Heute musste ich zu einer Nachuntersuchung ins Krankenhaus. Nichts spektakuläres, sondern man wollte sich in erster Linie anschauen, wie ich mit meiner Haut, meinen Gelenken, meiner Blase, meinem Darm, meinem Kreislauf und meiner Psyche zurecht komme.
Zuerst hatte ich ein Gespräch mit einem Psychologen. Diese Untersuchungen werden nicht von demjenigen gemacht, der einen sonst behandelt. Er stellte mir ein paar Fragen, ich habe ihm ein bißchen was aus meinem Alltag erzählt, eine Stunde war angesetzt, nach 15 Minuten war ich wieder draußen. Ich hätte gut mitgearbeitet. Ähm, naja, ich will ja auch was von denen, oder?
Dann musste ich in ein Untersuchungszimmer fahren, am anderen Ende des Gebäudes, einen Becher mit auf Klo nehmen und mich anschließend nackt ausziehen, mich auf eine Liege legen und warten. „Mach es dir schonmal bequem, der Doktor kommt gleich.“ Ja nee, ist klar. Nackt im Untersuchungszimmer auf einer sterilen Liege bequem machen. Ich kann mir
kaum etwas bequemeres vorstellen. Vor allem, weil die Liege so ausgerichtet war, dass man mir vom Flur aus zwischen die Beine schauen konnte, sobald die Tür aufging.
Die Tür ging aber nicht auf, sondern eine der beiden anderen. Der Arzt schaute sich peinlich genau meine Haut an den Beinen an, zwischen den Zehen, am Po, bewegte alle Gelenke in alle möglichen Richtungen *knack*, machte ein Ultraschall vom Bauch, befand, dass alles in bester Ordnung ist, und schickte mich zum Belastungs-EKG auf die Rolle. Also auf ein Ergometer, bei dem man mit dem Alltagsrollstuhl auf ein Gerät gestellt wird, ähnlich wie beim Bremsentest beim Auto. Ich musste mich obenrum wieder komplett ausziehen, wurde verkabelt, bekam auch noch ein Mundstück mit einem Schlauch in den Mund und eine Schwimmklammer auf die
Nase, so dass ich durch diesen Schlauch atmen musste, eine Klammer ins Ohr – fehlten nur noch die Antennen auf dem Kopf.
Ich musste 8 Minuten lang fahren, angefangen mit 75 Watt. Alle 2 Minuten wurden es 25 Watt mehr, am Ende also 150 Watt. Die ersten sechs Minuten waren albern, die letzten 2 Minuten merkte ich, dass ich überhaupt was leiste. Das sind jetzt keine großen Töne, sondern es war wirklich so. Mein Puls lag am Ende bei 134, meine persönliche Grenze wäre bei 203 gewesen. Der Arzt, der das untersuchte, meinte, das wäre eine Topfform [sic!] und Lungenfunktion und EKG seien ohne Beanstandung.
„Wie lange krieg ich jetzt TÜV?“ Der Arzt hatte die Frage sofort verstanden und meinte: „Im Vierteljahr möchte ich dich wiedersehen.“
Und tschüss. Ich fuhr nach unten zur Sporthalle, kurz duschen, dann auf meine ehemalige Station, um den Schwestern einmal „Hallo“ zu sagen und um Simone zu treffen, die eine Freundin besuchen und mit mir zurückfahren wollte. Ich wurde gleich zu einem Becher Eis ins Schwesternzimmer eingeladen und musste erstmal erzählen, wie es mit der WG und vor allem der Schule klappt.
Auf dem Rückweg bereute ich mal wieder, mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren zu sein. Meine Güte, was für eine Strapaze! Eigentlich hatte gehofft, stressfreier und vor allem schneller durch Hamburg zu kommen als mit dem Auto. Es begann damit, dass die S-Bahn in der Hauptverkehrszeit Kurzzüge einsetzt. Alleine auf meinem Bahnsteig, ich habe in den 10 Minuten Wartezeit mal grob überschlagen, standen über
100 Leute. Hinzu kommt, dass auf dieser Linie überwiegend die Züge aus der Baureihe von 1974 eingesetzt werden, bei denen beim Einsteigen eine 15 Zentimeter hohe Stufe zu überwinden ist. Dort, wo eigentlich die Rollstuhlfahrer stehen sollen (nämlich nicht im Weg), hatte es sich ein Obdachloser schlafend bequem gemacht. Der Gestank war unerträglich. Ein zweiter Typ, der sich auch seit mindestens einem Monat nicht mehr gewaschen hatte und extrem alkoholisiert war, stand uns gegenüber, hatte
eine Flasche Discounter-Bier in der Hand und verschüttete erstmal die Hälfte davon auf der Erde. Dann hielt der Zug auf offener Strecke und meine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich mit einer Durchsage: „Verehrte Fahrgäste, wegen betriebsfremden Personen im Gleis wurde der Strom abgeschaltet. Die Weiterfahrt verzögert sich um einige Minuten.“
Jaja, einige Minuten. Nach einer halben Stunde fuhren wir immerhin schonmal bis zum nächsten Bahnhof, so dass wenigstens die Türen mal wieder aufgingen und mal wieder etwas frische Luft in den Wagen kam. Da sich zwischenzeitlich der auf der Erde liegende Obdachlose übergeben hatte, stiegen Simone und ich aus und wollten den nächsten Zug nehmen. Dieser kam auch nach drei Minuten, allerdings fuhr auch er nicht weiter.
Auf dem Bahnsteig hörte man eine Durchsage: „Guten Tag, hier ist die Leitstelle der S-Bahn Hamburg. Wegen eines Polizeieinsatzes am Berliner Tor verkehren die Züge auf allen S-Bahn-Linien unregelmäßig und verspätet. Wir danken für Ihr Verständnis.“
Nach weiterer Wartezeit ging es dann stationsweise weiter. Allerdings
hielt der Zug in jeder Station rund 10 Minuten. Dann die Durchsage: „Wegen eines Polizeieinsatzes hält dieser Zug nicht in Berliner Tor. Ich
wiederhole: Dieser Zug fährt ohne Halt durch Berliner Tor. Nächster Halt: Hauptbahnhof.“ Nicht, dass wir Berliner Tor aussteigen wollten, aber so etwas gibt es eher selten. Der Grund war eindeutig: Alle Straßen
rundherum (die Bahn fährt über eine Brücke über der Straßen) waren abgesperrt und voller Polizei und Chaoten. Die Bahnsteige waren voller Polizei. Ganze Hundertschaften mit Helmen auf dem Kopf und hinter Plastik-Schilden versteckt hatten sich versammelt. Ich war froh, als wir
das Chaos passiert hatten, aber im Hauptbahnhof war es auch nicht besser. Sirenengeheul, der Bahnsteig voll mit Chaoten und Polizei und wir mittendrin. Hoffentlich kommen die hier nicht alle in den Zug und prügeln sich hier drinnen!
Kamen sie nicht. Aus der Nachtausgabe einer Tageszeitung, die einer der am Hauptbahnhof eingestiegenen Fahrgäste im Zug liegen ließ, erfuhren wir den Anlass für die Straßenschlachten: Am Nachmittag hatte die rechte NPD am Hauptbahnhof demonstriert und jetzt wohl Tausende linke Chaoten auf den Plan gerufen. Damit das gleich jeder richtig versteht: Ich bin auch gegen rechts. Aber nicht für linke Gewalt.
Um halb 11 waren wir nach fast vier Stunden Fahrt zu Hause – reif für die Horizentale. Ich sage nur: Gute Nacht, Hamburg.