Der Fremde unter meiner Decke

Am Samstag waren Cathleen und ich auf einer Party. Es war der 33. Geburtstag eines Typen, den wir vom Training und von Trainingslagern kennen. Ich finde ihn total toll und habe mich riesig gefreut, dass er mich zu seinem Geburtstag eingeladen hat. Es ist nicht der Typ, der auf Popos in Neopren steht, sondern einer seiner „Kollegen“.

Für etwas ernstes wäre er mir viel zu alt und ich finde ihn auch körperlich überhaupt nicht anziehend. Er sieht nicht schlecht aus, aber er wäre einfach nicht mein Typ. Aber ich finde ihn menschlich total toll. Er ist sehr aufrichtig und ehrlich, er kann sehr gut reden, hat einen total witzigen und niveauvollen Humor und vor allem: Er kann einem sehr gut etwas erklären, ohne dass es besserwisserisch rüberkommt. Er hat so eine sehr charmante Art dabei, die ich sehr gerne mag. Er kann sehr gut mit Kindern und Jugendlichen umgehen, wird aber von Gleichaltrigen auch akzeptiert und gemocht. Ich mag ihn einfach. Und Cathleen mag ihn auch sehr, das weiß ich. Vor allem kann man sehr gut mit ihm shakern, ohne dass man Angst haben müsste, er fühlt sich angebaggert und überschreitet plötzlich irgendwelche Grenzen.

Die Party war total toll. Die meiste Zeit haben wir in seinem Wohnzimmer gesessen, geredet, ein bißchen was getrunken und geknabbert (es gab erst belegte Brote und später Salzgebäck und Gummibärchen). Auch wenn ich zu den meisten Themen nicht viel beitragen konnte, war es super spannend. Viele vom Training kennen sich schon sehr lange und konnten tolle Geschichten erzählen.

Irgendwann erzählte er, warum er in einer gerade mal 30 Quadratmeter großen Wohnung wohnt als Rollstuhlfahrer. Alles war sehr beengt, wenn man vorwärts ins Bad fuhr, kam man nur rückwärts wieder raus, das Wohnzimmer war gleichzeitig Schlafzimmer, in der Küche konnte man sich auch nicht umdrehen und die Wände waren dünn wie Pappe. Aber es war alles sehr liebevoll eingerichtet. Er hat eine angeborere Behinderung und kann nur Teilzeit arbeiten. Er möchte nicht auf staatliche Hilfe zurückgreifen, einen Haftpflichtigen gebe es nicht. Daher müsse er mit 800 Euro pro Monat auskommen und da sei mehr als so eine kleine Bude nicht drin. An der Einstellung kann sich so mancher mal eine Scheibe abschneiden…

Hätte ich gewusst, dass es so toll wird, hätte ich meine Schlafsachen mitgenommen und hätte danach mit Cathleen im Auto gepennt. Hatte ich aber nicht. So konnte ich natürlich nichtmal ein Lemonbier trinken, was ich ja aber vorher wusste, nur später, da mir die Party sehr gut gefiel, gerne geändert hätte. Irgendwann sagte dann jemand, dass ein anderer Typ in der Nähe wohnte und dort etliche Leute schlafen. Ich überlegte einen Moment, Cathleen schaute mich an und nickte, dann fragte ich, ob es da noch zwei Plätze mehr gebe. Nein, alles belegt, aber beim Gastgeber im 140er-Bett seien noch zwei Plätze frei. Er schlafe dann auf dem ausziehbaren Sofa, man müsse nur damit klar kommen, dass er im selben Raum übernachte. Klar, in einer Einzimmerwohnung.

Wir überlegten nicht lange, sondern nahmen das Angebot an. So kamen Cathleen und ich dann doch noch zu unserem Lemonbier. Als dann um kurz vor Drei die letzten Gäste weg waren, fielen mir schon fast die Augen zu. Jetzt mussten wir noch komplett aufräumen, damit der Tisch auseinandergebaut und in die Küche geschoben werden konnte, das Sofa ausgeklappt, beziehen, …

Bei dem Gedanken daran bat ich ihm an, ob er nicht einfach mit uns ins Bett will. Das Bett stand in einer Nische, also konnte auch dort niemand rauspurzeln. Ich würde freiwillig in der Mitte schlafen. Ich war überzeugt, dass er mich nicht anfassen würde.

Wir bekamen von ihm jeder ein großes T-Shirt zum Schlafen. Cathleen und mir ging es bis zu den Knien. Und dann schlief ich mit dem Bauch an Cathleens Po gekuschelt ein, halb unter ihrer Decke, halb unter der von einem fremden Typen … irgendwie ungewöhnlich, ein bißchen kribbelig, sehr kuschelig und vor allem sehr nett von ihm, da wir so nicht mehr nachts noch nach Hause mussten. Ich schlief sofort ein und wir schliefen bis kurz nach 11 durch.

Wir durften bei ihm duschen, wir bekamen Frühstück, es war total nett. Ich hätte nie gedacht, dass ich so bald mal neben einem fremden Mann aufwachen würde. Was mir am meisten gefallen hat, war, dass weder an dem Abend noch nachts noch am Morgen, als wir duschen waren, ein einziges Mal irgendein Kommentar mit irgendeinem sexuellen Bezug gekommen ist. Keine Frage, ich bin auch hin und wieder mal für versaute oder derbe Sprüche zu haben, aber wenn man neben einem Typen schlafen kann und man den Eindruck hat, derjenige hat keine Neben- oder Hintergedanken, obwohl zwei halbnackte wesentlich jüngere Mädels in seinem Bett in greifbarer Nähe liegen, finde ich das sehr erwähnenswert.

Nicht, weil ich denke, dass das eine Ausnahme ist. Oder Männer irgendwelche triebgesteuerten Wesen sind – nicht, dass jetzt irgendwer so etwas hier konstruiert und böse Kommentare hinterlässt. Aber ich denke (und erlebe), dass es auch nicht die Regel ist. Und deswegen sind solche Übernachtungen bei fremden Männern auch eher die absolute Ausnahme von der Regel. Und werden es auch bleiben.

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