Eine Nacht am Strand

Noch sind Sommerferien. Das muss man ausnutzen. Vor allem, wenn so geniales Sommerwetter ist und dann auch noch die beste Freundin Geburtstag hat. Es war nicht so einfach, eine Strandparty zu organisieren, ohne dass die Hauptperson davon etwas mitkriegt, denn immerhin musste ja auch die Mutter eingeweiht werden.

Während Cathleen am Morgen bei ihrer Oma im Seniorenheim war, um sie zu besuchen, fuhren Sofie und ich zu ihr nach Hause, luden einige Sachen ein, die die Mutter zusammengepackt hatte. Dann düste Sofie mit meinem Auto *bibber* wieder weg und ich unterhielt mich ein bißchen mit der Mutter und den zwei Schwestern bei zwei Gläsern Apfelschorle.

Als Cathleen wiederkam und mich sah, begrüßten wir uns, ich erwähnte aber nichts vom Geburtstag, sondern meinte nur: „Ich bin gerade zufällig in der Gegend und wollte dich mal spontan besuchen kommen.“ Ich merkte,
dass die Frage einen Moment in ihrem Kopf hin und her kreiste, bevor sie sie aussprach: „Sag nicht, du hast meinen Geburtstag vergessen.“ Ich stieg voll drauf ein. „Hattest du etwa gestern?“ LOL

Was sich liebt, das neckt sich. Nach einem kurzen Ringkampf hatte sie mir verziehen. Dass es noch dicker kommen sollte, ahnte sie noch nicht. Ich sagte ihr, ich würde sie auf ein Eis einladen. Am Bahnhof kenne ich
einen guten Eisladen. Die Mutter sagte: „Ich fahr euch hin.“ Cathleen schaute ungläubig aus der Wäsche. „Hier ist doch ein Eisladen um die Ecke?“ – „Aber der am Bahnhof ist viel leckerer.“

Also die Rollstühle ins Auto verfrachtet, zum S-Bahnhof gefahren, ausgeladen. „Und wo ist nun der Eisladen?“ – „Ja nicht hier, in Hamburg am Hauptbahnhof!“ – „Wie, wir wollen jetzt nach Hamburg? Du weißt schon, dass ich heute um 16 Uhr einige Leute eingeladen habe? Meinst du nicht, dass das etwas knapp wird?“

Nee. Wir saßen in der S-Bahn und erreichten 45 Minuten später Hamburg Hauptbahnhof. Da Cathleen -wie immer- ziemlich viel zu erzählen hatte, verging die Fahrt schnell. Wir stiegen aus, aber anstatt zu einem Eisladen zu gehen, fuhr ich auf ein anderes Gleis und wollte in den dort stehenden Zug einsteigen, bat den Zugführer, die Rampe auszufahren. „Wo um alles in der Welt willst du hin? Wir sind doch nie im Leben um 16 Uhr wieder zurück! Was heckst du hier mit mir aus?“

„Ich habe alles im Griff. Ich habe mich kurzfristig umentschieden. Ich kenne noch einen viel besseren Eisladen.“ – „Ach, verarsch mich nicht, wo fahren wir hin?“ – „Lass dich überraschen!“ – „Aber was ist mit den Leuten?“ – „Ich habe alles im Griff. Entspann dich mal.“ – „Aber meine Mutter? Sag nicht, die ist eingeweiht und hat mitgemacht.“ Ich grinste.

Der Zugbegleiter durchkreuzte meinen Plan ein wenig. Er fragte bei der Kontrolle der Wertmarken, wo wir aussteigen. Ich sagte: „Sie hat heute Geburtstag. Das ist noch eine Überraschung.“ – „Auf solche Spielchen habe ich keinen Bock. Schließlich brauchen Sie Hilfe beim Aussteigen und das möchte ich rechtzeitig wissen.“ – „Endstation“, erwiderte ich, in der Hoffnung, dass es ihm reichte. Nein, er musste es nochmal verdeutlichen: „Also Lübeck-Travemünde Strand?“ Ich war übelst angepisst. „Jaha.“

Cathleen fragte sofort: „Fahren wir etwa an den Strand?“ – „Wir fahren Eis essen“, erwiderte ich. Cathleen konnte ihre Neugier kaum beherrschen: „Och menno, sag doch mal!“ In Travemünde stiegen wir in einen Bus nach Neustadt. „Ich sehe die Ostsee!“ quiekte Cathleen. „Gehen wir schwimmen?“

„Du hast doch gar keine Badesachen dabei“, erwiderte ich. Cathleen, völlig happy: „Das ist mir doch scheiß egal. Gehen wir schwimmen? Ich will unbedingt schwimmen!“ Nach einiger Zeit kamen wir in Haffkrug an. An der Bushaltestelle warteten bereits: Simone, Sofie, Luisa (mit Freundin), Lina, Liam, Frank, Juliane, Schatzi Kevin, Isabel (gennant Isi, kannte ich noch nicht), Steffi und Sarah (kannte ich ebenfalls noch nicht) sowie Steven, der Freund von Sarah.

15 aufgedrehte Leute, davon 13 im Rollstuhl – die Urlauber, die an uns vorbei gingen, glotzten, als wären gerade Außerirdische gelandet. „Muddi guck mal“, sagte ein älterer Herr deutlich vernehmbar. Liam, neben Luisas Freundin der einzige Läufer, erwiderte wie aus der Pistole geschossen: „Im Namen der Anstalt heiße ich euch alle herzlich willkommen auf unserem heutigen Gruppenausflug.“ Isabel kippte fast aus dem Rollstuhl vor Lachen. „Bitte tragt eure grüne Ausgangskarte an einem Bändsel für jedermann sichtbar um den Hals und lauft nicht ohne zu gucken auf die Straße.“

Dann konnte die Party ja beginnen. „Luisas Freundin hat dir schon einen Kuchen gebacken, hier auf dem Parkstreifen, da ist aber leider vorhin ein Auto drübergefahren“, sagte Liam und deutete auf einen kleinen Sandhaufen, durch den sich eine Reifenspur zog. Cathleen kam aus dem Gackern gar nicht mehr heraus. Nur langsam bewegten wir uns Richtung Strand. Die Pächterin, die die Strandkörbe vermietete, hatte bereits alles im Griff: „Ihr bekommt vier Körbe hier direkt an den Holzbohlen. Dann kommt ihr mit den Rollstühlen bis ans Wasser. Zwei sind Dauergäste, die kommen heute nicht, zwei andere sind kurzfristig umgezogen in freie Strandkörbe ein Stück weiter. Das war kein Problem.“ Ich mag sowas nicht, aber es war nicht mehr zu ändern. „Und wer ist das Geburtstagskind?“ Cathleen streckte grinsend ihren Finger Richtung Himmel.

Dann bezogen wir unsere Strandkörbe. Cathleen sagte: „Hättest du mal irgendwas angedeutet, hätte ich ja wenigstens … was ist das für ein Rucksack? So einen habe ich doch … ist das meiner? Nee oder?“ Ich grinste. „Cathleen möchte schwimmen gehen, aber mit Klamotten“, rief ich Liam und Luisas Freundin zu. „Nein!!!“ kreischte Cathleen. Da war nichts mehr zu machen. Liam und Luisas Freundin hatten sie bereits an Armen und Beinen gepackt, zerrten sie aus dem Rollstuhl, Simone nahm ihr im Vorbeischleifen noch die Brille, das Handy, ihre Papiere und die Schuhe ab. Die Leute um uns herum starrten mit offenen Mündern. Liam und Luisas Freundin gingen knietief in die relativ ruhige Ostsee, zählten bis drei, ließen sie fallen und liefen davon.

Es dauerte drei Sekunden, dann tauchte sie auf. Kreischend. „Scheiße ist das kalt!“ Also ging es ihr gut. Simone war die nächste. Sie versuchte sich zu wehren so gut es ging, aber es war zwecklos. Die anderen und ich präparierten sich bereits und legten alles aus den Taschen, was nicht wasserfest ist. Luisa, Isabel und mich erwischte es noch, die anderen zogen sich bereits um und kamen freiwillig hinterher. Ich war noch nie mit Klamotten im Meer. Es fühlte sich ungewohnt an. Aber nicht unangenehm. Bis auf … „Igitt ich hab ja noch ne Pampers an“, sagte ich irgendwann zu Cathleen. Die gackerte nur: „Das wird lustig, wenn du sie nachher ausziehst, die wiegt bestimmt zehn Kilo.“ – „Bäh!“ – „Hauptsache sie platzt nicht“, amüsierte sie sich weiter. „Bloß nicht im Wasser ausziehen“, meinte sie.

Wir planschten bestimmt eine Stunde lang im warmen Wasser. Einzig Kevin, Steven und Sarah wollten nicht ins Wasser. Und sich auch nicht ausziehen. Naja, jeder wie er mag. Nach einer Stunde wurde es kalt und wir krabbelten nach und nach raus. Als allererstes wollte ich meine Windel loswerden, denn die war derart aufgequollen, dass ich Angst hatte, mir könnte gleich die Hose platzen. Luisas Freundin hatte einen Rollstuhl mit einem wasserdichten Kissen und einem Handtuch bestückt, hob einen nach dem anderen dort hinein und fuhr ihn zu der rollstuhlgerechten Dusche, etwa 300 Meter weiter. Dort war auch gleich eine Toilette mit einem ordentlichen Mülleimer, das war mir sehr recht.

Das Wetter war genial. Wir lagen den ganzen Tag in unseren Strandkörben (oder davor), gingen einige Male ins Wasser, spielten Spiele, organisierten Eis und Pommes. Nach und nach packten die anderen Leute ihre Sachen zusammen, die Sonne ging langsam unter. „Wann müssen wir eigentlich los?“ fragte Cathleen irgendwann. Ich antwortete: „Wir haben mit deiner Mutter ausgemacht, dass wir so gegen 6 wieder zu Hause sind.“ Cathleen wühlte erschrocken ihr Handy raus. „Das ist schon halb 9“, sagte sie. „Scheiße“, erwiderte Liam toternst. „Dann müssen wir wohl hier zelten. Hoffentlich ist der Grillplatz frei“, meinte er. „Ich kriege langsam Hunger.“

Cathleen schaute mich ungläubig an. „Nee echt? Zelten wir hier?“ Ich nickte. Sie wollte es nicht glauben. „Nicht alle. Leider. Einige werden um 9 von ihren Eltern abgeholt. Steffi, Simone, Isi und Kevin bleiben nicht hier. Sofie und Frank müssen auch zurück, sie müssen morgen arbeiten. Aber der Rest zeltet, wenn du willst.“ Natürlich wollte sie, war aber etwas enttäuscht, dass Kevin nach Hause musste. Seine Eltern hatten es verboten und ihm den Tag am Strand nur erlaubt, wenn er bei der Rückfahrt kein Theater macht. „Der ist 17. Egal. Ich halte mich da raus“, schüttelte Frank den Kopf. „Und meine Mutter hat das wirklich erlaubt?“ fragte Cathleen. Naja, es waren schon einige Überredungskünste nötig.

Offiziell ist das Zelten am Strand verboten. Aber der jeweilige Pächter darf Ausnahmen zulassen. Wir hatten allerdings die Order, die Zelte nicht vor 23 Uhr aufzubauen, damit nicht noch andere Leute auf ähnliche Ideen kommen oder sich massenweise beschweren. Liam und Lina wollten nicht zelten, sondern in ihrem Auto schlafen. So ein Kombi hat natürlich Vorteile. Ich habe ja auch einen, nur fand ich das Zelten spannender. Und ich fühlte mich natürlich geehrt, dass Cathleen mich fragte, ob wir uns zusammen ein Zelt teilen. Bis es 23 Uhr wurde, warfen
wir einen großen Grill auf einem öffentlichen Grillplatz an. Dort war eine Feuerstelle und ein Rost, das an einer großen Kette hing. Allerdings sollte man Aluschalen verwenden. An die hatte Liam gedacht.

Als wir dann völlig genudelt waren, düsten wir mit unseren Klamotten zur Rolli-Dusche, machten uns nachtfertig, einmal Zähne putzen … Cathleen hatte einen Schlafanzug an, den ihre Mutter ihr eingepackt hatte, und fuhr damit über die Strandpromenade. Einige wenige Leute, die noch unterwegs waren, guckten etwas dämlich aus der Wäsche. Ich hatte eine Sporthose und ein Sweatshirt an, aber darüber hatte die Mutter wohl nicht nachgedacht. Zurück am Strand, bauten wir im Halbdunkel unsere Zelte auf. Als wir endlich unsere Zwei-Mann-Luftmatratze aufgeblasen hatten und im Zelt verschwunden waren, fielen mir schon fast die Augen zu. Es wehte kein Wind, die See war spiegelglatt, über uns war sternenklarer Himmel. Allerdings wurde es richtig kalt. Ich zog mir noch
ein zweites Sweatshirt drüber und Socken an, bevor ich mich im Schlafsack einrollte.

Cathleen fragte mich, ob ich das organisiert hatte. „Nicht alleine, aber hauptsächlich und die Idee war von mir.“ Plötzlich hatte ich Cathleen halb auf mir liegen, einen Arm um meinen Hals, wurde fest gedrückt und bekam einen fetten Kuss auf die Wange. „Das ist dir super gelungen. Das war ein richtig toller Tag“, sagte sie. Das war wieder einer der Momente, wo mir auffiel, dass meine „neuen“ Freunde ganz anders drauf sind. Die meisten meiner alten „Freunde“ haben sich nie so ehrlich gefreut und haben ihre Dankbarkeit auch nie auf so einfache, aber deutliche Weise gezeigt.

„Mir ist kalt“, sagte ich. Cathleen antwortete: „Das ist auch arschkalt. Richtig warm ist mir auch nicht. Ich hoffe, das wird noch wärmer im Schlafsack. Ich habe mal gehört, dass man seinen warmen Atem in den Schlafsack pusten soll.“

„Wollen wir nicht versuchen, ob man die Schlafsäcke zusammenmachen kann und uns dann gegenseitig wärmen?“ fragte ich. Im Zelt nebenan war noch Gekiecher. Ich hörte die Stimmen von Sarah und Steven. „Wenn du von
mir angepupst werden möchtest“, frotzelte Cathleen. „Wenn ich zurückpupsen darf“, konterte ich. „Lass mich nachdenken … na gut!“ Cathleen suchte die Taschenlampe. Dann kam der spannende Moment: Die Reißverschlüsse passten. Cathleen war wie ein kleiner Ofen. Ihr Po lag an meinem Bauch, ihre Haare in meinem Mund und einen Arm hatte ich auch zuviel, aber ich fror nicht mehr. Nach einiger Zeit war mein Arm eingeschlafen und ich musste mich umdrehen. Das war in dem engen Schlafsack auf der Luftmatratze nicht so einfach, aber Cathleen drehte sich mit. Ich kam mir vor wie ein altes Ehepaar. Irgendwann schliefen wir ein.

Als ich aufwachte, lag Cathleen wieder vor meinem Bauch, mir den Rücken zugewandt. Wir mussten uns im Halbschlaf noch mindestens einmal gedreht haben. Ein Knie von mir lag unter ihren Beinen. Hoffentlich hatte ich mir keine Druckstellen geholt und ihr keine zugefügt. Regen prasselte lautstark auf das Zelt. Cathleen war auch wach, tastete nach ihrem Handy und schaute auf die Uhr. „Wie spät?“ fragte ich flüsternd. „Kurz nach vier. Ich dachte, es wäre schon später.“

„Hauptsache, wir werden nicht ins Meer gespült“, flüsterte ich zurück. Kurz danach schliefen wir wieder ein. Am Morgen hatte es auf jeden Fall aufgehört zu regnen. Es war kein Geprassel mehr zu hören, dafür schrien Möwen wie am Spieß und irgendein Trecker tuckerte an unserem Zelt vorbei. Ich drehte meinen Kopf in Richtung Cathleen, die verdrehte gerade die Augen über den Lärm. Es war 10 vor 7. Aber bis um halb 9 sollen sowieso alle Zelte abgebaut sein, so dass in 40 Minuten der Wecker gebimmelt hätte.

Wir schälten uns vorsichtig aus dem Schlafsack und aus den Klamotten, zogen unsere Badesachen an, rutschten durch den Sand ins Meer. Es war irre kalt. Aber super erfrischend. Schlagartig wurde ich wach, trotz der frühen Zeit. Auch die anderen wurden wach und einige kamen auch gleich ins Wasser. Als wir wieder draußen waren, kamen Lina und Liam mit Brötchen vom Bäcker. Nutella-Frühstück! Lecker.

Als wir alle Zelte abgebaut, geduscht und saubere Klamotten angezogen hatten, machten wir uns auf den Rückweg. Gegen Mittag waren wir wieder zu Hause. Das erste, was wir machten, war: Ab ins Bett und schlafen. Um 17 Uhr wachten wir wieder auf. Zusammen mit Sofie brachte ich Cathleen nach Hause. So anstrengend der Tag (die Nacht) am Strand auch war: Es war genial. Fand ich.

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