Ich gehe mit meiner Laterne

… und meine Laterne mit mir. Da oben leuchten die Sterne und unten leuchten wir. Ich trag mein Licht und fürcht‘ mich nicht, la bimmel, la bammel, la bumm.

So habe ich es im Kindergarten gelernt. Man könnte jetzt über den tieferen Sinn und über Parallelen im Leben, in meinem Leben, nachdenken und würde bestimmt irgendetwas finden. Ganz bestimmt.

In diesem Moment finde ich es allerdings lediglich schade, dass es am
Ende nicht „la bummel“ heißt. Denn „Bummel“ heißt mein neuer vorläufiger weiblicher Vormund. Kein Scherz. Und der Name ist auch keineswegs Programm, dazu aber später mehr.

Erstmal muss ich erwähnen, dass es sich um eine etwa 1,80 Meter große
Frau Mitte 30 handelt, die einen blonden Igelhaarschnitt trägt und eine
Stimme hat, dass ich sie nicht brüllen hören möchte. Bezogen auf den Körperbau könnte man annehmen, sie sei Zehnkämpferin. Sie sagte, sie führe ehrenamtlich mehrere Betreuungen, jedoch noch keine Vormundschaft.
Sie wohne mit ihrem Onkel zusammen in einem Haus im Hamburger Stadtteil
Harburg, mit ihr vier Pflegekinder. Ein Pflegekind sei 14 Jahre alt und
habe Spina bifida, eine angeborene Querschnittlähmung.

Das Gericht, eine Richterin, vermutlich um die 60 Jahre alt, stellte kaum Fragen, sondern wollte von meinem Vater wissen, wie er sich seine Zukunft mit mir vorstelle. Er antwortete, dass er keinen Bock darauf habe, sich für alles ständig rechtfertigen zu müssen. Die Richterin las ein Gutachten vor und fand, dass meine Mutter zur Zeit nicht für mich sorgen könne. Da ich erst 17 sei und es augenscheinlich niemanden gäbe, der für mich sorgen würde, auch nicht ein bißchen, so dass man es ergänzen könnte, müsste ich vorläufig einen Vormund bekommen. Ob ich jemanden vorschlagen wollte.

Da es innerhalb meiner Familie niemanden gab, der dafür in Frage käme, hätte ich am liebsten den Rechtsanwalt vorgeschlagen, der auch mein Geld aus dem Unfall betreut. Der hatte aber abgelehnt, er sei zu beschäftigt. Entsprechend wurde das Jugendamt beauftragt, jemanden zu benennen und die zauberten auch gleich die Frau Bummel aus dem Hut. Ja, sie heißt wirklich so! Mein Anwalt hatte schon vorher schriftlich beantragt, einige inhaltliche Dinge festzuschreiben. Dass ich weiter in der WG wohnen darf, dass ich weiter die Schule besuchen darf und dass ich weiterhin meinen Sport und meine Therapien machen soll. Die Richterin legte diese Dinge so fest. Ebenso, dass die Vermögensdinge bei
diesem Rechtsanwalt bleiben.

Frank sagte, dass er die Frage, ob ich weiterhin Auto fahren darf, lieber nicht stellen möchte. Solange niemand darüber stolpert, sollte man keine schlafenden Hunde wecken.

Diese Entscheidung gilt vorläufig für zunächst drei Monate. Während dieser Zeit wurde meinem Vater auch verboten, Kontakt zu mir aufzunehmen. Das heißt, lediglich ich dürfte ihn anrufen, aber nicht umgekehrt. Kontakt zu mir soll nur über das Jugendamt laufen. In drei Monaten, also Anfang April, will man das eventuell noch einmal verlängern. Danach darf man nicht mehr verlängern, sondern es müsste ein
länger gültiger Beschluss gefasst werden mit Gutachten und großem Aufwand, das will man aber wohl umgehen, da das dann nur noch für wenige
Wochen gelten würde, bevor ich 18 bin.

Zurück zu Frau Bummel: Sie wollte als erstes zu mir mit in die WG. Jeder andere hätte gesagt: „Ich möchte mir mal ein Bild von Ihrer Wohnsituation machen.“ Frau Bummel sagte: „Ich möchte Ihre Unterkunft mal in Augenschein nehmen.“ Ja nee, is klar.

Spricht ja auch nichts dagegen, sie ist ja nun offiziell für mich zuständig. Sie verlangte nun, einen Schlüssel für die Wohnungstür und für mein Zimmer (das ist derselbe) zu bekommen. Außerdem möchte sie, dass ich mein Handy für eine Ortung freischalte, so dass sie jederzeit sehen kann, wo ich bin. „Die Kosten hierfür sind aus dem Mündelvermögen zu begleichen.“ So redet sie.

Es geht noch weiter: Über eben dieses Mündelvermögen müsste sie ein Verzeichnis anlegen. Ich sollte ihr eine detaillierte Aufstellung über alles geben, was mir gehöre. Jede CD, jeder Kugelschreiber, jede Unterhose. Ich habe geantwortet: „Für solchen Mist habe ich keine Zeit. Ich muss für die Schule lernen.“ Daraufhin sagte sie: „Dann machen wir das zusammen. Das Gericht schreibt es vor.“

Irgendwas skurriles wollte sie noch. Das habe ich vergessen. Und dann: Es könnte sein, dass sie ihren Onkel vorbeischickt, wenn sie mal keine Zeit hätte und dringend etwas mit mir geklärt werden müsste.

Frank rollte durch die offene Tür in mein Zimmer. „Na, alles klar?“ –
„Sag mal, kennst du dich mit diesem Vermögensverzeichnis aus? Frau Bammel sagt, es müsste jeder Kugelschreiber benannt werden.“ – „Wieso, für dein Vermögen ist doch der Rechtsanwalt weiter zuständig?! Und alles, was hier an Kleinteilen rumliegt, ist kein Vermögen, sondern das sind Haushaltsgegenstände im üblichen Rahmen.“

Frau Bammel antwortete nicht. Ich fragte weiter: „Und was ist mit einem Schlüssel für die WG und mein Zimmer?“ – „Wofür brauchen Sie den denn?“ fragte Frank. Sie blickte ihn genervt an und antwortete: „Es könnte ja mal was sein, ein Notfall. Und sie ist alleine zu Hause.“

Irgendwie hat Frank auf alles eine Antwort parat: „Dann rufen Sie einen Schlüsseldienst und lassen Ihr Mündel das bezahlen. Ganz einfach. Und wenn kein Notfall ist, können Sie klingeln. Oder finden Sie nicht? Hier wohnen ja schließlich auch noch andere Leute, die sich ängstigen, wenn plötzlich wildfremde Leute vor ihnen in der Wohnung stehen.“

„Dann wäre da auch noch die Handyortung“, fuhr ich fort. Wenn schon, denn schon. – „Die elektronische Fußfessel darf im Strafvollzug nur mit Zustimmung des Betroffenen angewendet werden. Wie sieht es aus, Julia, stimmst du zu?“

Ich wollte sie nicht unnötig reizen, sondern ernsthaft antworten: „Ich denke, dass Sie mich anrufen können, wenn Sie etwas von mir wollen.
Meine Handynummer haben Sie ja. Ich mache keinen Blödsinn, ich mache nichts Verbotenes. Aber rund um die Uhr abfragen wo ich bin? Das geht mir zu weit.“ – „Ich muss jederzeit wissen, wo Sie sind.“ – „Ja, dann rufen Sie mich an, wenn Sie es wissen müssen, dann sage ich es Ihnen.“

Am Ende hat sie es geschluckt. Und ist abgedampft. Ohne Vermögensverzeichnis, ohne Schlüssel und ohne Freischaltung zur Handyortung.

Ich gehe mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir. Da oben leuchten die Sterne und unten leuchten wir. Ich trag mein Licht und fürcht‘ mich nicht, la bimmel, la bammel, la bummel.

Wahnsinn.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert