Ganz viel Test

Ob ich ihn bestanden habe, weiß ich erst Ende dieses Monats. Aber ich habe ein gutes Gefühl. Dennoch war es hammerhart. Wobei ich nicht sagen will, dass ich ihn besonders schwierig fand, er war einfach nur enorm aufwändig und man musste sich über Stunden intensiv konzentrieren.
Träumen, lange grübeln oder sich in einer Frage verbeißen musste absolut tabu sein. Die Rede ist vom Medizinertest, den ich in der letzten Woche ablegen durfte und über den ich möglicherweise quer in ein
Studium einsteigen kann. Wieso und warum, hatte ich hier schon recht ausführlich beschrieben.

Es war ein Nachholtermin, es waren ganz offensichtlich nicht nur Leute aus Hamburg vor Ort, und alleine der Einlass war die Hölle. Ein Durcheinander! Ein Lärm! Es war ein Ordner und eine Ordnerin vor Ort und
die beiden waren unmissverständlich die wichtigsten Personen überhaupt.
Um halb acht wurde aufgeschlossen. Rund 80 (in Worten: achtzig) Leute wollten in den Prüfungsraum und jeder wurde einzeln kontrolliert. Jacken, Rucksäcke, Taschen und alles lose Zeugs musste man an einer bewachten Garderobe abgeben. Statt einer Garderobenmarke bekam man einen
Gefrierbeutel mit einer Nummer, dort hinein durfte man lediglich sein Portmonee und seine Schlüssel sowie Essen und Trinken stecken. Butterbrotpapier war nicht erlaubt, Tupperschüsseln nicht, Getränke nur originalverpackt oder Wasser, die Flaschen und Packungen wurden genauestens kontrolliert. Alle Hilfsmittel waren tabu. Kein Handy, kein Lineal, kein Taschenrechner, kein Papier, nix. Kein Bleistift, kein Kugelschreiber, kein Füller – lediglich zwei Faserstifte.

Beim Einlass musste man die Ärmel und die Hosenbeine hochkrempeln, die Socken umkrempeln, alle Taschen (Hosentaschen, Hemdtaschen) nach außen drehen oder abtasten lassen. Und sie haben tatsächlich zwei erwischt, einer hatte auf seine Colaflasche was geschrieben, und zwar nicht auf das Etikett sondern mit schwarz auf die Flasche (das wäre dann
beim Austrinken sichtbar geworden) und eine war so doof und wollte ihr iPhone mit reinschmuggeln. Ich kann dazu nur sagen: Es hätte nichts genützt. Man hatte überhaupt nicht die Zeit und die Ruhe, um zu schummeln. Und es waren auch keine Aufgaben dabei, bei denen man durch einfache Recherche etwas brauchbares hätte herausfinden können.

Ich wurde als letzte durch den Einlass gelassen, war die einzige im Rollstuhl, musste mich auf einen Stuhl umsetzen und dann haben die erstmal meinen Rollstuhl auseinander gepflückt. Sitzkissen raus, reingeschaut, das Ding auf den Kopf gestellt, unter die Sitzfläche geschaut, Klettverschlüsse geöffnet und wieder geschlossen, dann musste ich Hose und Ärmel hochkrempeln aber dann durfte auch ich rein, meinen Platz einnehmen und warten. Um halb neun kam ein Typ, der alles erklärte, was erlaubt ist, was nicht, wie man Lösungen kennzeichnet, wie
man Fehler kennzeichnet, wie man Fehler von Fehlern kennzeichnet, wann man Pause hat. Um neun ging es los, und dann mussten alle nach Zeit die einzelnen Bereiche abarbeiten.

Es gab ein Heft, in dem man sich immer nur in den gerade angesagten Bereichen bewegen durfte, es gab Zeitvorgaben, wenn die abgelaufen waren, mussten alle in den nächsten Bereich wechseln, die zwei Ordner liefen die ganze Zeit im Raum herum und passten auf, acht (!) weitere Leute mussten abgeben, weil sie sich nicht an die Vorgaben gehalten haben und zu früh angefangen oder zu früh umgeblättert haben, mindestens
zwanzig Leute wurden verwarnt (schauen Sie bitte nach vorne, nehmen Sie
die Hand von der Stirn, lassen Sie die Flasche auf dem Tisch stehen, nicht auf der Erde), der Druck, den die da ausübten, war schon gewaltig.
Bestimmt fünf Leute haben geschmissen, drei liefen heulend raus, eine gab nach zwei Stunden ab und sagte, ihr sei schlecht.

Zuerst musste man so beknackte Muster zuordnen, irgendwelche wilden schwarz-weißen Zeichnungen im Original, daneben 5 Ausschnitte, alle sahen sich ähnlich, aber nur einer passte mit dem Original überein. Das fand ich am schlimmsten. Danach wurden einem irgendwelche medizinischen Probleme und Erkenntnisse vorgestellt (unter anderem die Querschnittlähmung, super!) und dann musste man entscheiden, welche Aussagen sich aus den Erkenntnissen herleiten lassen. Das fand ich kinderleicht. Dann hatte man 3D-Figuren in Frontansicht und daneben in einer anderen Ansicht oder eine andere Figur und man musste entscheiden,
was da wie zusammenpasst und von welcher Seite man draufguckt und ähnliches. Das fand ich auch relativ leicht. Aber man musste stets aufpassen. Danach waren Textaufgaben dran, allerdings über mehrere Ebenen, man brauchte also immer mehrere Zwischenlösungen, da musste man genau lesen und gut überlegen, das war aber auch zu schaffen. Und dann gab es einen Chaostext, eine Seite bestehend aus zwei Buchstaben, die abwechselnd hintereinander kamen und bei denen immer einer durchgestrichen werden musste. Der Witz dabei war, dass die Buchstaben unterschiedlich oft hintereinander kamen und immer nur ein bestimmter durchgestrichen werden durfte, wenn er direkt hinter einem anderen bestimmten stand. Ein ganzes Blatt voller Buchstaben und man musste Zeile für Zeile sich durcharbeiten, durfte nichts auslassen und nichts korrigieren – 8 Minuten hatte man Zeit, aber was auf den ersten Blick ganz einfach aussieht, entpuppt sich schnell zu einer anstrengenden Aufgabe.

Dann gab es eine Stunde Mittagspause, anschließend musste man sich Figuren und Fakten eintrichtern. Erst 20 Figuren, irgendwelche schwarzweißen Flächengebilde, mehrfach unterteilt und mit unterschiedlichen Mustern, dann 15 Personen: Name, Alter, Beruf, Familienstand, Krankheit. Für beides zusammen hatte man 10 Minuten Zeit (6 Minuten für die Muster, 4 Minuten für die Namen). Danach musste man das weglegen und sich drei medizinischen Texten widmen, in denen viel Müll, aber auch viele Fakten standen. Ein Textmarker war erlaubt und eindeutig von Vorteil. Die Fakten wurden hinterher abgefragt. Und zwar sehr detailliert. Teilweise auch mit so Fragestellungen wie: „Sie sehen hier sechs mögliche Antworten. Welche Aussage trifft nicht zu? A) Die erste und die sechste Antwort ist richtig, die vierte falsch. B) Die vierte ist falsch, alle anderen richtig. C) …“ Und so weiter. Man musste
den Text also absolut verstanden haben und die Frage (trifft nicht zu) und die Antworten sehr genau lesen. Hochkompliziert, aber sehr spaßig, weil durchaus zu knacken.

Anschließend musste man die Figuren und die Namen wieder abrufen. Und
zwar nicht in derselben Reihenfolge, sondern wild durcheinander und teilweise auf dem Kopf stehend, spiegelverkehrt (was dann aber nicht zählte) und ähnliches. Und bei den Namen musste man natürlich auch nicht
die 15 Leute runterbeten, sondern es wurde gefragt: Wer hatte noch gleich die Lungenentzündung? Herr Müller, Herr Meier, Herr Schulze, Herr
Schumacher oder Frau Schumacher? Und war die geschiedene Frau mit den Trennungsproblemen 18, 28, 30, 31 oder 33 Jahre alt? 20 Fragen, 100 Auswahlmöglichkeiten, 7 Minuten Zeit. Aber die Stinkesocke weiß ja, wie man sich mit Hilfe von Eselsbrücken, Bildern und kurzen Tagtraumsequenzen schnell irgendwelche Fakten strukturiert ins Hirn hämmert und hat sie alle wieder ausgespuckt. Bei den Figuren bin ich mir
nicht ganz so sicher, aber die Namen hatte ich alle drauf. Man darf sich nur nicht durch die Fragen verwirren lassen, sondern muss erst in Ruhe alles abrufen, auf einen Notizzettel kritzeln und dann die Fragen in der letzten Minute fix mit Hilfe der Notizen beantworten.

Und am Ende musste man noch eine Stunde lang Diagramme auswerten. 24 Stück – das war, bis auf die letzten vier, wirklich billig. Wenn man Diagramme lesen kann und sich nicht verarschen lässt. Man darf sich halt
nicht von den blanken und bescheidenen Fakten eines Diagramms abbringen
lassen und eigene Mutmaßungen anstellen. Wenn ein Diagramm Auskunft darüber gibt, dass 30% der Männer über 45 gefährdet sind, eine bestimmte
Erkrankung zu bekommen, kann man daraus natürlich keine Aussage für Frauen ab 45 ableiten, wenn im ganzen Diagramm ausschließlich von Männern die Rede ist. Könnte ja sein, dass es sich um eine Erkrankung handelt, die nur Männer bekommen können. Aber etlichen ist natürlich nicht aufgefallen, dass oben von Männern und unten von Frauen die Rede war…

Gegen 16.00 Uhr war alles vorbei. Danach bin ich nach Hause gefahren,
habe mich ins Bett gepackt und zwölf Stunden durchgeschlafen. Wie gesagt, ich habe ein gutes Gefühl. Ich habe mich hinterher noch mit einigen Leuten unterhalten, die fanden es krass und schwierig und hatten
zum Teil nur eine oder zwei Fragen (von 24!) in manchen Aufgabenbereichen beantwortet, weil das alles viel zu schnell ging. Der Test war darauf ausgelegt, dass man nicht alles schafft, das war klar. Aber unter 20%? Okay, ich will den Mund nicht zu voll nehmen, vielleicht
habe ich ja mehr geschrieben, dafür aber nur Müll. Warten wir es ab!

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