Zwischen Jan und mir herrscht wohl erstmal Funkstille. Wie die Überschrift schon verrät, bin ich irritiert und nicht nur im übertragenen Sinne unterkühlt. Eigentlich sollte es ein nettes Wochenende werden und ich wollte bei ihm schlafen. Wir waren gestern mit
ein paar Leuten im Kino, haben uns „Friendship!“ angeschaut, gelacht, gemeinsam noch etwas gegessen und sind dann zu zweit zu Jan nach Hause gefahren.
Zum ersten Mal habe ich dabei auch seine Wohnung kennen gelernt. Das sah so alles sehr nett aus, nur wohnt er, genau wie ich, noch nicht so lange alleine. Insofern fehlen ihm auch viele Dinge. Was ja nicht schlimm ist. Ich bin nicht verwöhnt, finde einheitliches Geschirr eher spießig und habe auch nichts gegen eine auf dem Boden liegenden Matratze
als Bett. Auch als Rollstuhlfahrerin nicht.
Als wir zu ihm nach Hause kamen, war es etwa 0.30 Uhr nachts und ein Fenster im Schlafzimmer war gekippt. Draußen waren 12 Grad unter Null und wir waren schon entsprechend durchgefroren. Die Wohnung ist nicht unterkellert und das Schlafzimmer hat zwei Außenwände und zum Teil noch einfache Verglasung. Ist halt sehr günstig. Richtige rollstuhlgerechte Wohnungen findet man in Hamburg nicht unter 600 Euro, diese kostet 250 Euro warm und ist eigentlich nicht rollstuhlgerecht, aber ebenerdig. Für
ihn reicht es, sagt er.
Ich schaute auf das Thermometer, das im Schlafzimmer hing. Acht Grad plus. Dann schaute ich auf meine Decke: Eine dünne Sommer-Steppdecke, so
dünn, dass ich im ersten Moment dachte, es sei nur ein Bezug. Dünner als eine Wolldecke auf jeden Fall. Ich dachte: „Das ist jetzt nicht sein
Ernst.“ Er schloss das Fenster und meinte, dass er mir noch eine Wolldecke zusätzlich geben könnte. Ich antwortete: „Mach doch erstmal die Heizung an!“
„Zwischen 22 und 7 Uhr geht die Heizung nicht. Wasser wird auch nur lauwarm. Der Vermieter spart.“ – „Ich hoffe, du hast einen Heizlüfter.“
Jan schüttelte den Kopf. Ich wusste nicht, ob er mich verarscht. Aber
er meinte das augenscheinlich ernst. „Einen Schlafsack? Jan, ich leg mich nicht bei dieser Kälte unter eine dünne Wolldecke.“ – „Komm doch mit unter meine Decke, dann wärmen wir uns gegenseitig. Ich habe ein dickes Federbett. Ich schlafe hier jede Nacht!“
Okay, ich wollte kein Spielverderber sein. Meine Hose war nass vom Schnee, sonst wäre sie vielleicht wärmer gewesen als mein Schlafanzug. Ich packte mich zu ihm unter die Decke, kuschelte mich fest an ihn. Er schlief ein, ich wurde und wurde nicht warm. Nach etwa einer Stunde weckte ich ihn. Als er sich drehte und die Decke halb von mir runterrutschte, fing ich so an zu zittern, dass meine Zähne richtig heftig aufeinander klapperten. „Jan, das geht so nicht. Ich hol mir hier
den Tod.“ Ich zog die Decke wieder über mich.
„Du übertreibst“, antwortete er. Wie nett! Ich fühlte mich so richtig
ernst genommen. Er nahm meinen Arm und sagte: „Du hast nicht mal eine Gänsehaut. Schlaf jetzt!“ Ich dachte, ich spinne. Ich tastete im Dunkeln
nach dem Lichtschalter.
„Was soll das denn jetzt? Es ist zwei Uhr nachts!“ – „Mir ist arschkalt und ich werde nicht warm. Ich schlage vor, ich zieh mich an und fahre zu mir nach Hause. Wenn du mitwillst, kannst Du gerne mitkommen, aber ich bleibe nicht hier.“ – „Du hast ja ganz blaue Lippen!
Hast du dich nicht richtig zugedeckt?“ – „Jan, ich habe eine Querschnittlähmung! Ich habe Eisbeine seit wir draußen waren und die werden von alleine nicht wieder warm und kühlen mich immer weiter aus. Wenn dazu noch diese arschkalte Wohnung kommt, unterkühle ich irgendwann.“ Er krabbelte zu einem Schrank und deckte mich wieder halb auf. Herrje!!! Er holte ein Fieberthermometer raus. „Miss mal bitte. Du siehst nicht gut aus.“
Ich steckte mir das Thermometer in den Mund. Ich hätte beim Zähneklappern beinahe drauf gebissen. Bei 34.3 Grad piepte es. Das müsste nun eindeutig genug sein. „Hast du richtig gemessen?“ – „Unter der Zunge. Tu mir bitte den Gefallen und gib mir meine Klamotten, damit ich mich im Liegen anziehen kann.“ Er wollte nicht mit. Ich rief mir ein
Taxi. Als ich mich, immernoch zähneklappernd, ins Taxi umsetzte und der
Fahrer meinen Rollstuhl in den Kofferraum verladen hatte, sagte der: „Du bist kalt! Mercedes gute Heizung. Vorher Passat, nix gute Heizung. Immer frieren. Für junge Lady ich mache heiß wie Wüstensturm?“ – „Wüstensturm ist okay“, antwortete ich. Der Afrikaner drehte alle Regler
bis zum Anschlag. Dann erzählte er mir erstmal seine halbe Lebensgeschichte. Ich wäre fast eingeschlafen. Aber er wusste den Weg.
Als wir bei mir zu Hause ankamen, zeigte die Uhr knapp 46 Euro. Immerhin waren wir auch gut eine halbe Stunde unterwegs gewesen. Inzwischen klapperten meine Zähne nicht mehr, aber ich fror nach wie vor. Mir war scheißegal, was die anderen Leute im Haus darüber denken würden, wenn ich mir um kurz vor 4 Uhr nachts die Badewanne einlasse. Während es plätscherte, machte ich mir eine große Tasse Milch mit Honig in der Mikrowelle heiß und nahm sie mit. Das Badewasser erstmal nicht zu
warm, reinsetzen und dann nach und nach heißes Wasser mit der Handbrause zulaufen lassen. Wie schön, dass bei uns in der WG sowohl die
Heizung als auch das Heißwasser nachts geht.
Um kurz vor 5 Uhr fühlte ich mich wieder so gut, dass ich direkt in mein Bett verschwunden bin. Jan hat sich den ganzen Sonntag lang nicht ein einziges Mal gemeldet. Ich will echt nicht glauben, dass ihm das so scheißegal ist. Ich finde eigentlich, dass ich nicht unbedingt empfindlich bin. Ich bin schon bei 14 Grad Wassertemperatur in der Ostsee schwimmen gewesen. Aber das hier war doch eindeutig ein bißchen zu heftig.