An der Ostsee. Wo sollten wir sonst gerade sein? Das Wetter ist toll und wir haben es tatsächlich hinbekommen, uns mit Cathleen und Lisa mal wieder zu treffen, um gemeinsam ein Stündchen das „Open Water“ zu kraulen. Trotz warmer Luft und relativ warmen Wasser im Schwimm-Neo, und das war auch gut so. Der Wind war kalt, kälter als das Wasser, er wehte anfangs mit Stärke 4, frischte während unserer Stunde auf 5, in Böen 6 bis 7, auf. Wir waren nicht die einzigen Schwimmer, aber es waren nur Schwimmer und keine Planschenden im Wasser. Gerade dort, wo das Wasser flach war, konnte man sich kaum halten. Es herrschte zudem eine wahnsinnige Unterströmung, so dass man nur an bestimmten Stellen wieder zurück an Land kam. Insbesondere bei senkrecht auf die Küste wehendem Wind darf man das Phänomen nicht unterschätzen und muss damit rechnen, dass man einige Meter weiter links oder weiter rechts weitere Versuche unternehmen muss, an Land zu gelangen. Das muss man natürlich vorher wissen, seine Kräfte gut einteilen. Vor allem darf man eins nicht tun: In Panik geraten, wenn es mehrmals nicht klappt, weil die Strömung zu stark ist.
Aber wir waren zu viert und hatten eine Freundin an Land gelassen, die uns beobachten sollte. Lisa, die nicht so viel Erfahrung hat, war anfangs etwas ängstlich und wich mir nicht von der Seite, aber mit der Zeit wurde sie sicherer und schwamm ihren Weg. Wir schwammen eine Strecke parallel zur Küste doppelt (also hin und zurück), und es waren etwa vier Kilometer. Das Erlebnis in den Wellen ist unbeschreiblich, wenngleich ich gefühlt mindestens zwei Liter Salzwasser geschluckt habe und am Ende, als ich endlich wieder Boden unter dem Po hatte, der Eindruck entstand, die Erde würde schaukeln. Insgesamt war das Schwimmen in den Wellen nicht wesentlich schwieriger als im ruhigen Wasser. Nur brechende Wellen sind schwierig, die anderen schaukeln einen ja nur ein wenig rauf und runter.
Meine Kondition war schonmal besser. Ich habe mich in den letzten Wochen zu wenig sportlich betätigt. Ich war jetzt nicht außer Atem oder am Ende völlig geschafft, aber ich merkte schon, dass ich schonmal besser in Form war. Einen Triathlon „aus dem Stand“ würde ich mir im Moment nicht zutrauen. Oder? Na gut, vielleicht.
Lange gab es keine super-ekligen Dinge mehr bei mir. Ich bin darüber natürlich recht froh. Andererseits: Dass sie jemals ganz aufhören würden, davon träume ich realistischerweise nicht mehr. Meine Leserinnen und Leser mögen gewarnt sein: Es waren vermutlich tatsächlich um die zwei Liter Salzwasser, die ich in den Wellen getrunken habe. Na klar, ich versuche, das meiste Wasser, das beim Kraulen und Atmen in den Mund schwappt, sofort wieder auszuspucken. Meistens gelingt mir das auch, gerade bei so hohen Wellen ist es aber eine Herausforderung. Und manchmal kommt der Wasserschwall so plötzlich, dass man keine andere Wahl mehr hat, als das quasi reflexartig zu schlucken. Nicht, weil man das schlucken möchte, sondern weil die Alternative ist, das Zeug einzuatmen, also zu verschlucken – mit entsprechendem Hustenreiz. Und das wäre bei dem Wellengang eben auch kein Vergnügen.
Salzwasser gibt man ja auch vor Darmspiegelungen. Damit man dort überhaupt reingucken kann. Ich will es nicht spannender machen: Ich hatte zwischenzeitlich kurz Bauchweh, allerdings ging das schnell vorbei. Später wusste ich dann auch, warum. Im bewegten Wasser habe ich nichts davon gemerkt, aber als ich wieder zurück an Land war, wunderte ich mich schon, was für eine seltsam gefärbte Brühe aus meinen Hosenbeinen lief. Boa, igitt! Ich stecke anderen Leuten inzwischen zwar Endoskope in den Po, aber bei denen ist allenfalls Wasser und ein wenig Schleim im Darm. Sich im Neoprenanzug wie ein mariniertes Schnitzel zu fühlen, hat was ganz besonderes. Wie ich meine Querschnittlähmung liebe! Zum Glück haben es die anderen nicht sofort mitbekommen.
Während die anderen auf dem Po sitzend durch den Sand krabbelten, winkte ich unsere Fußgängerin zu mir heran. „Kannst du mir einen Gefallen tun und ohne großes Aufsehen mit mir nochmal ins Wasser gehen? Es gibt gute Gründe, warum ich meinen Neo im tiefen Wasser ausziehen sollte, und ich würde dich auf ewig lieben, wenn du mir dabei hilfst.“ – „Ach du Scheiße.“ – „Du hast es erfasst.“ – „Na klar. Rutsch doch schonmal in die Richtung, ich ziehe mir eben Schwimmsachen an.“
Nein, ich habe nicht geheult. Herzklopfen hatte ich zuerst. Aber unsere Fußgängerin war lieb. Und unkompliziert. Zog mich ins brusttiefe Wasser und zog mir meinen Neo aus. Ich versuchte ihr zu erklären, dass da normalerweise nichts passiert, dafür sitzt das alles viel zu eng. „Aber wenn das von dem vielen Salzwasser von fest zu flüssig wird, kann das passieren.“ – „Ist ja nicht schlimm, das wäscht sich ja gut aus bei der Wasserbewegung.“ – „Ich finde mich gerade so widerlich.“ – „Das würde mir wohl genauso gehen an deiner Stelle, aber ich finde das, ehrlich gesagt, weniger eklig als Quallensuppe. Du machst dich jetzt komplett nackig, schaust mal, das alles draußen ist, machst dich da unten richtig sauber, wir drehen den Neo auf links und spülen den aus und dann merkt man davon nichts mehr. Vielleicht solltest du zu Hause deinen Neo mal mit ein wenig Waschpulver ein Stündchen in die Badewanne legen. Um ganz sicherzugehen.“ – Gesagt, getan. Es war ein schwieriges Manöver, weil ich eigentlich mehr Hände bräuchte als ich hatte. Und nicht stehen konnte, während die Wellen mich hin und herschubsten. Aber meine Begleitung hat mich die ganze Zeit festgehalten, teilweise so fest und eng, dass es mir richtig unangenehm war. Umso dankbarer war ich ihr, dass sie mir geholfen hat.
Und die anderen? Als wir wieder am Strand waren und bei den anderen ankamen, die sich am Auto bereits ausgezogen und abgetrocknet hatten, meinte Marie mit rausgestreckter Zunge: „Na, Stinki?“ – Noch lustiger war Lisa drauf. Mit toternster Miene fragte sie mich: „Warum hast du das gemacht? Konntest du das nicht kontrollieren oder hast du falsch kalkuliert? Ich meine, das weiß man doch eigentlich, dass … du weißt schon.“ – „Das war keine Absicht. Ich kann das ja nicht richtig kontrollieren und irgendwie hat sich mein Bauch wohl über das viele Salzwasser aufgeregt.“ – „Das ist ganz schön peinlich, oder? Also mir wäre das zumindest peinlich, wenn mir das passiert. Aber du brauchst keine Angst zu haben, ich lach dich nicht aus.“ – Gut zu wissen. Ich könnte sie immernoch regelmäßig knuddeln.