Einmal Triathlon bitte

Zurück von einem total verregneten Wochenende. Es war, von den üblichen Widrigkeiten, von denen man sich nicht ärgern lassen darf, abgesehen, absolut geil. Cathleen und Simone haben kurzfristig ihr Hotelzimmer gecancelt, um mit mir im Auto schlafen zu können. Das hätte ich mir ja nicht träumen lassen. Aber so eine Dreier-Schlafparty im Auto ist doch sehr reizvoll.

Wir wollten auf jeden Fall früh losfahren, um uns vor Ort noch das Gelände anschauen zu können. Tatjana fuhr als Trainerin mit dem Fahrzeug vom Verein, so dass die ganzen Bikes und Rennstühle dort mitkamen. Da das Equipment noch in der Sporthalle stand, mussten wir uns nicht mal um das Verladen kümmern, sondern konnten völlig unabhängig fahren. Am Morgen rief Tatjana an und fragte, ob sie auch meine Ausrüstung mitnehmen sollte, dann könnte ich am Abend noch eine kleine Runde mit den anderen drehen. Ich erwiderte, dass der Aufwand, diesen ganzen Kram mitzuschleppen, in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Sie meinte, dass noch Platz im Bus sei und es wirklich kein Problem sei. Ich solle doch mal Klamotten einpacken und am besten auch einen Neo, dann könnte ich am Abend auch noch einmal mitschwimmen. „Hören wir mal auf unsere Trainerin“, dachte ich mir und packte den ganzen Kram zusammen.

Am späten Vormittag fuhren wir los. Fast wären wir nicht mal bis zur Autobahn gekommen. Wir fuhren innerorts auf einer vierspurigen Straße, auf der 60 erlaubt ist, im rechten Streifen mit 60. Einer älteren Dame im Polo ging das nicht schnell genug, sie wechselte hinter mir auf den linken Fahrstreifen und überholte mich mit 61 km/h. Im gleichen Moment bog 500 Meter hinter uns ein Rettungswagen mit Blaulicht ein. Ich sah ihn im Rückspiegel, nur war der weit genug weg und nicht so schnell, dass man jetzt sofort reagieren, geschweige denn in Panik verfallen müsste. Es wäre völlig ausreichend gewesen, in 20 Sekunden, nach einer Kreuzung, an der wir grün hatten, die linke Spur frei zu machen, damit er überholen kann, wenn er das überhaupt will. Oft fahren die Dinger ja mit Patienten an Bord eher 45 als 60.

Die Polofahrerin sah jedenfalls in dem Moment, als ihre Rücklichter auf Höhe meines Vorderrads waren, den Rettungswagen, vier Mal flackerten kurz ihre Bremslichter auf, dann setzte sie den Blinker rechts, zog im selben Moment nach rechts und bremste scharf. Mitten auf dieser besagten Kreuzung. Nur dadurch, dass ich sofort auch nach rechts auswich und eine Vollbremsung machte, konnte ich den Zusammenstoß verhindern. Die hätte mich voll erwischt. Auf dem Kilometerzähler war noch nicht mal eine dreistellige Zahl. Ar***loch!!!

Also die Bremsen funktionieren. Bremsassistent, ABS auch, und ob das große gelbe Dreieck mit dem Ausrufezeichen in der Tachomitte immer aufflackert bei solchen Aktionen oder ob das ESP da auch noch eingegriffen hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls kamen unsere 3 Tonnen unerwartet schnell zum Stehen. Die Polofahrerin kümmerte das alles nicht, ich überlege sogar immernoch, ob sie das überhaupt mitbekommen hat, sie bog rechts ab als wäre nichts gewesen, und fuhr in der neuen Straße links an der Mittelinsel vorbei über die Pfeile auf dem Boden, die in die entgegengesetzte Richtung zeigten, ordnete sich nach 100 Metern aber wieder richtig ein. Cathleen, die neben mir auf dem Beifahrersitz saß, schaute mich fassungslos an und stammelte: „Ich glaub das alles nicht.“

Der Rest der Strecke verlief aber ohne weitere Zwischenfälle und ich muss sagen, das Fahren mit Tempomat ist auf langen Strecken sehr angenehm. Es war ja meine erste Fahrt außerhalb Hamburgs, bis zu meinem 18. Geburtstag durfte ich das Bundesland nicht verlassen, allenfalls als Beifahrerin.

Als wir ankamen, wartete Tatjana schon auf uns. „Jule, ich finde, du machst morgen auch mit. Einfach mal dabei sein. Zeit ist egal.“ – „Äh was? Ich bin doch gar nicht vorbereitet, völlig aus dem Training…“ – „Quatsch. Du bist gut in Form. Hier ist nix los. Ihr seid die einzigen drei mit Rolli und der Veranstalter freut sich. Das ist nur die halbe Distanz. Du hast 8 Stunden Zeit. Das schaffst du locker in 4 Stunden. Mit einer halben Stunde Mittagessen und einer Stunde Verdauungsschläfchen zwischendrin.“ – „Ich habe doch gar keine Startlizenz.“ – „Hast du. Du bist klassifiziert, alles andere ist Formsache.“ – „Ich habe keine Dopingbescheinigung mit für meine Tabletten!“ – „Du hast aber eine, du hast sie nur nicht dabei. Das ist nur eine Ordnungswidrigkeit, kein Verstoß. Der Verein hat die in deiner Akte, die könnte sofort gefaxt werden. Aber hier kontrolliert auch keiner. Hier fährt keiner Spitzenzeiten, die einzigen drei kennen sich persönlich und schlafen im selben Auto. Das ist geschenkt.“

Ähm. Naja. Lust. Hätte ich. Geld? 95 Euro Startgebühr?! Rad ab?!?! Achso, 15 Euro Pfand für den Transponder für die Zeitmessung. Na dann! Hoffen wir mal, dass ich den nicht verliere. Ja. Kurzentschlossen. Ich fahre mit. Nahezu völlig unvorbereitet. Was man ja nicht machen soll.

Als erstes mussten wir alle zur Meldestelle und unsere Unterlagen vorlegen. Der Typ war völlig überfordert und fand uns nicht im System. Es waren nur zwei ältere Männer eingetragen, die allerdings keine Rollstuhlfahrer waren, sondern andere Behinderungen hatten. Zum Glück hatten Simone und Cathleen ihre Anmeldung ausgedruckt und mitgebracht. Für mich handelte Tatjana die 10 Euro Nachmeldegebühr noch heraus, weil alles so chaotisch war. Am frühen Abend war eine Besprechung, wo einem nochmal die ganzen Selbstverständlichkeiten erklärt wurden, zum Beispiel, dass man einen Helm tragen muss beim Biken. Im Rennrolli aber nicht – so ein Schwachsinn. Machen wir aber trotzdem, ne?! Ja und man dürfte nicht mit nacktem Oberkörper fahren. Dabei lasse ich meine Ti**en
so gerne in der Sonne hängen.

Was viel spannender war, war, dass die Schwimmstrecke mit 4 Stufen endet und man sich tragen lassen muss. Aber die „Trennsischen Äria“ sei gleich daneben. Und der Laufkurs habe zwei Mal einen hohen Bordstein im Weg. Ey hallo?! Okay, meine Konkurrenz muss da ja auch auf Null abbremsen. Wir erreichten noch, dass an der Stelle Hütchen (Leitkegel) aufgestellt werden, denn wir kommen da ja mit einer anderen Geschwindigkeit an als die Fußgänger und wir können nicht mal eben da hoch hüpfen, sondern packen uns allenfalls gehörig auf die Fresse.

Wir fuhren noch einmal die Strecke mit unseren Alltagsrollstühlen ab, um auf die wichtigsten Dinge vorbereitet zu sein, es gab mehrere Stellen, die sehr eng waren und, wie gesagt, die zwei Bordsteine. Und einmal Kopfsteinpflaster. Wir bekamen noch ein Abendessen von Tatjana zubereitet, dann entschieden wir uns, schlafen zu gehen und im Bett noch einen Moment zu quatschen. Simone hatte ihr Laptop mit Internet-Stick mit…

Erstmal fuhren wir mit dem Auto drei Kilometer weiter auf einen abgelegenen Parkplatz. Ich hatte mir in einem Bettendiscounter für 80 Euro eine Roll-Matratze gekauft (140 x 200), dazu drei Kissen. Für den Fall der Fälle hatte ich noch einen alten wasserdichten Schutzbezug für die Matratze aus dem Schrank gekramt und dann hatte jeder seinen Schlafsack dabei. Drei Leute in einem 1,40 breiten Bett ist zwar sehr kuschelig, aber dadurch, dass man an den Seiten nicht rausfallen kann, ist das kein Problem. Wir haben auch schon im Golf hinten auf der Ladefläche geschlafen mit drei Leuten.

Wenn ich Leute so sehr mag wie Cathleen und Simone, mag ich auch ihre körperliche Nähe. Man muss halt in Kauf nehmen, dass man irgendwann fremde Haare im Mund hat, fremde Arme im Gesicht, dass jemand in unmittelbarer Nähe redet, sabbert, schmatzt oder pupst. Oder sich ankuschelt.

Am nächsten Morgen klingelte um 6 Uhr der Wecker. Simone war gleich hellwach, ich so halbwegs, Cathleen mussten wir fast aus dem Schlafsack ziehen. Wir fuhren die kurze Strecke zurück und wollten eigentlich erstmal auf Klo, duschen und frühstücken. Nein, Duschen stehen noch nicht bereit. Toiletten auch noch nicht, wir seien sehr früh. Tatjana wunderte sich. Noch zweieinhalb Stunden bis zum Start.

Dann bekamen wir ungeduscht und in Schlafklamotten unser Frühstück. Cathleen kippte vor Müdigkeit fast in ihre Milch. Anschließend mussten die Bikes und die Stühle abgenommen werden. Der Typ hatte keinen Plan, dafür aber eine Liste, die er abhakte, er maß allen möglichen Blödsinn aus, wie beispielsweise die Sitzhöhe, während aber die Räder noch gar nicht angebaut waren, sondern der Stuhl auf dem Rahmen auflag. Egal. Die Stühle sind alle nach den Bestimmungen, insofern hätte er auch beim korrekten Messen nichts gefunden. Noch zwei Stunden bis zum Start.

Wir präparierten unsere Wechselzonen, räumten den herumstehenden Müll so hin, dass man da überall durchkam, räumten mindestens 20 Stühle zur Seite, die im Weg rumstanden, ein offizieller Typ half uns dabei, dann wurden wir mit unserer Startnummer bemalt. Dann durften wir endlich auf die Toilette, die allerdings einen Kilometer entfernt und alles andere als rollstuhlgerecht war. Aber man konnte sie zu zweit (einer bleibt vor der Tür und passt auf) benutzen. Vor allem wollte ich endlich mal meine Windel loswerden, die ich schon seit dem Vorabend anhatte. Noch 90 Minuten bis zum Start.

Zwischendurch forderte uns Tatjana immer wieder auf, möglichst viel zu trinken. Simone hatte vorher auf ärztliche Anweisung ihre Blasenmedikamente abgesetzt, die bei ihr bewirken, dass sie nicht von sich aus pinkeln kann, sondern die Blasenmuskulatur zusammengezogen bleibt und man durch Harnröhre zum Entleeren kurzzeitig einen Katheter einführen muss. Das Absetzen ist beim Wettkampf nötig, da sich die Flüssigkeit sonst bis in die Nieren zurückstaut und auch die Blase ernsthaft Schaden nehmen könnte. Man kann ja nicht unterwegs anhalten und sich erstmal steril kathetern.

Dann zogen wir uns im Bus auf der Ladefläche um, die Wettkampfklamotten an. Wir trugen als Wettkampfkleidung alle drei lange Einteiler, das einzige, was bei diesen Lufttemperaturen (Luft kälter als Wasser, teilweise Regen) Sinn machte. Sofort danach scheuchte uns Tatjana in unsere Rennstühle, Aufwärm- und Dehnprogramm. Wir rollten durch einige Menschenmengen, die nach uns starten würden. Ich war aufgeregt ohne Ende. Da die Straßen noch nicht gesperrt waren, konnten wir nur auf einem langen Weg hin und her fahren. Ich musste schon wieder
pinkeln. Und wir sollten viel trinken. Da ich alleine nicht aus dem Stuhl kam (oder wenn, dann nicht alleine wieder rein), konnte ich die Entscheidung, was wann zu tun sei, nur der Autonomie meiner Blase überlassen. Eklig? Vielleicht. Aber in dem Moment wirklich nicht zu ändern.

Das Wasser hatte 17 Grad. Neo war zwar nicht verpflichtend, aber eindeutig erlaubt und empfohlen. Nur über den Einteiler noch einen Neo anzuziehen, während man keine Kontrolle über Rumpf und Beine hat, war schon eine Herausforderung. Der Boden war teilweise nass vom Regen, aber einigermaßen sauber. Ich war als erste dran. Tatjana hob mich aus dem Stuhl und setzte mich auf die Erde. Ich sollte mich auf die Erde legen. Mit ihrer Hilfe ging es recht gut, ich rollte mich mehrmals vom Bauch auf den Rücken und zurück, sie quetschte mich in das Teil. „Erstmal bis zur Brust, den Rest kannst du vor dem Start machen. Nächster!“ Sie schnippte mir den leeren Ärmel ins Gesicht. „Lächeln nicht vergessen. Du machst das schon“, sagte sie. Noch 15 Minuten bis zum Start.

Simone und Cathleen waren eindeutig eingespielter mit Tatjana beim Anziehen. Als sie mit Cathleen fertig war, schob sie unsere Stühle auf ihre Plätze. Und kam mit Trinkflaschen wieder. „Trinkt noch was“, meinte
sie grinsend. Irgendwie war diese Frau leicht sadistisch angehaucht. Da aber Cathleen und Simone auch tranken, hielt ich mich an die Anweisung.
„Sie können die Sportler schonmal zum Start bringen“, sagte einer von den offiziellen Leuten. Ich glaube, ich überlege mir das nochmal. „Neo an, Reißverschluss zu, wo sind Eure Badekappen? Habt ihr eure Transponder um und weiß jeder, wie er schwimmen muss?“ Erst Cathleen, dann Simone, zuletzt ich. Drei Minuten vorher durften wir vom Steg ins Wasser und zur Startlinie schwimmen. Wir waren die einzigen drei in dieser Wettkampfklasse. Das Wasser war arschkalt, ich war froh, einen Neo zu tragen.

Dann kam das Startzeichen. Und ich schwamm los. Cathleen und Simone hinterher. Ich verschluckte mich im Wasser, ich war viel zu aufgeregt. Ich versuchte, etwas entspannter zu werden. Ich verschluckte mich noch einmal. Neben mir fuhr ein Kayak. Ständig hatte ich den Strudel seines Paddels neben mir. Und die Wellen waren eklig. Dann schluckte ich eine Menge Wasser und verschluckte mich daraufhin zum dritten Mal. Beim Husten kotzte ich dann auch noch die Hälfte davon wieder aus. Lecker. Der Typ im Kayak stieß mich mit seinem Paddel an. Jetzt platzte mir der Kragen: „Jetzt verpiss dich hier mal!“ brüllte ich ihn an. Das half. Er hielt deutlich mehr Abstand, ging aber zwischendurch auch Cathleen nochmal auf den Keks. Ich hörte sie nur brüllen, verstand aber nichts. Es war aber eindeutig in abweisendem Tonfall.

1900 Meter schwimmen, wir hatten alle Zeit der Welt. Cathleen war kurz vor Simone an der Wechselzone. Helfer trugen einen nach draußen bis zum Bike. Tatjana half uns, den Neo auszuziehen und ins Bike zu kommen.
„Ihr seid gut, alle drei!“ meinte sie. Wir lagen alle drei unter einer Stunde!

90 Kilometer biken. Nichts leichter als das. Noch nie gemacht. Wären nur die Strecken schon abgesperrt. Die Fußgänger waren teilweise erst Stunden später dran (je nach Startklasse), offenbar hatte man mit uns noch gar nicht gerechnet. An der ersten Kreuzung wollten wir eigentlich bei rot über die Ampel, denn wir rechneten damit, dass die Rennstrecke gesperrt war. Das wäre fatal geworden, weil nämlich quer ein Auto kam. Zwei Polizisten liefen zu ihrem Streifenwagen, der auf dem Gehweg geparkt war, sprangen rein und fuhren los. Blaulicht an, einer griff zum Funkgerät, dann stellte er sich dem Querverkehr in den Weg. Am anderen Ende der Straße sahen wir auch einen Streifenwagen, der gerade erst die Straße sperrte. Na super. Durften wir jetzt weiter? Wir fuhren quasi im Gegenverkehr, uns kamen aber immer noch wieder Autos entgegen. Die fuhren aber alle brav rechts. „Hauptsache, es überholt keiner“, sagte Cathleen, die direkt hinter mir fuhr. So richtig Gas geben konnte man in
der Siutation nicht. Laut Tacho fuhr ich 18 km/h.

Doch dann wurde die Straße endlich gerade und nach einer Steigung konnte man richtig aufdrehen. Es ging leicht bergab. 48, 49, 50, 51 km/h … irre. Der Fahrtwind wehte mir um die Ohren, zwei Insekten klatschten gegen meine Brille (die ich nachts nie trage, aber man sollte stets auf die erfahrenen Leute hören), ich fühlte mich gut. Und als wenn ich das schaffen könnte. Ich bin noch nie 90 Kilometer am Stück gefahren. Und natürlich war 50 km/h auch nicht die durchschnittliche Geschwindigkeit. Ich hatte eine Pulsuhr am Handgelenk und von Tatjana die Empfehlung bekommen, mich nach Möglichkeit im Bereich zwischen 100 und 120 zu bewegen. Als ich das zum ersten Mal kontrollierte, war der Puls bei 98.

Das Wetter war kühl, aber es regnete nicht. Eigentlich gut. Die Klamotten trockneten nach dem Schwimmen auch sehr schnell, ich hatte genug zu trinken und vor allem auch genug zu essen an Bord. Seitens des Veranstalters gab es ausschließlich Bananenstücke für uns. Toll, sowas kann man beim Wechseln sich in den Mund stopfen lassen, aber nicht unterwegs solchen Schmierkram in die Hände nehmen, wenn man mit diesen fahren muss. Wie gut, dass ich meine Müsli-Riegel dabei hatte. Schon hatten wir das erste Drittel geschafft. Wir blieben zusammen. Ankommen war das Ziel.

Auch das zweite Drittel verlief ohne besondere Zwischenfälle. Es war nach wie vor trocken, die Strecke war okay, mein Puls auch, ich fühlte mich nach wie vor fit. Das einzig nervige war, dass wir mehrmals abbremsen mussten, weil die Strecke nicht voll gesperrt war und Autofahrer uns in die Quere kamen. Am Ende wusste man aber, wo man aufpassen musste. Nach 60 Kilometern waren wir bei 2:42 Stunden, zusammen mit der Schwimmzeit und dem ersten Wechsel bei 3:46 Stunden.

Doch dann, die letzten dreißig Kilometer, zogen sich wie Kaugummi. Es tröpfelte paar Mal leicht, was reichte, um den Asphalt nass zu machen, so dass man sich gut einsauen konnte. Ich schwitzte nicht übermäßig, aber schon so, dass ich zeitweilig doch gerne kurzärmlich gestartet wäre. Einige Leute, die an der Strecke entlang gingen, feuerten uns an, das hob dann wieder etwas die Stimmung. Zum Glück hatte ich noch keine Blase oder Scheuerstelle. Aber meine Arme wurden immer lahmer. Vor allem bei dem Gedanken, dass wir die Rennstrecke noch vor uns hatten und man bei diesem Triathlon nicht tauschen konnte, wie sonst üblich (erst Schnellfahren, dann Biken).

Wir erreichten alle kurz hintereinander die Wechselzone. Tatjana stand bereit. Erst Simone, dann Cathleen, dann ich, ich bei 5:37 Stunden. Wir bekamen volle Trinkflaschen, die Nummer auf den Rücken gedreht, jeder eine Drittel-Banane in den Mund gesteckt, ein Becher Cola dazu, neue Riegel, jede Menge Zuspruch und Lob und dann konnte es weitergehen. Im Rennstuhl.

Nach einem Kilometer war die Stelle mit dem Bordstein, bei der man zum ersten Mal aufpassen musste. Es standen aber zwei Helfer dort, die jeden hochzogen, so dass man ganz langsam drüber fahren konnte. Alles andere hätte auch zwangsläufig zum Sturz geführt. Die Cola war nicht förderlich, ich hatte jetzt jede Menge Luft im Magen, die total nervte. Die insgesamt 21 Kilometer sollten wir in höchstens einer Stunde schaffen können. Mein Puls lag inzwischen bei 118, ich pinkelte zum gefühlten 15. Mal, ich schwitzte wie ein Schwein und ich wollte nur noch auf den Arm. Keiner von uns dreien sagte mehr irgendetwas.

Die Laufstrecke war unter aller Kanone, zum Wenden musste man vorne angehoben und umgedreht werden, teilweise musste man abbremsen und hinter anderen Läufern, teilweise hinter Schülern, hinterher fahren, da man nicht überholen konnte. Ich wollte nur noch ins Ziel. Hätte ich ein Handy dabei gehabt, hätte ich Tatjana angerufen uns sie gebeten, mich unterwegs einzusammeln. Zum Ende bekam ich auch noch Bauchkrämpfe. Iso-Drink, noch ein Energy-Gel, beides half nicht. Ich war keineswegs dehydriert, mein Puls war okay, keine Ahnung. Die Krämpfe wurden zwei, drei Mal fast unerträglich. Dann musste ich ein paar Mal pupsen und es ging wieder. Sowas hat man mit Querschnittlähmung ja bekanntermaßen nicht unter Kontrolle. Ich hoffte, dass ich nicht auch noch einkacken würde. Falls das nicht schon passiert war. Obwohl mir das in dem Moment auch egal gewesen wäre. Ich wollte nur noch ins Ziel, fertig werden und Ruhe haben.

Nach insgesamt 6:44 Stunden war es soweit. Wir überfuhren die offizielle Ziellinie und wurden von einigen hundert Leuten beklatscht. Dass da so viele standen, fiel mir erst jetzt auf. Ich war völlig fertig mit der Welt. Wir bekamen kurz eine Mini-Medaille überreicht, dann stürzte man sich schon wieder auf die nächsten Leute, die ins Ziel liefen. War auch völlig okay, ich wollte meine Ruhe haben. Wir fuhren zu unseren Klamotten, Tatjana nahm uns in Empfang und umarmte uns alle. Ich machte die Augen zu und dämmerte einen Moment vor mich hin. Versuchte, ruhig zu atmen. Cathleen fiel mir um den Hals: „Du hast es geschafft!“ Dann bekam ich einen Kuss auf die Wange. Ich öffnete die Augen. Alles drehte sich. Ich hielt mich an Cathleen fest, obwohl ich sicher im Stuhl saß. Nach zwei, drei Sekunden ging es wieder. Ich umarmte Cathleen. Dann Simone. Dann beide zusammen. Dann beide zusammen mit Tatjana.

„Ich möchte aus dem Stuhl“, sagte Simone. „Am besten da hinten auf den Rasen. Einmal lang machen. Und dann duschen.“ Tatjana zog uns nacheinander mit den Rennstühlen auf die Rasenfläche und hob einen nach dem anderen aus dem Stuhl und legte ihn auf den Rasen. Simone lag auf dem Rücken und schaute den Himmel an. Cathleen ließ sich, sobald Tatjana sie losgelassen hatte, daneben fallen. „Ich glaub, ich hab eingekackt“, warnte ich Tatjana vor. Sie antwortete lachend: „Na auch das noch.“ Also nahm sie ein Rad ab und kippte mich mit dem Stuhl seitlich um. Dann konnte ich rauskrabbeln. „Da ist nix“, meinte sie. „Alles sauber. Hast wohl nur gepupst.“ – „Ich hatte tierische Bauchkrämpfe unterwegs“, erzählte ich ihr.

„Und ich hätte den Idioten mit dem Kayak am Anfang fast ermordert“, ergänzte Simone. „Der Idiot hat mir ein paar Mal was gegen den Kopf gegeben mit seinem blöden Paddel.“ Da war ich ja noch gut bedient. „Die Polizisten waren auch geil“, meinte Cathleen. „Feiern da und erst als wir kommen, uns anstellen und bitten, sperren die mal die Straße.“ – „Ihr seid durchgekommen, das ist die Hauptsache“, sagte Tatjana.

„Ich will jetzt duschen, saubere Klamotten, essen und schlafen.“ – „Einmal die Rollstühle kontrollieren“, kam eine Stimme aus dem Hintergrund. Ach ja, Check Out. Aber dann. Nach dem Essen quatschten wir noch einen Moment mit Tatjana, duschten unsere Rennrollstühle und Handbikes einigermaßen sauber, verluden sie in den Bus, fuhren aus dem Getümmel auf einen Waldparkplatz und legten uns erstmal ein paar Stunden
aufs Ohr. Und fuhren mitten in der Nacht auf einer völlig leeren Autobahn völlig entspannt nach Hamburg zurück. Morgen habe ich den schlimmsten Muskelkater meines Lebens!


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