Bei Menschen mit Querschnittlähmung ist einiges anders. Nicht alles, auch nicht vieles, aber einiges. Vor den 60-er Jahren hätten sie,
wie ich erfahren habe, meistens nicht überlebt. Die damalige Intensivmedizin hätte es vielleicht nach mehreren Anläufen irgendwann hinbekommen, die erste Schockphase zu überbrücken, aber mehr als ein Pflegefall, der ziemlich bald an Haut- oder Nierenkomplikationen stirbt,
wäre nicht daraus geworden. Das ist Fakt.
Kürzlich wurde im Fernsehen eine Folge der Schwarzwaldklinik wiederholt („Der Optimist“), bei der jemand beim Wasserskifahren gestürzt war und wegen einer Querschnittlähmung behandelt wurde. Am Ende
der Folge sieht man, wie dieser Patient, in einem Schiebestuhl sitzend,
in einen Behindertenbus des Deutschen Roten Kreuzes (mit automatischer Hebebühne an der Hecktür) verladen wird. Der Patient hat die Hände auf dem Schoß gefaltet und macht nicht eine Bewegung, sagt kein Wort, lächelt nur unbeholfen. Eine Gruppe Ärzte und Krankenpfleger kommt extra
zur Verabschiedung. Sie stehen dort herum und sagen mit toternster Miene: „Haben wir ihn nicht gut wieder hingekriegt?“ – „Ja, er gefällt mir richtig gut. Und ich bin mir sicher, wenn er jetzt wieder zu Hause ist, schafft er auch sein Abitur.“
Zum ersten Mal ausgestrahlt wurde die Folge 1988. Ein Millionenpublikum hat sich das reingezogen. Die Inhalte haben selbst hoch gebildete Akademiker so ernst genommen, dass sie sich als Ärzte in der Schwarzwaldklinik beworben haben (Quelle: Focus 36/95, Seite 84 ff.). Ich kann mir nicht vorstellen, dass beim Dreh dieser Filme überhaupt nicht recherchiert wurde. Schließlich haben richtige Ärzte ja auch beraten. Das bedeutet also, dass die Mehrzahl der Querschnittgelähmten selbst Ende der 80-er Jahre noch nicht mal einen Funken Selbständigkeit wiedererlernen konnte. Das erklärt natürlich in gewissem Maße, warum gerade die ältere Generation von heute von mobilen und sportlichen Rollstuhlfahrern entzückt, verwirrt und erschrocken zugleich ist und mit dem hadert, was wir Rollifahrer „Vorurteile“ nennen.
Man hat offensichtlich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viele Erfahrungen gesammelt, hat vieles ausprobiert, hat sich an vieles herangetraut. Die technische und medizinische Seite ist aber nur die halbe Miete. Die Aufklärung und die Eigenverantwortlichkeit ist die andere Hälfte. Diese wird, das weiß ich aus intensiven Gesprächen mit „alten Hasen“, erst seit etwa zehn Jahren derart groß geschrieben. Dass die Patienten ihr Handicap selbst in den Griff bekommen und sich intensiv mit ihm auseinandersetzen müssen, führt im Idealfall zu einem intensiven Austausch unter Betroffenen. Das beste Beispiel für mich sind
meine Besuche am Strand. Wäre ich mit meinen Eltern oder anderen (laufenden) Freunden dorthin gefahren, wäre ich nicht baden gegangen. Vermutlich hätte ich nicht mal die gepflasterten Wege verlassen. In der Gruppe kann jeder ausprobieren, sich von erfahrenen Leuten was abgucken –
am Ende hatten wir ein geniales Wochenende. Hätte mir jemand im Krankenhaus erzählt, dass ich nochmal alleine im Meer bade, hätte ich schon arg gezweifelt.
Und so kann ich mich heute freuen, dass „Die Schwarzwaldklinik“ schon lange von gestern ist.