Ich stelle mir gerade vor, wie es wäre, wenn sich jemand in einen Rollstuhl setzt, vorgibt, nicht laufen zu können, und vor diesem Hintergrund verschiedene Sozialleistungen beantragt. Zum Beispiel Pflegegeld, weil er von Angehörigen gepflegt wird, die dafür eine Aufwandsentschädigung (bei Querschnittlähmungen meistens zwischen 0 und 430 Euro im Monat) erhalten sollen. Zum Beispiel einen blauen Parkausweis für das Auto, damit er auf Behindertenparkplätzen stehen darf. Zum Beispiel einen Ausweis, mit dem er deutschlandweit alle Busse,
Straßenbahnen, S-Bahnen, U-Bahnen und Nahverkehrszüge kostenlos benutzen darf, einschließlich einer Begleitperson. Ich glaube, dieser Jemand müsste sich sehr geschickt anstellen, denn er müsste nicht nur alle Ärzte, die ihn behandeln, sondern auch noch den Gutachter davon überzeugen, dass seine Krankengeschichte und seine Symptome nicht erschwindelt, nicht psychisch bedingt, sondern durch physische Prozesse oder Krankheiten hervorgerufen wurden.
Bei einer Querschnittlähmung wäre das wohl nicht möglich. Spätestens wenn der Neurologe sein Reflexhämmerchen rausholt und an die Ferse klopft, fliegt der Schwindel auf. Und welche Querschnittlähmung wird schon ohne einen Aufenthalt auf der Intensivstation überlebt? Keine.
Nun könnte es Erkrankungen geben, die Lähmungen oder Einschränkungen hervorrufen, bei denen man aber im gewissen Maße auf die plausible Darstellung des Betroffenen angewiesen ist, wenn man das Ausmaß der Einschränkung beurteilen will. Hier wird man als Gutachter doch wohl sehr, sehr genau nachfragen. Erzählt jemand dort mehr als wirklich vorliegt, nennt man das wohl Betrug. Die Gefahr, aufzufliegen, fände ich
so erdrückend, dass ich eher auf etwas verzichten würde als in den Verdacht zu gelangen, ich würde mir etwas erschleichen.
Wie erkläre ich nicht zuletzt meiner Umwelt, meiner Familie, meinen Freunden, dass ich einen blauen Parkausweis für das Auto habe, wenn ich doch eigentlich laufen kann? Was sage ich, wenn mich mein Nachbar auf dem Behindertenparkplatz parken sieht, augenscheinlich zurecht, denn ein Ausweis liegt ja in der Scheibe, ich aber ganz normal laufen kann? Wie dick muss mein Fell sein, dass das alles an mir abprallt?
In der Nähe von Stuttgart gibt es einen 61-jährigen Mann, der hat eine solche Show abgezogen. Nur hat er sich nicht als Rollstuhlfahrer ausgegeben, sondern als blind. Er hatte auf Grund einer Zuckerkrankheit eine vorrübergehende Sehschwäche, er hat sich aber zumindest beim Gutachter so angestellt, als wenn er nur noch Hell von Dunkel unterscheiden und ein paar Schatten sehen kann. Der Gutachter hat es geglaubt (Ich sehe was! Was du nicht siehst… – tolle Wortspielerei, ne?) und den Weg frei gemacht für eine monatliche Sozialleistung (Landesblindengeld) in Höhe von 409 Euro.
Dass auch Blinde auf Behindertenparkplätzen parken dürfen, ist Fakt. Deswegen bekommen auch sie auf Antrag einen blauen Parkausweis. In der Regel fährt das Auto dann eine Begleitperson des Blinden. Nicht so bei diesem Mann, der selbst mit dem Auto kam, um diesen Ausweis von der ausstellenden Dienststelle abzuholen. Die Mitarbeiterin schaute aus dem Fenster und traute ihren Augen nicht, als sie den Betrüger mit dem Auto wegfahren sah.
Inzwischen wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. Vor einigen Tagen hat auch die letzte Instanz des Verwaltungsgerichts geurteilt, dass er die zu Unrecht erhaltenen Sozialleistungen zurückzahlen und sämtliche Ausweise abgeben muss. Dagegen hatte er bis zuletzt geklagt. (Quelle: Stimme)
Sachen gibts, die gibts gar nicht. Ich hatte durch meinen Aufenthalt in der Spezialklinik relativ viel Glück, was solche Gutachten angeht. Bei mir reichte die Krankenhausakte, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ich kenne aber genügend Leute, die im Rollstuhl sitzen und beispielsweise den blauen Parkausweis für Behindertenparkplätze nicht bekommen, da sie noch wenige Schritte mit Festhalten gehen können. Dass man da zweifelt und zögert ist natürlich in erster Linie eine Kostenfrage. In zweiter Linie verdankt man solchen Bürokratenwahnsinn aber genau solchen blinden Spinnern.