Die Nacht der Missverständnisse

 

Dass die sonst parallel fahrenden Profis zur Zeit im Sommercamp in Belgien sind, wussten wir alle. Dass jedoch auch Tatjana im Urlaub ist und Arne heute das Straßentraining macht, hatte ich nicht mitbekommen. Die anderen auch alle nicht. Vielleicht waren wir alle abgelenkt, als das gesagt wurde. Macht ja auch nichts, Arne kennen wir ja alle bereits vom Trainingslager. Allerdings hat Arne noch nicht so viel Erfahrung und ist sehr „verspielt“. So musste er unbedingt auf der Hinfahrt Marianne und Michael im Auto laut aufdrehen und sich über unsere genervten Kommentare kaputtlachen. Andere hätten die gemeinsame Zeit zum Reden genutzt – oder wenigstens, um schöne Musik zu hören.

Etwas schwierig ist auch, in den Sommerferien bei geschlossenen Schul-Sporthallen einen Zielpunkt für das Straßentraining zu finden, an dem wir alle duschen können, und an dem wir für einige Zeit die Rollstühle zwischenlagern können. Arne erklärte uns dann stolz, dass er einen Typen in Berne kennt, ein alter Kumpel, auch ein Rollifahrer, der hätte ein großes Grundstück und bei dem könnten wir alle duschen. Das ist zwar nett gemeint, aber früh morgens in fremde Häuser reingehen, um dort private Duschen zu nutzen, finde ich … ich weiß nicht. Dabei fühle ich mich nicht wohl. Und das nicht, weil ich paranoid bin und denke, jemand könnte dort Webcams installiert haben. Das kann man auch in den Duschräumen einer Sporthalle, wenn man am Tag davor bereits den Schlüssel abholt.

Auch die Strecke war etwas besonderes. Während wir sonst immer zwischen 15 und 25 Kilometern fahren, waren es jetzt 40. Natürlich ist es sinnvoll, zu lernen, wie man seine Kräfte einteilt, und mit genug Zeit kann man auch 80 Kilometer fahren. Nur ist es dann kein Geschwindigkeitstraining mehr, sondern Ausdauertraining, und das macht man besser auf einem Sportplatz. Egal, ich halte mich da raus.

So fuhren wir am Volkspark los, drehten eine große Runde über die Elbchaussee in Richtung Rugenbarg, fuhren dann über die Elbgaustraße durch das Niendorfer Gehege in Richtung Flughafen, mussten dann, da wir nicht durch den Kronstiegtunnel dürfen, ein Stück auf der B447 entlang fahren, was ich, da dort die ganzen Idioten direkt von der Autobahn auffahren, nicht weniger gefährlich finde, sind dann links abgebogen in die Papenreye zur Wellingsbütteler Landstraße und nach Berne.

Die Temperatur war sehr angenehm, ich war mit meinem langbeinigen, ärmellosen schwarzen Einteiler genau richtig angezogen. Langbeinig muss sein, damit man sich nicht die Haut wund scheuert, Einteiler ist ebenfalls sinnvoll, da eine Hose mit der Zeit durch die Bewegung runter rutschen könnte, so dass irgendwann der Hintern freiliegt. Und das muss wiederum nicht sein, vor allem, wenn man in dem Bereich nichts merkt. Wäre es kälter, würde man noch ein eng anliegendes Oberteil drüber ziehen, aber heute waren freie Arme und Schultern angenehm. Simone, Yvonne, Cathleen und Merle sahen das genauso.

Kristina und Nadine, die beide trotz Querschnittlähmung (einmal angeboren, einmal durch Fahrradunfall, aber beide inkomplett) laufen können, wenn auch watschelig bzw. nur mit Knöchel-Orthesen, spüren ihre Beine komplett und könnten daher, zumindest was das Druckstellen-Risiko angeht, auch kurze Hosen bzw. kurzbeinige Einteiler tragen. Allerdings schwitzen die beiden, im Gegensatz zu den „kompletten“ Querschnitten, auch an den Beinen, so dass Staunässe, gerade auf der Innenseite der angewinkelten Knie, sehr unangenehm werden kann. Somit waren wir heute alle sieben, von leichten Farbunterschieden abgesehen, im absoluten Teamlook.

Während Tatjana den kleinen Mann im Ohr nur bemüht, wenn es was zu sagen gibt, und dann auch nur bei den Leuten, die es betrifft, hatte Arne auf Dauersprechen gestellt und das bei allen sieben Leuten. So hörten wir nicht nur, was er zu sagen hatte, sondern auch das Autoradio mit Arnes Musik: „Sagt mal, wo kommt ihr denn her? Aus Schlumpfhausen, bitte sehr…“ Zwischendrin raschelte und knisterte das dann auch noch, so dass Nadine sich bereits nach 2 Minuten im Fahren den Ohrclip rausfummelte und am Kabel über die Schulter baumeln ließ. Yvonne, die sonst eher dauerlieb, lustig und schüchtern ist, platzte an der nächsten Kreuzung, an der wir halten mussten, der Kragen: „Nimm mir die Musik aus dem Ohr, sonst fahre ich gleich nach Hause!“ brüllte sie nach hinten. Von Arne kam: „Hände hoch, wer keine Schlümpfe hören will!“ Argh!!!

Die Streckenführung ging direkt durch St. Pauli, direkt an der Partymeile Reeperbahn vorbei. Nun gerieten wir mehr und mehr in fließenden Verkehr, denn gerade samstagnachts ist hier ja die Hölle los. Fließender Verkehr ist aber genau das, was wir absolut nicht gebrauchen können. Durch herumliegende Flaschen und Scherben, auf der Straße torkelnde Besoffene, etlichen Rettungswagen und diverse Ampeln ging es eher langsam voran und wir waren mit allem anderen als mit Schnellfahrtraining beschäftigt. Etliche Male blieb Arne an einer roten Ampel hängen, so dass wir am rechten Fahrbahnrand warten mussten. Die Leute waren ziemlich genervt.

Dann, endlich, waren wir auf der Elbchaussee und hofften auf ein Kommando, um mal richtig Gas geben zu können. Nein, er ließ uns für Dehnübungen anhalten und ging erstmal Zigaretten kaufen. Dann kam er zu uns, drückte jedem einen 0,5-Plastikbecher in die Hand. Yvonne lehnte gleich ab und meinte, sie hätte ihre Getränke dabei, bekam den leeren Becher dann aber auf den Schoß gelegt. Arne ging zum Auto und holte mehrere Plastikflaschen mit einem isotonischen Getränk. „Ihr müsst viel trinken, es ist sehr warm und ich möchte mit euch gleich richtig ranklotzen. Also nutzt die Chance und bewahrt eure Getränke für die Fahrt auf.“ Yvonne sagte: „Halb voll. Höchstens. So viel kann ich gar nicht schwitzen.“ Arne kippte randvoll.

Während wir Trinkpause machten, wurde uns ein Bluttest aus dem Ohr abgenommen. „Leere Becher könnt ihr mir wiedergeben.“ Yvonne hatte nur halb ausgetrunken. „Austrinken!“ rief Arne. Yvonne schüttelte den Kopf. „Aber hallo. Du trinkst zu wenig.“ Yvonne trank noch einen Schluck. „So, nun reicht es.“ Arne schüttelte den Kopf. Yvonne schüttete den Rest im hohen Bogen in eine Hecke, ließ den leeren Becher auf die Erde fallen und rollte 30 Meter vor. Die Stimmung war hochexplosiv. Nadine sagte: „Ich kann mir hier keinen halben Liter auf Ex reinkippen, dann muss ich gleich kotzen.“ Und stellte den Rest auf die Erde. „Ihr stellt euch vielleicht an“, meinte Arne. Lediglich Cathleen und Simone hatten ihren Becher ausgetrunken. Ich stellte meinen halbvoll zu dem von Nadine und fuhr in Richtung Yvonne. Die war richtig genervt. „Wenn das so weiter geht, kriegen wir hier heute noch richtig Streit“, meinte sie.

Dann ging es endlich weiter. „Richtig warm werden“, meinte Arne. Es ging erstmal minutenlang leicht bergab. Cooles Tempo, allerdings überholte uns noch eine Gruppe Rennradfahrer, irgendwas rufend. Und dann ging es richtig bergauf. Ich bin die Elbchaussee schonmal in die andere Richtung gefahren, da hatte ich diesen Berg gar nicht so wahrgenommen. Und hier verlangte Arne Höchstleistung. „Richtig 100% geben, je schneller ihr seid, um so leichter geht es.“ Merle fiel kurz zurück, hatte sich den Finger geklemmt. Nichts schlimmes, aber einige Sekunden Ausfall reichen bergauf ja bereits, um den Anschluss zu verlieren. Simone fiel ebenfalls kurz zurück. Ich dachte, die beiden wären knapp hinter uns, da wir immernoch im Lichtkegel vom Begleitfahrzeug fuhren. Aber Arne hatte die beiden überholt. Als wir oben angekommen waren, sollten wir uns am rechten Straßenrand kurz locker ausfahren und dann warten. Jetzt drehten sich alle um. Merle und Simone waren einige hundert Meter zurückgeblieben. Das wäre bei Tatjana nie passiert – sie hätte die ersten gebremst.

Wir fuhren bis zu einer Bushaltebucht und warteten dort, völlig außer Atem. Cathleen und ich hatten uns bei der Bergauffahrt so richtig schön bepisst, was aber harmlos zu dem war, was Simone geschafft hatte. Wenigstens hatte sie sich beim Kotzen zur Seite gedreht, so dass nur ihr Rollstuhl etwas abgekriegt hatte. War wohl doch zu viel von dem Gesöff, vor allem, weil Simone ja nur sehr klein ist und entsprechend auch nur einen kleinen Magen hat. Und Merles linke Hand war blutverschmiert. Tatjana hat sonst immer einen Kanister mit Leitungswasser dabei, Arne nicht. So opferte Yvonne eine Mineralwasserflasche aus ihrem Rucksack im Auto, damit Simone sich und vor allem ihren Stuhl sauber machen konnte. Merle hatte sich am Finger leicht verletzt, hatte aber selbst Pflaster und Tape dabei.

Als es endlich weiterging, waren bereits alle wieder kalt. Wir fuhren eher locker weiter, von Arne kam nicht eine Anweisung, außer zur Streckenführung. Und die nahm und nahm kein Ende. Immerhin wussten wir vorher nicht, wo genau sein Kumpel wohnt, bei dem wir duschen sollten. Im Niendorfer Gehege wäre eine gute Möglichkeit gewesen, nochmal richtig aufzudrehen, aber das verschlief Arne. Inzwischen waren auch kaum noch Autos unterwegs. Kurz bevor wir auf die Bundesstraße kamen, wurde Yvonne langsamer und hielt an einem Waldweg an. „Ich muss dringend kathetern, sonst platzt mir die Blase“, meinte sie. „Ich auch“, sagten Kristina und Nadine wie aus einem Mund.

Das hatte ich bisher auch noch nicht miterlebt. Yvonne krabbelte umständlich aus dem Rennrollstuhl raus, die anderen halfen, indem sie ihr Gelegenheit gaben, sich an den anderen Leuten bzw. deren Rollstühlen abzustützen. Dann saß sie endlich auf dem Bordstein. Hier war kein Wohngebiet und niemand war unterwegs. Trotzdem stellten wir uns mit unseren Rollstühlen in einem Halbkreis um sie herum, damit vorbei fahrende Autos nicht sehen konnten, was hier los war. Nadine und Kristina waren inzwischen auch ausgestiegen, bei denen ging das einfacher, da sie wesentlich mobiler waren. Nadine hatte Yvonnes Rucksack und ein Sitzkissen aus dem Bus geholt. Arne stand hinter dem Bus und rauchte erstmal eine.

Der Nachteil bei den Einteilern ist ja, dass man sich komplett ausziehen muss, wenn man auf Klo will. Entsprechend saß Yvonne im Sport-BH und mit nacktem Hintern auf einem Sitzkissen auf dem Bordstein über einem Gully und versuchte, halb liegend, sich im Halbdunkel mit einem Taschenspiegel einen Katheter in die Harnröhre einzuführen. Kristina und Nadine waren barfuß auf einem Sandweg unterwegs und fanden eine Bank. Nadine musste sich an Kristina festhalten, da sie ohne Knöchelorthesen nicht stabil gehen kann. Kristina ist jedoch auch nicht gerade standfest. Es sah aus, als hätten die beiden mächtig gesoffen.

„Alter Schwede, bin ich erleichtert“, kam Kristina zurück. „Das tat schon richtig weh“, ergänzte Nadine. Endlich saßen die drei wieder in ihren Rennrollstühlen und es konnte weiter gehen. Mal wieder mit Warmfahren. Nicht wissend, wohin es ging, wieviel von der Strecke noch übrig war, ohne jegliche Anweisung (abgesehen vom Weg), war die Luft raus. Wir spulten eher lustlos den Rest der Strecke ab, bis wir vor einem großen Grundstück mit einem Einfamilienhaus anhielten. Das gehörte dem Kumpel von Arne.

Inzwischen war es halb sechs. Im Haus brannte Licht. Arne stieg aus und musste unbedingt allen nochmal Blut aus dem Ohr abnehmen. Dann endlich ging er rein. Wir warteten und ahnten noch nicht, was uns jetzt noch erwarten würde. Arne kam wieder und erzählte, dass es ein Missverständnis gegeben hätte. Wir dürften zwar unsere Sportrollstühle hier für einige Stunden auf dem Grundstück lagern, aber von Duschen war keine Rede. Da sei nichts zu machen. Niemand sagte etwas. Alle warteten, wie es jetzt weitergehen sollte. Nach einiger Zeit hakte Yvonne nach: „Ja und jetzt?“

„Ich weiß es nicht. Die ganzen Hallen haben Sommerferien. Wir haben nirgendwo Zugang. Ich schlage vor, wir lassen die Stühle hier und ich fahre euch kurz zum Öjendorfer See. Dort ist eine Badestelle und daneben
ein Raum mit rollstuhlgerechter Dusche und WC, der mit einem Euroschlüssel aufgeht. Die Badestelle ist mit Auto drei Minuten von hier entfernt.“ Besser als nichts. Nur wie dorthin kommen?

„Ich kann mich so unmöglich in den Bus setzen“, sagte ich. Immerhin waren das Polstersitze. „Ich habe zwei oder drei Moltex-Unterlagen dabei“, sagte Yvonne. Für die drei Minuten musste das gehen. „Ich setze mich lieber auf die Erde“, meinte Cathleen. Am Ende saßen Cathleen, Simone, Merle und ich quer zur Fahrtrichtung hintereinander auf dem Fußboden vor der Sitzbank, während Yvonne, Nadine und Kristina sich auf eine Moltex-Unterlage auf die Sitzbank setzten. Immerhin waren die auch völlig durchgeschwitzt und der Bus gehört dem Verein und ist ziemlich neu. Hauptsache nur, die Polizei hält uns nicht an, da wir auf der Erde natürlich nicht angeschnallt waren.

Es dauerte keine drei Minuten, wie versprochen, sondern insgesamt 20. Ich habe hinterher mal in die Karte geschaut, die beiden Punkte waren 10 Kilometer entfernt. Ich war nah dran, dass ich zu heulen anfing. Niemand sagte mehr etwas. Ich hatte mir unauffällig eine Hand zwischen die Beine gepresst und hoffte, keine falsche Bewegung zu machen. Als wir dann endlich über etliche Kleinststraßen und einen Weg voller Schlaglöcher auf einem Parkplatz ankamen, mussten wir feststellen, dass wir von hier überhaupt nicht an die Badestelle kamen! Arne stieg aus, weil dort ein Übersichtsplan hing, den er sich ansehen wollte. Er hatte die Ruhe weg. Sobald die Tür zu war, sagte Kristina: „Bin ich froh, wenn Tatjana wieder da ist. Mann, ey, das geht gar nicht.“

Ich hatte ganz andere Probleme. „Kann mir mal einer schnell meinen Rucksack geben?“ fragte ich, leicht hektisch. Nadine drehte sich kurz um, dann sagte sie: „Komm ich nicht ran.“ – „Bitte!“ flehte ich sie an. „Komm ich nicht ran! Die Rucksäcke liegen kreuz und quer zwischen und unter den Alltagsstühlen.“ Oh menno!!! Mein Puls raste. „Kannst du es nicht versuchen?“ fragte ich nochmal. Auch Kristina drehte sich um. „Keine Chance. Dann müssten wir jetzt aussteigen und die Rollstühle rausräumen.“ Cathleen, die hinter mir saß und an deren Knie ich mich angelehnt hatte, fragte: „Was brauchst du denn?“ – „Ne Pampers oder irgendwas, wo ich mich draufsetzen kann. Dringend!“

„Ohh nee, auch das noch“, sagte Nadine, schnallte sich ab. „Ich kann dir auch nicht helfen, ich kann ohne Schienen nicht laufen“, sagte sie. Kristina schnallte sich ab, zwängte sich von der hinteren Bank nach vorne durch, machte die Schiebetür auf. Stützte sich mit dem Knie an der Türkante ab, hob Simone, die direkt an der Tür auf der Erde saß unter den Schultern aus dem Bus und setzte sie unsanft vor dem Auto ins Gras ab. Als sie weggekrabbelt war, ließ sich Merle mit Kristinas Hilfe seitwärts rauskippen. Ich rutschte auf dem Hosenboden zur Tür und ließ mich mit Kristinas Hilfe ebenfalls rausfallen. Sozusagen in letzter Sekunde. Cathleen kam auch noch hinterher. Ich schloss nur die Augen und atmete tief ein und aus. Es war so eklig und entwürdigend. Ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst. Arne studierte immernoch die Karte und merkte gar nichts mehr. Cathleen kam zu mir ran und legte ihr Kinn auf meine Schulter. Als ich nicht reagierte, murmelte sie mir langsam ins Ohr: „Eine kleine Dickmadam fuhr mal mit der Eisenbahn. Die Eisenbahn, die krachte. Die Dickmadam, die lachte; setzte sich ins grüne Gras und pinkelte die Hosen nass.“

Ich kam mir vor wie ein trotziges Kleinkind, das aus Prinzip trotzig sein wollte und sich das Lachen über diesen dummen Spruch nur mit Mühe verkneifen konnte. Am liebsten hätte ich ihr eine reingehauen. „Wir gehen jetzt schön duschen und dann lädt uns Arne zu einem richtig coolen Frühstück beim Bäcker ein“, sagte sie.

„Aber hallo“, antwortete Merle. Wir krabbelten wieder in den Bus, doch das Chaos war noch nicht beendet. Anstatt den kürzesten Weg (5 Minuten) zu nehmen, nämlich diesen hier:

fuhr Arne mit uns quer durch das gesamte Wohnghetto (15 Minuten), siehe hier:

und das letzte Stück war auch noch gesperrt. Dann waren wir aber endlich auf dem richtigen Parkplatz angekommen und luden unsere Stühle aus. Da wir keine Duschrollstühle hatten, war ich froh, dass auch Cathleen, Nadine und Kristina noch einzelne Moltex-Unterlagen dabei hatten. Die Sitzkissen und Bezüge sind zwar waschbar, aber eben nur mit großem Aufwand, den man sich gerne erspart.

Inzwischen war es 7.15 Uhr und die ersten Jogger waren bereits unterwegs. Wir suchten vergeblich die Dusche. Es gab hier zwar (abgeschlossene) Toiletten für Männlein und Weiblein, einen (vergitterten und geschlossenen) Kiosk, aber keine Duschen, geschweige denn, welche für Rollstuhlfahrer. „Die waren hier doch irgendwo“, sagte Arne. Wir waren jetzt von der Nord- zur Südseite gefahren. „Oder waren die am Ostufer?“

„Jetzt ist Schluss“, sagte Kristina. „Ich gehe jetzt im See schwimmen. Wer kommt mit?“ Ich auf jeden Fall, dachte ich mir, ohne was zu sagen. Ich guckte Cathleen und Simone an, die nickten beide. „Ich wollte eigentlich sauber werden“, sagte Yvonne. Auch Nadine war nicht sehr begeistert. Letztlich war das aber die beste Möglichkeit, wenn man nicht völlig versifft und verschwitzt nach Hause wollte. Und so langsam wurde es allerhöchste Zeit, mal aus den vollgepissten Klamotten rauszukommen. Arne hatte nichts besseres zu tun, als sein Fotohandy aus dem Bus zu holen. Nun war die Grenze überschritten. Yvonne und Nadine, die sich sonst eher selten einig sind, und Kristina platzte der Kragen. Nadine wurde richtig giftig. „Weißt du was? Nimm deinen Bus und verpiss dich. Ich will dich hier nicht mehr sehen. Das alles hier hat sowieso noch ein Nachspiel. Es ist mir scheißegal, was du jetzt machst, aber wenn du jetzt hier nicht sofort abhaust, ruf ich den Abteilungsleiter an, und wenn ich den auf einem Sonntagmorgen mit dem Handy aus dem Bett klingel. Jetzt ist es wirklich genug.“ Simone saß da nur mit offenem Mund. Yvonne fügte hinzu: „Und wenn ich hier gleich jeden einzeln mit meinem privaten Auto nach Hause fahren muss. Das würde ich auch noch tun. Aber du verschwindest jetzt hier.“

Arne zuckte mit den Schultern – und fuhr tatsächlich davon. Simone sagte: „Ich ruf mal meinen Vater an, vielleicht können wir noch paar Leute mitnehmen.“ Yvonne telefonierte bereits und holte am Sonntagmorgen ihren Vater aus dem Bett und bat ihn, vorbei zu kommen. Dann gingen wir erstmal im See schwimmen. Und tauchen. Das Wasser war angenehm kühl. Aber man hatte die Chance, einigermaßen sauber zu werden. Während sonst so ein Gruppenschwimmen immer zu einer riesigen Wasserschlacht ausartet, war es hier wirklich nur noch: Sauber werden. Paar Züge im kalten Wasser schwimmen, einmal untertauchen, raus.

Wir suchten uns eine befestigte Stelle, wo man sich aus dem flachen Wasser auf ein Rasenstück umsetzen konnte und kletterten aus dem Wasser. Kristina organisierte uns die Handtücher, die Rucksäcke und irgendwann dann auch endlich unsere Rollstühle. War ich froh, endlich wieder mobil und einigermaßen sauber zu sein. Der Vater von Yvonne traf ein. Sie hatte ihn direkt aus dem Bett geholt, er war alles andere als begeistert, aber trotzdem sehr freundlich. Kurz darauf traf auch der Vater von Simone ein. Wir teilten uns auf die beiden Fahrzeuge auf (Simones Vater hat einen VW-Bus) und wurden zur U-Bahn-Station Steinfurter Allee gebracht. Bis zum Hauptbahnhof fuhren wir alle zusammen, dann trennten sich unsere Wege. Dass Cathleen nach dem Training bei mir schläft, war vorher abgesprochen.

Um 10 Uhr waren wir endlich im Bett. Zum Glück hatte ich mein Telefon ausgeschaltet. Denn als ich es um 16 Uhr wieder anschaltete, hatte ich 8 Anrufe in Abwesenheit. Es war der Vereins-Chef. Ich rief ihn zurück, er wollte von mir bestätigt haben, was er bereits von Simones Vater und von Yvonne gehört hatte. Cathleen und ich bestätigten es. Ob wir ihm kurz aufschreiben können, was heute nacht vorgefallen ist? Ich blogge, also geht das nicht nur kurz und nicht nur für ihn. Wie ich inzwischen erfahren habe, wurde Arnes Übungsleitervertrag fristlos gekündigt. Jeder, der diesen Text aufmerksam gelesen hat, weiß, denke ich, auch warum. Es ist schön, wenn man zwischendurch doch nochmal ernst genommen wird. Der Verein organisiert auch den Abtransport der Rennrollstühle aus
Berne.

Und so machen sich Cathleen und ich jetzt auf den Weg, um die letzten Stunden des Wochenendes noch zu genießen und diese Strecke mit allem drum und dran schnell wieder zu vergessen:

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