Eine Woche Düsseldorf

Sie ging schneller vorüber als ich anfangs dachte, die Woche im Trainingslager in Dusseldoof. Jetzt bin ich allerdings auch froh, wieder
in Hamburg zu sein. Die Unterkunft war unter aller Kanone: Etagenbetten
für Rollstuhlfahrer (da die offiziellen Rollstuhlzimmer bereits wegen der Messe belegt waren), eine rollstuhlgerechte Toilette und Dusche für alle Personen, Unterbringung im obersten Stockwerk und nur einer von zwei Aufzügen funktionierte. Dieser war aber so klein, dass immer nur zwei Rollstuhlfahrer gleichzeitig mitfahren konnten, und wurde von einer
Kindergruppe aus Hannover arg in Anspruch genommen (schließlich konnten
die Kinder nicht vom 1. Stock ins Erdgeschoss die Treppe nehmen, sondern drückten lieber alle Etagen und stellten Stühle und Wäschewagen in die Türen, so dass wir immer erst irgendeinen Fußgänger finden mussten, der durch alle Etagen stiefelt und die Türen freiräumt).

Ich habe auch noch nie in meinem Leben so schlecht gegessen. Beziehungsweise so schlechtes Essen vorgesetzt bekommen, dass ich es, ohne es groß anzurühren, wieder zurückgegeben habe. Und ich bin bestimmt
nicht zimperlich. Aber wenn Kartoffeln von außen eine fingerdicke harte
Schicht haben und innen roh sind, ist damit irgendwas nicht in Ordnung.
Fleisch gab es nur als gepresste Masse aus einem Blech-Eimer, lauwarm und versalzen, insgesamt wurde der Fraß mit kiloweise Glutamatpulver verrührt. Die Brötchen schmeckten recht gut, der Brüller war jedoch, als
die Putzfrau mit ihren Dreckhandschuhen zwei herabgefallene Brötchen wieder in den Korb zurücklegte und erstmal alle anfassen und in Reihe bringen musste (damit sie nicht gleich wieder runterfallen). Mit den Handschuhen hat sie vermutlich vorher die Toiletten geputzt – meine Oma nimmt solche Mehrweg-Dinger immer zum Abwaschen.

Ich war mit fünf anderen Mädels in einem Zimmer. Cathleen schlief über mir, Simone durfte auch jeden Abend Klimmzüge machen, die anderen drei Mädels kamen aus Niedersachsen. Miriam, Jaqueline (beide 17 und mit
Zerebralparese) und Sofia (14, mit Spina bifida) waren uns „zugeteilt“ worden. Wir kannten uns vorher nicht, was erstmal nicht weiter tragisch gewesen wäre, wäre nicht bei allen dreien der Pflegeaufwand so hoch gewesen, dass wir keine ruhige Minute mehr bekamen. Ich bin mir sicher, man hätte es auch anders lösen können, aber die Betreuerin aus Niedersachsen, eine Birte aus Hannover, war von sich sehr überzeugt und versuchte permanent, auch uns drei Hamburgerinnen überflüssige Hilfe aufzudrängen. Dabei betonte sie aber ständig, wie schlecht bezahlt sie doch sei und erzählte uns eine nach der nächsten Geschichte von ihrem Arbeitsplatz, ihren Kollegen, ihrer Katze und ihrem Supermarkt – lauter uninteressante Dinge, die niemand wirklich hören wollte. Aus jedem zweiten Satz konnte man heraushören, wie toll sie sich findet.

Mit sechs Rollstühlen in einem normalen Zimmer zurecht zu kommen, war
eine logistische Herausforderung. Erstmal mussten die Mädels aus den oberen Betten (Cathleen, Simone und Sofia) nach oben, dann mussten wir ihre Rollstühle in die Raummitte und auf den Schreibtisch (ja, richtig gelesen) stapeln, bevor die drei anderen in ihre Betten kamen. Im Zimmer
roch es permanent nach feuchtem Keller, was vermutlich aus der schimmeligen Duschkabine kam, die an das Zimmer angeschlossen war, die wir aber mit den Rollstühlen nicht erreichen konnten. Wie gesagt, unser Bad war auf dem Flur.

Übertreibt die Stinkesocke mal wieder ein bißchen? Nein, tut sie nicht. Ein Bild von der stinkenden Dusche:


Legger, oder? Mag ja für den einen oder anderen normal sein, aber bei mir zu Hause sieht das nicht so aus. Und darüber bin ich sehr froh. Okay, die Bettwäsche stank auch, die Betten wackelten und knarrten. Jedes Mal, wenn Cathleen sich umdrehte, rieselte mir Sand aus ihrer Matratze durch den Lattenrost in die Augen. Oder alternativ auf die Bettdecke.

Trotz aller Widrigkeiten war es eine sehr schöne Woche. Ich habe sehr
viel dazu gelernt, hatte sehr viel Zeit für meinen Sport, mein Training
und mein Team, war zum allerersten Mal in meinem Leben auf einer Rehabilitations- und Pflegemesse, habe dort alles mögliche ausprobiert (es gibt ja wirklich spannende Sachen, wenngleich auch viel Blödsinn), habe, wie schon in dem Beitrag vom Dienstag erwähnt, erfahren, dass die Leute im Rheinland sehr viel gelassener, unkomplizierter und rücksichtsvoller sind als in Hamburg, hatte insgesamt sehr viel Spaß und
würde mich jederzeit wieder anmelden.

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