Der Tag vor Freitag, der 13.

Gestern war einer der schlimmsten Tage meines (neuen) Lebens. Ich glaube, mir ist noch nie etwas peinlicheres passiert. Alle Leute, die so was nicht vertragen können und denen leicht übel wird oder wenn du vielleicht gerade beim Essen bist, dann scroll lieber weiter.

Ich musste gestern Abend beim Einschlafen immer wieder daran denken. Immer wieder tat es so richtig weh und ich hab das Gesicht verzogen und gedacht: Aaaaaaaarghhh, Autsch, ich würde am liebsten mich sofort in Luft auflösen. Ich hab das Gefühl, alle reden nur noch über mich und zeigen mit dem Finger auf mich und lästern über mich ab. Wieso musste mir das passieren?

Der Tag hatte so gut angefangen. Gestern war nämlich endlich der Tag, wo ich mir ein neues Handy holen sollte. Mein Vertrag war im Januar ausgelaufen und ich konnte mir wieder ein neues Handy holen. Mein altes war beim Unfall geschreddert worden und ich habe nur noch die Einzelteile in einer Kiste im Schrank stehen. So lange habe ich jetzt das genommen, was ich davor hatte, also was schon vier Jahre alt ist.

Das war mit meinen Eltern alles geklärt, mein Vater hat das am Telefon alles geklärt und unterschrieben und ich konnte jetzt alleine in den T-Punkt gehen und mir ein Handy aussuchen. Alleine heißt mit einer Begleiterin hier vom Krankenhaus. Das ist eine Sozialarbeiterin, die auch im Rollstuhl sitzt. Das war eigentlich echt klasse, die ist super nett und kann einen natürlich auch gut verstehen, weil sie ja selbst in der gleichen Lage ist. Endlich konnte ich jetzt mit dem Training mal was anfangen, nicht immer nur auf dem blöden Krankenhausgelände Bordstein rauf, Bordstein runter, Rampe rauf, Rampe runter, Fahrstuhl hoch, Fahrstuhl runter *nerv*

Hinfahrt in die Stadt mit Bus und U-Bahn hat alles gut geklappt. Hat zwar alles elendig lange gedauert, aber wir sind angekommen. Vor lauter Aufregung kriegte ich schon Bauchschmerzen. Wir waren in dem T-Punkt, und da waren die auch alle total nett. Ich hab mir die Handys zeigen lassen und alles ausprobiert und mich für eins entschieden, was ich schon im Internet und im Katalog toll fand. Meine Bauchschmerzen waren schon Bauchkrämpfe und irgendwie wurde ich immer unentspannter. Ich wollte dann nur noch möglichst schnell das alles hinter mich bringen und wieder ins Krankenhaus zurück. Ich wollte aber eben auch nicht unfreundlich sein zu dem Typen ,der uns da bediente, weil der sich richtig viel Zeit genommen hat.

Und dann gingen die Bauchkrämpfe auch wieder weg. Ich hab mich erst noch ein bißchen gefreut, aber dann hab ich gemerkt, warum die Bauchkrämpfe plötzlich weg waren. Ich will das jetzt nicht übertreiben mit dem Ekelfaktor, aber ihr lest es nur und ich hatte das live. Ich sag nur: Flüssig bis breiig und ein Gestank wie im Kuhstall.

Ich habe nur zu dem Typen gesagt, ob er einen anderen Tag auch noch da ist, ich kann mich nicht entscheiden. Die Sozialarbeiterin guckte entsetzt und meinte: „Du solltest dich schon entscheiden, so schnell können wir hier nicht wieder her.“ Und ich habe nur gesagt: „Ich erklär Ihnen das draußen. Ich möchte so schnell wie möglich raus.“

Zum Glück hat die mich ernstgenommen und wir sind in den Fahrstuhl und dann meinte sie schon: „Ich glaube, ich kenne dein Problem.“ Ich hatte noch nie in meinem Leben so einen hochroten Kopf. Eine 6 in der Mathearbeit oder beim Gedichtvortragen den Text vergessen vor der Klasse sind dagegen nichts. Ich habe kein Wort mehr gesagt, und ich war froh, als wir endlich draußen waren.

Ich habe ihr gesagt: „Ich will nur noch zurück und so schnell es geht unter die Dusche.“ Nur wir mussten ja noch mit der U-Bahn zurück! Ich hatte das Gefühl, alle Leute glotzen mich an, warum ich so stinke. Ich habe das selbst gerochen und das ist schon ein sehr schlechtes Zeichen. Ich habe mich dann direkt an eine tür gestellt in einem Wagen, wo nicht so viele leute waren. Das klappte auch gut, nur zwei Stationen vor Schluss fing dann noch ein Typ an und wollte mit mir ins Gespräch kommen! Ich dachte nur: Halt einfach deine Klappe und geh weiter.

Dann nochmal Fahrstuhl fahren aus dem U-Bahn-Sschacht raus. Ich mochte der Sozialarbeiterin nicht mehr ins Gesicht blicken. Ich habe mich geschämt, ich glaube so habe ich mich noch nie geschämt in meinem Leben. Die war natürlich ganz lässig (keine Ahnung, ob die das wirklich so leicht genommen hat, oder ob sie das für mich so gespielt hat) und hat gesagt: „Die Dusche ist nicht mehr weit, du hast es gleich geschafft. Mach dich nicht fertig, das passiert anderen auch.“ Ich wollte nur noch weg und hab sie nicht mehr angeschaut.

Und dann im geheizten Bus. Zum Glück stand keiner neben mir, nur die Sozialarbeiterin auf 10 Zentimeter. Als wir dann endlich auf Station waren, sagte sie: „Fahr schon mal ins Bad, ich klär das und schick dir eine Schwester.“ Ich hab so getan als wenn ich vorfahre und habe gelauscht, was sie sagt. „Die Aktion war ein richtiger Griff ins Klo. Im wahrsten Sinne des Wortes. Im Bad wartet eine rollende Stinkbombe. Direkt im Telekom-Shop hat sie eingekackt. Natürlich bevor wir das Handy in der Tasche hatten.“

Da hätte ich ihr eine reinschlagen können. Aber dann kam hinterher: „Die kleine Maus schämt sich so doll, die hat die ganze Rückfahrt kein Wort mehr gesagt und keinen mehr angeschaut. Das ist einfach Scheiße, wenn einen das gleich beim ersten Mal so eiskalt erwischt.“

Ich bin im Bad angekommen und hab so richtig laut und heftig losgeflennt. Die Schwester kam rein, sah mich und hat gesagt: Jetzt heul dich mal richtig aus. So ein verdammter scheißdreck beim ersten Mal in der Stadt, da kann man einfach nur noch heulen.

Ich habe mich gefühlt wie ein kleines hilfloses Baby, das die Pampers voll hat. Ich kann absolut nachvollziehen, warum die dann auch anfangen zu schreien. Absolut zum kotzen. Aber ich war froh, dass die Schwester mich ausgezogen und abgeduscht hat und ich nichts tun musste. Nicht helfen, nichts. Ich konnte da sitzen und an nichts denken. Die heiße dusche hat mir gut getan.

Dann habe ich frische Sachen angezogen und dann kam die Sozialarbeiterin nochmal rein. „Als mir das das erste Mal passiert ist, ging es mir genau so wie dir. Das war an einem Spieleabend in der Reha. Ich werde das nie vergessen. Sowas bleibt einem ewig im Kopf. Aber das Problem kriegt man irgendwann in den Griff. Das ist die Aufregung, die Umstellung, … wenn mir das heute nochmal passiert, sag ich einfach zu meinen Leuten: ‚Falls sich grade jemand fragt, was hier so mieft, das bin ich.‘ Und alle anderen, die das riechen, gehen freiwillig drei Schritte weiter. Aber die kratzen mich nicht, die sehe ich in einer Großstadt nie wieder.“

Sie will heute mit mir noch einmal losziehen. Sie sagte, sie wollte mich zum Kakao einladen und das haben wir ja leider nicht mehr geschafft und ein Handy habe ich auch noch nicht.

Ich will auf jeden Fall nochmal los. Ein bißchen Angst habe ich, ob es wieder passiert. Aber heute ist Freitag der Dreizehnte, was soll da schon schief gehen?

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