Schrottprojekt, Hühnersuppe und Meerjungfrauen

Im zweiten Schulhalbjahr müssen wir im Unterrichtsfach Psychologie Zweiergruppen bilden und selbständig Projekte zu vorgegebenen Themen ausarbeiten. Ich habe mir zusammen mit einer Mitschülerin ein Projekt ausgesucht, bei dem es um den Einfluss von äußeren Umständen auf die Antworten eines Probanden bei einer Befragung geht. Die Projekte haben drei Teile: Im ersten Teil sollen die beiden „Projektleiter“ das schriftlich zu Hause vorbereiten und dann den Mitschülern vorstellen, im zweiten Teil soll der ganze Kurs einige Stunden lang in der Öffentlichkeit eine Befragung oder ein Experiment oder eine Beobachtung durchführen, im dritten Teil sollen wieder die beiden „Projektleiter“ den Kram auswerten und dem Kurs die Ergebnisse vorstellen und alles gesammelt als schriftliche Arbeit abgeben.

Jede Zweiergruppe hat ihre Termine bekommen und meine Partnerin und ich hatten eigentlich bis Ende des Monats dafür Zeit. Meine Mitschülerin hatte mir am letzten Wochenende einen Entwurf zugemailt, der ging aber gerade über eine Dreiviertelseite und als Richtlinie waren etwa fünf Seiten Projektbeschreibung, fünf Seiten Anleitung und zwei bis fünf Seiten Ankreuzbogen vorgegeben. Bevor ich sie mir zur Brust nehmen konnte, dass ich gerne eine gute Beurteilung haben möchte und mir ihre Dreiviertelseite nicht ausreicht, erfuhr ich gestern sozusagen „nebenbei“, dass die Termine neu festgelegt worden waren. In der Stunde war ich nicht da. Heute war unser Abgabeschluss für den ersten Teil. Und wir sind die erste Gruppe.

Also habe ich gestern, nachdem ich meine „Kollegin“ nicht erreichen konnte und sie sich auch nicht zurückmeldete, von Schulschluss bis 4.00 Uhr nachts (also 14 Stunden durchgehend) nur am PC gesessen und getippt. Ich hatte das Glück, dass in meiner WG eine Psychologin wohnt (Sofie), die mir einige gute Tipps geben konnte. Natürlich hat sie mir nicht geholfen, ich soll ja was lernen, aber ich konnte mit ihr meine Ideen austauschen.

Ich hatte die Idee (und meine Mitschülerin fand sie gut), in Hamburg Leute zu befragen, ob sie finden, dass es in Hamburg ausreichend Aufzüge in den U-Bahn-Stationen gibt. In einem Fall sollte das Gespräch damit angefangen werden, dass gerade 7 Millionen Euro in neue Aufzüge investiert worden sind, in einem anderen Fall damit, dass gerade mal 40% der Stationen behindertengerecht sind. In allen anderen Fällen sollte ganz neutral nichts vorweg geschoben werden, sondern durch den Standort Einfluss genommen werden. Zum Beispiel sollte das 3. Team am Jungfernstieg vor den beiden neuen Aufzügen der U-Bahn-Station stehen, das 4. am Jungfernstieg vor den Treppen der S-Bahn, ein 5. oben auf dem Jungfernstieg vor der Tür der Beratungsstelle der Rentenversicherung, ein 6. auf dem Jungfernstieg vor einem Nobelkaufhaus. Das siebte und achte Team sollte zwar an neutralen Orten stehen und auch die Fragen neutral stellen, aber einmal mit Springerstiefeln und Bomberjacke bekleidet sein und einmal aus einer Rollstuhlfahrerin und einem „Hippi“ bestehen.

Natürlich weiß jeder, was bei dieser Befragung rauskommt, aber wir sollen das ja lernen. Ich habe also in einer 14-stündigen Mammut-Aktion alleine diese Hausaufgabe fertig bekommen, mich dann zwei Stunden hingelegt und bin völlig übermüdet mit dem Taxi (wegen immernoch defektem Garagentor) zur Schule gefahren und durfte dann erfahren, dass diese Projekte vermutlich erstmal auf Eis gelegt sind. Nähere Informationen bekämen wir am nächsten Montag. Ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll.

Als ich wieder zu Hause war, habe ich alle Termine für heute abgesagt, Telefon und Handy abgestellt, „bitte nicht stören“ an die Tür gehängt und mich ins Bett gepackt. Ich war so fertig von der fehlenden und durchgearbeiteten Nacht, dass mit beim Mittagessen der Kopf fast in die Hühnersuppe gekippt wäre.

Als ich abends wieder aufwachte, hörte ich andere Hühner gackern. Simone war bei Cathleen zu Besuch. Die beiden waren gerade von draußen reingekommen, völlig durchgefroren und ließen sich die Badewanne einlaufen. Die Tür zum Badezimmer stand halb offen und als ich vorsichtig um die Ecke schaute, stieg gerade Simone zu Cathleen in die Badewanne. „Was macht ihr denn da?“ fragte ich.

„Aufwärmen. Wir wollten dich vorhin fragen, ob du mitkommst, aber du wolltest ja nicht gestört werden. Jetzt ist uns kalt, ich habe schon ganz blaue Beine. Willst du auch noch mit in die Wanne?“ fragte Cathleen und Simone kiecherte. Einen Moment überlegte ich, ob ich wenigstens so tun sollte, als wenn ich mich ausziehe, aber dann schaute auch noch Lina um die Ecke und traute ihren Augen kaum. Am Ende standen wir zu viert im Bad, Liam, der unbedingt die zwei badenden Meerjungfrauen sehen wollte, kochte denen sogar extra einen heißen Tee und ein lustiger DVD-Abend rettete den Tag.

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