Als Marie und ich im letzten Jahr gefragt wurden, ob wir für ein verlängertes Wochenende ein wenig mit einem großen privaten Boot, eher einer Yacht, mitfahren möchten, über ein paar Seen und die Mittelmeerküste entlang, haben wir zunächst gezögert und am Ende zugesagt. Zugesagt zu einem eher abgehobenen Party-Wochenende, an dem es zwar keine Drogen und kein Rock’n’Roll, aber jede Menge Hormone gab. Und diese dann auch sehr selbstverständlich ausgetauscht wurden, wie wir damals vor Ort bemerkten. Ob wir in diesem Jahr noch einmal mitfahren würden, stand lange Zeit nicht fest. Ob wir überhaupt gefragt werden würden, auch nicht, denn die Tochter der Eigentümer, die zusammen mit mir nach wie vor an derselben Uni studiert, läuft mir normalerweise nicht unbedingt über den Weg.
Und wie die Antwort ausfallen würde, wussten wir auch noch nicht. Es war im letzten Jahr ein tolles Event, wenngleich mitunter das Schrägste, was ich je erlebt habe. Ich halte mich zwar nicht für allzu anständig, brav und bieder, aber für eine halbwegs eindeutige Sexparty über drei Tage und drei Nächte kann mich eigentlich auch niemand begeistern. Uneigentlich dann aber doch, denn irgendetwas in mir ist doch zumindest voyeuristisch veranlagt und voller Abenteuerlust.
Ziemlich kurzfristig, ob nun in der allgemeinen Spontanität oder einer erneuten Absage anderer vorrangiger Leute begründet, konnten und wollten wir nicht herausfinden, wurden wir dann doch noch gefragt. Hin- und hergerissen, weil man ja eigentlich so etwas nicht tut, andererseits aber schon das Miterleben des ganzen bunten Spektakels Spaß machte und sich die Risiken doch in sehr engen Grenzen hielten, holten wir uns moralische Unterstützung von Maries Mutter. „In eurem Alter hätte ich nicht gezögert“, meinte sie, „man muss ja vor Ort nicht jeden Mist mitmachen. Insbesondere würde ich dringend davon abraten, Crack zu konsumieren. Das ist auf solchen Veranstaltungen ja leider oft an der Tagesordnung. Oder irgendein anderer Scheiß.“
„Im letzten Jahr hat Shane“, so hieß die Tochter der Bootseigentümer, „von vornherein gesagt, dass an Bord keine Drogen geduldet werden. Wir hatten schon den Eindruck, dass das auch ernst genommen wurde.“ – „Dann nehmt Kondome mit und genießt das Wochenende!“
Und Philipp? Er könnte nicht mit. Keine Zeit, meinte er. Wir hatten sowieso nur ein Doppelbett, aber laut Shane hätten wir uns das auch zu dritt teilen können. Hört sich vielleicht merkwürdig an, weil viele Menschen nicht mal auf die Idee kämen, sich zu zweit ein Doppelbett zu teilen. Schon gar nicht mit einem Fremden. Aber wenn ich in der Mitte liegen würde, hätte niemand von uns damit ein Problem.
Womit ich allerdings ein Problem hatte, war, dass mir Philipp nicht sagen wollte, was er vorhatte über Pfingsten. Das führte fast zu unserem ersten ernsthaften Streit. Am Ende war es dann doch so, dass er gerne mitfahren wollte, mehr wegen des dortigen Sommers als wegen der „komischen Party“, aber er meinte, dass er mir (oder uns) mit seiner Anwesenheit keinen großen Gefallen tut. „Ich unterhalte mich lieber statt zu tanzen, ich würde nie meine Partnerin eintauschen wollen und ich verkleide mich auch nicht als Elektroinstallateur und frage, warum in der Ecke Stroh liegt. Ich kann mich nur schwer von solchen Dingen anstecken lassen und würde dann eher die Spaßbremse sein. Du sollst aber gerne diesen Spaß haben und sollst keine Rücksicht auf mich nehmen. Von daher ist es okay, wenn du alleine fährst.“
„Vielleicht möchte ich aber gerade mit dir unter einem romantischen Sternenhimmel im Mittelmeer schwimmen“, antwortete ich und erklärte ihm, dass ich auch nicht mitfahre, um mit wildfremden Leuten in die Kiste zu
springen. Das hat es auch letztes Jahr nicht gegeben. Kurz vor Abfahrt war dann doch alles wieder entspannt. Außer dass Shane äußersten Wert darauf legte, Philipp in der letzten Woche noch einmal kennenzulernen. Und dafür mal eben quer durch Deutschland zu fahren, war schon eine Herausforderung. Aber: „Ohne Kennenlernen nehme ich ihn nicht mit. Ich will da keine Überraschungen.“