In den ersten beiden Wochen im Juni müssen wir von der Schule aus ein Praktikum machen. Also in zwei Monaten, allerhöchste Zeit, loszuziehen, nach möglichen Stellen zu fragen und sich zu bewerben. Es muss etwas aus dem Bereich Pädagogik / Psychologie sein.
Als erstes habe ich mich in zwei Schulen für Menschen mit Lernbehinderungen umgesehen. In der ersten Schule hieß es, dass man grundsätzlich keine Schülerpraktikanten nehme, in der zweiten ging man sogar noch einen Schritt weiter. Die Mitarbeiterin im Sekretariat erklärte: „Wir sind eine Schule für Lernbehinderte, nicht für Körperbehinderte.“ Ich fasste noch einmal nach: „Nein nein, mir geht es in erster Linie auch um Schüler mit Lernbehinderung, nicht um solche mit einer Körperbehinderung.“
Sie antwortete: „Ja, aber du bist körperbehindert und wir sind eine Schule für Lernbehinderte.“ Ich glaubte, dass sie mich immernoch nicht verstanden hatte: „Ich suche keinen Schulplatz, ich möchte nur zwei Wochen Praktikum machen.“ Nun wurde sie frech: „Das habe ich schon verstanden, aber ich erläutere es gerne auch für nicht Lernbehinderte noch ein drittes Mal: Wir sind keine Körperbehindertenschule.“
Wahrscheinlich wollte sie ausdrücken, dass die Schule nicht rollstuhlgerecht ist. Was ich aber nicht verstehen kann, denn laut Verzeichnis sei sie rollstuhlgerecht. Egal. Ich überlegte, was mehr bringen würde: Sie gleich als Arschloch zu beschimpfen oder mich über ihr arschiges Verhalten schriftlich zu beschweren. Ich entschied mich für das zweite, erfuhr dann aber von Frank, dass es wenig Sinn machen würde, da im Zweifel Aussage gegen Aussage stehe. Dennoch könnte es aber sein, dass sie bereits öfter mit solchen Dingen aufgefallen ist oder man zumindest hellhörig wird. Daher habe ich mit ihm zusammen eine Mail geschrieben:
„Sehr geehrte Frau Senatorin Goetsch, nach einer einjährigen krankheitsbedingten Unterbrechung versuche ich zur Zeit, mein Abitur an der …-Schule zu absolvieren. Im Juni steht ein zweiwöchiges Praktikum an, das einen pädagogisch-psychologischen Einschlag haben soll. Meine Lehrer empfahlen mir, mich an der …-Schule für lernbehinderte Menschen zu bewerben. Nachdem ich mich in einem Verzeichnis vergewissert hatte, dass die Schule rollstuhlgerecht (und damit auch für mich zugänglich) ist, suchte ich heute das Sekretariat dieser Schule auf und fragte nach der Möglichkeit eines Schülerpraktikums. Ich bin davon ausgegangen, dass ich mich als Schülerin, die im Rollstuhl sitzt, denselben Kriterien stellen müsste wie meine nicht behinderten Mitschüler. Dass ich jedoch schon aufgrund meiner Körperbehinderung im Vorfeld abgelehnt werden würde und die Mitarbeiterin der Schulbehörde mich mit Bezug auf meine Behinderung beleidigt, verletzt mich nicht nur sehr, sondern ruft gerade
mit Blick auf die (lern-) behinderten Schüler dieser Schule absolute Fassungslosigkeit hervor. Ihre Mitarbeiterin versuchte mir mittels eines Wortspiels zu erklären, dass es sich um eine Schule für Lernbehinderte, nicht für Körperbehinderte (wie mich) handele. Weil mir weder der Sinn des Wortspiels noch die Rolle meiner Körperbehinderung bei der Bewerbung um einen Praktikumsplatz deutlich wurden, fragte ich insgesamt zwei Mal
nach. Eine vernünftige Antwort bekam ich jedoch nicht. Ihre Mitarbeiterin merkte stattdessen an, dass sie die Antwort (in Form des Wortspieles) auch für Nicht-Lernbehinderte (wie mich) gerne nochmal wiederhole. Ich bitte um Prüfung und schriftliche Antwort. Mit freundlichen Grüßen“
Ich fragte auch in dem Unfallkrankenhaus nach, in dem ich lange Monate behandelt worden bin. Schülerpraktikum? Na klar! Im psychologischen Dienst darf ich 14 Tage dabei sein. Das finde ich absolut super. Ich habe gleich einen Personalbogen bekommen, musste den ersten Teil ausfüllen, bekam einen Stempel drauf, musste damit ins Personalbüro und bekam gleich eine Bescheinigung, dass ich einen Praktikumsplatz habe. „Manche Schulen wollen vorab einen schriftlichen Nachweis haben, dass Sie tatsächlich einen Platz haben. Wenn Sie den nicht brauchen, schmeißen Sie ihn weg. Und sollten Sie sich noch anders umsehen und was besseres finden, wäre es nett, wenn Sie uns absagen, damit wir nicht auf Sie warten.“ Es geht eben auch anders.