Viel zu glücklich

Da bin ich gestern zum Krafttraining und zur Physiotherapie in der Klinik, sitze in einer riesigen Sporthalle, in der an den Seiten etliche
(ich glaube, es sind 62) Kraft- und Trainingsgeräte installiert sind, und zwar auf einem Teil, auf dem man gezielt seine Schultermuskulatur trainieren kann. Gezieltes Muskeltraining ist bei mir wichtig, da ich ja
durch das Rollstuhlfahren und die ständigen Transfers meine Arm-, Rücken- und Schultermuskulatur einseitig belaste und es ohne regelmäßiges Training der anderen (entgegengesetzten) Muskeln schnell zu
Verschleißerscheinungen kommt. Und meine Arme brauche ich noch ein wenig…

Insofern habe ich ein von einem Sporttherapeuten ausgearbeitetes Bewegungsprogramm und muss nacheinander an verschiedene Geräte und dort entsprechende Übungen machen. Zwar nicht unter direkter Anleitung, aber unter Aufsicht. Damit man auch alles richtig macht.

Jedenfalls rollen und rennen da immer ganz viele Leute herum, einige hatten eine Knie-OP, andere Knochenfrakturen, manche haben eine neue Hüfte bekommen, und so weiter – nicht alle sitzen im Rollstuhl. Da geht ein Typ, braungebrannt, um die 50, ein weißes Handtuch locker über die Schultern gelegt, vor meinem Gerät vorbei, sieht meinen Rollstuhl, grinst mich an, schnappt sich diesen und rollt ihn vor sich her. Ich: „Hallo?! Wo wollen Sie damit hin? Lassen Sie den mal stehen!“

Der Typ guckt mich an: „Ich wollte den zu den anderen da hinten an den Rand stellen!“ Am Halleneingang stehen immer so ein paar Gurken herum, für Rollstuhltraining, für spontanes Basketballspiel, für alles mögliche. Was fällt dem Typen ein?! Ich sagte: „Nein, lassen Sie den mal
stehen hier bitte.“ Ich glaube, ich spinne.

„Der steht doch hier nur im Weg rum“, antwortete er und ging weiter. –
„Sie stellen jetzt sofort meinen Rollstuhl hier wieder her!“ befahl ich
ihm in energischem Tonfall, der sich einigermaßen deutlich über den eher lauten Grund-Geräuschpegel (Gelaber, Trainingsgeräte, Musik) in der
Halle hinweghob. André, der Sporttherapeut, der gerade am Schreibtisch saß und „Hallenaufsicht“ hatte, wurde auf das Spektakel aufmerksam und schaute herüber. Er guckte mich auf eine Entfernung von rund 25 Metern irritiert bis fragend an und zuckte mit den Schultern. Ich deutete auf den Typen, der mit meinem Rolli abhaute. André verdrehte die Augen, machte eine Scheibenwischergeste und erhob sich aus seinem Drehstuhl.

Der Typ schaute mich an. „Ist das Ihr Rollstuhl?“ – „Ja, stellen Sie ihn bitte wieder hierhin.“ – „Das ist nicht Ihr Rollstuhl.“ – „Stellen Sie ihn bitte wieder hier hin!“ – „Sie sitzen nicht im Rollstuhl, Sie nehmen mich auf den Arm.“ – Genervt sagte ich es nocheinmal: „Stellen Sie jetzt meinen Rollstuhl hier wieder hin!?!“ – In Gedanken trat ich ihm gerade einmal so kräftig in den Hintern, dass er im hohen Bogen aus der Halle flog. André war im Anmarsch, sozusagen auf halber Strecke. Der
Typ guckte mich mit großen Augen an, die Hände immernoch an meinem Rollstuhl. Ich wiederholte: „Den Rollstuhl. Hier. Wieder hinstellen!“

André erreichte die Nervensäge: „Was ist hier los?“ – Der Typ drehte sich um. „Ich wollte den Rollstuhl zu den anderen da hinten stellen. Der
steht hier im Weg rum.“ – Ich fass es nicht. André antwortete: „Der gehört der Frau und Sie stellen den da jetzt wieder hin und machen Ihre Übungen weiter, ja?“ – „Aber die Frau muss doch nicht wirklich in einem Rollstuhl sitzen, oder? Sie sieht so glücklich aus!“

Meine Geduld war am Ende. „André!“ sagte ich genervt. Der nahm dem Mann meinen Rollstuhl aus der Hand, stellte ihn wieder vor mein Gerät und schob den Typen weg. „Jetzt ist mal genug. Sie können hier nicht die
anderen Patienten belästigen. Machen Sie Ihre Übungen und dann gehen Sie wieder auf Station. Um den Rest kümmern wir uns schon.“ – „Ich wollte ja niemanden belästigen. Aber die junge Frau sieht so glücklich aus. Muss die wirklich im Rollstuhl sitzen? Warum denn bloß? Hatte sie einen Motorradunfall? Bestimmt mit ihrem Freund, so jung, und er hat nicht aufgepasst.“ – André sagte noch einmal energisch: „Es reicht!“

Muss ich irgendwelchen dahergelaufenen Typen, die versuchen, meinen Rollstuhl zu klauen *zwinker*, mein Lebensschicksal erklären? Nein, muss
ich nicht. Ich schreibe einen Blog im Internet und schreibe über alles mögliche. Ich rede viel mit anderen Menschen und ich rede auch und intensiv über meine Behinderung. Wenn es jemanden interessiert. Ich erwarte nicht, dass sich mein Gesprächspartner jemals mit dem Thema beschäftigt hat, ich erwarte keine politisch korrekten Ansichten, ich erwarte nicht, dass er mitfühlt, versteht oder gute Tipps gibt. Ich kann
mit dummen Sprüchen leben, mit Gaffern, mit Überforderten. Aber dass jemand wegen meiner guten Laune meine Behinderung in Frage stellt, das geht nun wirklich mal zu weit. Das finde ich schlichtweg empörend und erniedrigend. Das ist etwas, was mich trifft.

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