Ein Rennrollstuhl für 1.500 Euro

Um die Frage zu beantworten, ob man sich einen neuen Rennrollstuhl zulegt, muss man sich erstmal selbst die Frage stellen, ob man diesen Sport überhaupt langfristig und professionell machen möchte. Denn so ein
Sportgerät kostet in einfachster brauchbarer Ausstattung mindestens 5.000 Euro. Da ich noch nicht hundertprozentig weiß, wie ich in den nächsten zwei Jahren mit der Schule zurecht komme, ob ich mich in meiner
Leistung entsprechend steigern kann, ob ich überhaupt die Zeit habe, intensiv zu trainieren, ob dieser Sport für mich das richtige ist und ob mein Körper ein dauerhaftes intensives Training akzeptiert, wäre es aus meiner Sicht verfrüht, so viel Geld dafür auf den Tisch zu legen.

Aber eine Entscheidung musste her, denn den Rennrollstuhl, den ich bisher leihweise nutzen konnte, sollte verkauft werden. Die Eigentümerin brauchte das Geld. Insofern kam mein Verein gestern abend gleich mit zwei Nachrichten auf mich zu: Erstens könnte ich den Stuhl nicht mehr länger leihweise nutzen und müsste ihn gereinigt und gewartet zurückgeben, zweitens würde man den Stuhl als Vereinseigentum kaufen und ihn mir dann wieder leihweise zur Verfügung stellen.

So sicher bin ich mir dann aber doch, dass ich die geforderten 1.500 Euro für einen Stuhl, der dann mir privat gehören würde, investieren wollte. Man muss zwar kein Geld zum Fenster rausschmeißen – eigentlich könnte ich ja froh sein, wenn mir der Verein „meinen“ Stuhl kauft und ihn mir dann, wann immer ich ihn brauche, verleiht. Aber: Ich würde ihn dann halt nicht alleine benutzen. Wenn ich mal nicht zum Training käme oder irgendwo Materialmangel herrscht (auf Wettkämpfen etc.), könnte es gut sein, dass auch andere Vereinssportler ohne eigenen Rennrollstuhl dieses Gerät ausgeliehen bekommen.

Gehen wir mal davon aus, dass auch alle so sorgfältig damit umgehen wie ich, so müsste ich doch jedes Mal meine Einstellungen wieder finden. Bei Defekten wäre ich diejenige, die dann überraschend keinen Stuhl hat oder erstmal Reifen flicken muss. Und dann eben nicht zu guter Letzt der hygienische Aspekt. Sicher benutzt jeder sein eigenes Sitzkissen und selbstverständlich wird der Stuhl nach jedem Einsatz gereinigt. Aber trotzdem möchte ich mir nicht vorstellen, dass direkt vor mir schon jemand anderes trainiert hat, alles völlig verschwitzt oder vom Regen durchnässt ist, und ich mich dann in einen feuchtwarmen Rollstuhl setzen muss. Ganz zu schweigen von anderen Sekreten oder Körperflüssigkeiten, die während Wettkämpfen oder intensivem Straßentraining bei einigen Athleten ihren Lauf nehmen.

So konnten wir uns kurzerhand darauf einigen, dass ich den Rennrollstuhl privat anschaffe und der Verein für die eingesparten 1.500 Euro ein weiteres Sportgerät, nun für den noch jüngeren Nachwuchs, im nächsten Frühjahr anschafft. Nach Zustimmung meiner Eltern darf ich nun einen gebrauchten Rennrollstuhl mit internationaler Karriere (wer hat sowas schon?) mein Eigen nennen.

Zu einer der vermutlich letzten Nachtfahrten vor dem Wintereinbruch sind Cathleen, Kristina, Merle, Nadine, Simone, Yvonne und ich heute nacht aufgebrochen. Es war angenehm warm, aber doch zu kalt, um kurzärmlig zu fahren. Die Straßen waren nass, aber es regnete zunächst nicht. Die Strecke, Länge rund 18 Kilometer, kannte ich noch nicht: Aus Niendorf am Airport vorbei, durchs Niendorfer Gehege, Farnhornweg bis Luruper Chaussee und dann mit einem Knick zu unserem Zielpunkt in der Nähe des Volksparks.

Tatjana hatte große Lust auf Konditionstraining und wollte uns in vier Intervallen zu je vier Minuten in Höchstgeschwindigkeit durch die Nacht donnern sehen. Nach einem allgemeinen Aufwärmprogramm waren einzelne Streckenabschnitte wie gemacht dafür. Aber leider machte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. In einigen Straßen lief das Wasser wegen des Laubs zum Teil so schlecht ab, dass wir wegen tiefer Wasserpfützen langsam fahren mussten. In der Volksparkstraße fuhren drei Chaoten mit Kleinbussen mit so hoher Geschwindigkeit neben uns durch eine Wasserpfütze, dass wir drei Mal hintereinander regelrecht geduscht wurden. Yvonne und Simone kreischten laut – das Wasser war natürlich eiskalt. Und vor allem dreckig. Dieses unfreiwillige Bad zwang uns, erstmal langsam aus dem Bereich rauszufahren, dann aber anzuhalten und uns zumindest einmal grob die Haare, das Gesicht und die Hände abzutrocknen.

Ich hatte das Gefühl, meine ganzen Haare wären voller Sand. Insofern war ich auch nicht böse drum, als es in der Elbgaustraße zu regnen anfing. Die Luft war relativ warm, im zweistelligen Bereich, wir schwitzten durch das intensive Training und die warme Dusche war nicht mehr weit. Man könnte fast sagen, dass der Regen angenehm war. Auf jeden Fall nach der Schmutzwasserdusche.

Nadine und Kristina waren die ersten, die aus ihren Rollstühlen ausstiegen, alles stehen und liegen ließen und unter die heiße Dusche watschelten. Nadine und Kristina können trotz ihrer Lähmung gehen – und vor allem im Stehen duschen. Als Cathleen und ich mit Hilfe von Tatjana in den Duschraum kamen, standen dort im flackernden Licht zweier defekter Leuchtstoffröhren zwei Frauen, die auf dem Weg dorthin alle vom Regen und von der Matschdusche durchnässten Klamotten von sich gerissen und auf dem Fußboden verteilt hatten. Da lag eine Hose, hier lag ein BH und dorthinten trieben Armwärmer in Richtung Abfluss.

Ich nahm nur meinen Helm ab und packte die Funkeinheit weg, dann setzte ich mich in kompletter Montur unter die Dusche. Es war sowieso schon alles nass und wenigstens wurden so der ganze Sand und Dreck und einzelne Blätter, die bei dem Matschangriff über uns gegossen wurden, ausgespült und würden nicht zu Hause das Sieb unserer Waschmaschine verstopfen. Cathleen machte es mir nach, Simone, die kurz danach reingerollt kam, meinte nur: „Was macht ihr denn da? Ein Wetlook-Match?“

Natürlich haben wir uns beim Duschen noch ausgezogen, denn wir wollten ja auch sauber werden. Im Gegensatz zu der Sporthalle in Wandsbek, in der wir manchmal nach einem Straßentraining duschen, ist hier das Wasser wenigstens angenehm warm. Simone kam nach dem Training mit zu uns nach Hause. Bis spät in den Sonntag hinein träumten wir von unserer Strecke.

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