Wir haben heute unseren spinnenden Nachbarn verarztet. Er hat sich entschuldigt.
Aber der Reihe nach: Meine Sozialarbeiterin, Frau W., die eigentlich gestern kommen sollte, war heute morgen hier. Frank und ich haben ihr zusammen von unserer Begegnung mit der Nachbarin am letzten Sonntag erzählt. Frank sagte, er wüsste gerne, was wirklich auf ihrem Auto geschrieben stünde, denn man sehe ja, welche Missverständnisse so etwas auslösen könnte. Frau W. war irritiert: „Auf meinem Auto steht überhaupt
nichts. Das gehört zwar der Einrichtung, aber da steht nichts drauf. Auch lasse ich keine Akten oder Briefe im Fahrzeug liegen, schon gar nicht offen, aus Datenschutzgründen. Die Information muss er also entweder zusammengereimt oder woanders her haben. Außerdem bieten wir keine Bewährungshilfe an, haben das noch nie getan und haben das auch nicht vor.“
Frau W. schlug vor, den Nachbarn hierhier zu bitten und in ihrem Beisein mit ihm zu reden. Sofie, Frank und ich waren uns einig, also stiefelte Frau W. nach drüben, traf den Typen in seiner Wohnung und bat ihn, mal mitzukommen, weil man mit ihm reden wollte. Wir hörten das durch die offene Tür und hatten es uns im Gruppenraum bequem gemacht. Frank übernahm das Wort, erzählte nichts von der Nachbarin, sondern sagte, dass er den Eindruck hätte, in der Nachbarschaft würde schlecht über uns geredet. Da er ja ein sehr aufmerksamer Nachbar sei, könnte er uns vielleicht weiterhelfen, rauszukriegen, woher diese Gerüchte kämen. Erst tat er so, als wüsste er von nichts, aber als Frank nochmal nachfragte, dass inzwischen alle davon gehört haben und er sich nicht vorstellen könnte, dass der Nachbar der einzige ist, der noch nichts mitgekriegt hat, meinte er: „Naja, es wird halt viel getratscht.“
Allerdings merkte ich, wie der Nachbar nervös wurde. Sofie brauchte mit ihrem psychologischen Geschick genau drei unangenehme Sätze, dann redete er. Sie sagte ihm auf den Kopf zu, dass sie mehr als nur den Eindruck hätte, dass ganz alleine er derjenige ist, der hier solche Dinge in die Welt setzt. „Man macht sich halt so seine Gedanken. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber so viele Behinderte in einer Wohnung, das ist ja nicht normal.“
Ja nee, ist klar. Frank hörte sich das einen Moment an, dann erklärte
er ihm, dass niemand hier bisher Kontakt mit dem Strafvollzug gehabt hatte oder auf Bewährung draußen sei oder ähnliche Scherze. Allerdings könnte es bei ihm bald so weit sein, wenn er nicht damit aufhört, über uns solche Dinge in die Welt zu setzen, von denen er ja ab jetzt wisse, dass sie nicht stimmten. „Sie bekommen das nochmal schriftlich. Dann können Sie mir unterschreiben, dass Sie das künftig unterlassen werden. Sollten Sie das nicht unterschreiben, klage ich das ein. Das kostet dann
Ihr Geld. Und mit dem nächsten komischen Spruch hagelt es eine Strafanzeige. Und jetzt raus hier.“
Einige Zeit später ging Frau W. Sie war gerade weg, da klingelte es an der Tür. Besagter Nachbar stand davor. Ohne Schusswaffe, aber auch ohne Blumenstrauß, dafür mit Tränen in den Augen. Er sagte, er wollte sich entschuldigen. Es soll nicht wieder vorkommen. Mehr möchte er dazu nicht sagen. Ok?!
Am Nachmittag kam Sofie vom Einkaufen zurück und hatte für die Nachbarin, die uns auf die ganze Sache erst aufmerksam gemacht hatte, einen Blumenstrauß besorgt. Sofie und ich klingelten bei ihr, sie bat uns herein, wir bedankten uns für den Hinweis und erzählten ihr, dass der Nachbar sich bei uns entschuldigt hätte. Damit ist jetzt eigentlich alles gesagt. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.