das Kind wieder auf der Fensterbank herum. Ihr Kind. Ihre Erziehung. Ich hoffe, ich muss es nicht mit ansehen, sollte das Kind da doch eines Tages mal runtersegeln.
Weil die Erziehung doch nicht so zuverlässig funktioniert hat. Oder das
Fenster doch nicht so stabil ist. Ich hoffe es wirklich.