Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich hier völlig unbeliebt mache, muss ich mal etwas zur allgemeinen Hartz-4-Diskussion loswerden. Ich werde von unserem Nachbarn, der von ALG 2 lebt, fast jedes Mal, wenn ich ihn sehe, darauf angesprochen, dass man behindert sein müsste, um als Arbeitsloser in diesem Land genug Geld zu haben. Die Aussage an sich muss man wohl nicht diskutieren und meine erste Antwort, dass wir ja gerne mal tauschen könnten, verkneife ich mir inzwischen auch, weil es einfach keinen Sinn macht, sich mit ihm zu unterhalten.
Derselbe Nachbar erzählt uns auch gerne mal die neuesten Behindertenwitze. Im Prinzip haben wir alle nichts gegen solche Witze, auch wenn es immer schon ein wenig seltsam ist, wenn ein nicht behinderter Mensch, der sonst weiter nichts mit einem zu tun hat, sie erzählt. Aber der hier kam wohl kürzlich im Fernsehen, in welchem Zusammenhang auch immer, jedenfalls habe ich ihn danach schon öfter gehört: „Was ist der Unterschied zwischen einer Pizza und einem Rollstuhlfahrer? Die Pizza schreit nicht, wenn man sie in den Ofen schiebt.“
Ja nee, is klar. Am besten eignen sich dafür Gas-Öfen, falls beim Reinschieben die Flamme ausgeht… Hat mal jemand einen Baseballschläger? Herrje, was gibt es doch für Wichser auf dieser Welt!
Heute stand dieser besagte Nachbar in unserer Tiefgarage, und als ich reinrollte, stand er gerade an meinem Auto und schaute hinein. Er grüßte nicht, sondern fragte gleich: „Na, Leihwagen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Hat Papa Staat finanziert, wa?“ Ich schüttelte nochmal den Kopf. „Wer dann? Du selbst verdienst doch nichts. So groß kann deine Rente doch nicht sein, wie alt bist du jetzt?“
Ich antwortete frech: „Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Nachbar.“ – „Man wird jawohl mal fragen dürfen, oder? Schließlich fährt ja nicht jede 18-jährige so ein Auto!“ Hmm… wenn er weiß, wie alt ich bin, wieso fragt er dann? Mein einziger Kommentar: „Geh mal ausm Weg.“
Ich habe kürzlich mal eine Aufstellung gemacht, was ich in den letzten Monaten ausgegeben habe. Pro Monat sind das meistens zwischen 1.000 und 1.200 Euro. Wenn ich jetzt bedenke, dass ich als Hartz-4-Empfängerin 359 Euro plus die Miete von 341 Euro bekäme, sind zusammen exakt 700 Euro; dass ich pro Monat rund 100 Euro für Kraftstoff und rund 200 Euro für Versicherung des Autos bezahle, frage ich mich gerade, was ich in meiner Rechnung übersehe.
Hätte ich das Auto nicht, würde ich mit der Bahn fahren. Oder mit dem Handbike. Es wäre alles beschwerlicher, auf jeden Fall, aber ich würde, wenn ich so zurecht kommen müsste, auch zurecht kommen. Viele Wege fahre ich ja schon freiwillig mit Bus und Bahn und Handbike. Ich könnte zumindest hier in der Großstadt auf ein Auto verzichten. Unter deutlichen Einbußen am Komfort, aber ich kann es mir vorstellen.
Okay, ich müsste mir als Fußgänger eine Fahrkarte kaufen, die ich als Rollstuhlfahrerin ja im Nahverkehr nicht benötige. Eine Monatskarte für Hartz-4-Empfänger kostet derzeit rund 38 Euro, die wären nochmal abzuziehen. Und ich habe auch nicht jeden Monat mit 1.000 Euro gelebt, sondern manchmal auch mit 1.200 Euro. Aber: Ich habe sehr gut gelebt. Ich habe nicht darauf geachtet, möglichst sparsam zu leben, im Gegenteil. Ich habe mir Klamotten gekauft (nicht viele, ich habe beispielsweise nur drei Paar Schuhe und drei Jacken, eine für warm, eine
für kalt, eine für Regen, fünf oder sechs Hosen, …), ich bin sehr oft mit Freunden Essen gewesen, manchmal im Kino, habe Tagesausflüge gemacht, Eis gegessen, unterwegs was zu trinken gekauft – und ich kaufe nicht mal im Discounter ein.
Ich hätte also, wenn ich darauf angewiesen wäre, noch locker Einsparpotenzial. Am meisten macht vermutlich aus, wenn man zusammen und in großen Mengen kocht, sich Lebensmittel einfriert und überwiegend Wasser aus dem Hahn mit Sprudel trinkt. Wie das bei mir oder in meiner WG der Fall ist.
Das soll bitte keiner falsch verstehen! Ich will auch nicht als zweite Eva Herman daherkommen und jemandem Lebenstipps geben. Auch möchte ich nicht von ALG 2 leben müssen. Aber ich bin überzeugt, dass ich das hinbekäme, wenn es mal dazu kommen sollte, und hoffe, niemals eines besseren belehrt zu werden.