Was für ein Arbeitsklima

Wer bloggt, hat zu viel Zeit. Wer wenig Zeit hat, bloggt nicht
seltener. Jule hat im Moment sehr wenig Zeit. Beziehungsweise … die Zeit ist dieselbe wie früher, aber gerade kümmere ich mich darum, möglichst schnell meine Pflegepraktika, die ich für mein Studium benötige, fertig zu bekommen.

In einem großen Klinikkonzern, bei dem ich mich beworben hatte, bekam
ich eine urologische Station in einem großen Hamburger Krankenhaus zugewiesen – ich war gerade mal drei Stunden dort. Nicht, weil mir die Leute zu krank waren, weil ich mit meiner Arbeit überfordert war oder weil mir meine Behinderung einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Sondern weil das Pflegepersonal mich nicht akzeptieren wollte.

Es begann damit, dass mich um 5.30 Uhr im Dienstzimmer, wo ich mich melden sollte, die Oberschwester Hildegard mit den Worten: „Oh mein Gott, Sie sitzen ja in einem Rollstuhl.“ begrüßte. Auf meine Frage, ob das denn ein Problem sei, antwortete sie mit: „Ja. Und das wissen Sie auch. Ich hab jetzt keine Zeit für lange Diskussionen, aber nur so viel:
Ich bin sehr für die Integration von Behinderten. Aber nicht überall. Lernen Sie einen Beruf, der was für Sie ist. Krankenpflege ist ein Knochenjob. Da muss man körperlich topfit sein und nicht selbst krank oder behindert.“

„Ich brauche das für mein Medizinstudium.“ – „Sie kriegen von mir den
Stempel, aber Aufgaben habe ich keine für Sie. Sie können sich da hinten an den Tisch setzen und ein paar Bücher lesen. Dann stehen Sie wenigstens nicht im Weg. In dreißig Minuten ist hier Alarm, da kann ich niemanden gebrauchen, der hier den Ablauf stört.“ – „Ich kann Ihnen doch
Arbeit abnehmen. Essen austeilen zum Beispiel.“ – „Das fällt Ihnen doch
alles runter. Ich kann das nicht gebrauchen, dass hier nachher Joghurt,
Milch und Aufschnitt quer über den Flur verteilt sind oder Sie sich den
heißen Kaffee über die Hose kippen und ich am Ende Ihre Verbrühungen versorgen muss.“ – „Zu Hause koche ich doch auch alleine.“ – „Ich habe gesagt, ich werde nicht diskutieren.“ – „Zu Befehl. Ich bin dann mal weg. Zum Personalchef, fragen, was ich machen soll.“

„Es gibt keinen Grund, gleich zickig zu werden.“ – „Ich finde schon.“
– „Sie wissen auf alles eine Antwort, oder?“ – „Auf alles nicht, nur bei den alltäglichen Gemeinheiten bin ich inzwischen recht schlagfertig.“ – „Sie gehen … ach nee … gehen kann man bei Ihnen ja nicht sagen … Sie teilen mit Schwester B. das Frühstück aus. Für jedes Tablett, was runterfällt, zahlen Sie 5 Euro in die Stationskasse. Mehr als 20 Euro dürfen wir nicht annehmen.“ – „Wenn ich für jedes sauber ausgeteilte Tablett 5 Euro bekomme, können wir drüber reden.“ – „Sie sind ganz schön frech.“ – „Ich pass mich an.“ – „Vorsicht.“ – „Wenn mir was runterfällt, sammel ich das natürlich wieder auf. Darauf können wir uns einigen. Anderen fällt ja auch mal was runter.“ – „Ziehen Sie sich um. Im Schrank ist Kleidung, Sie tragen dunkelblau und wenn BH oder String rausgucken, gibt es Ärger.“

Die Frage, ob drachengrün ihr vorbehalten ist, sparte ich mir. Da ich
schlecht den Essenswagen schieben, dafür aber relativ schnell fahren kann, einigten wir uns darauf, dass Schwester B. die Tabletts aus dem Wagen zog, Kaffee oder Tee aufgoss und ich über den Flur flitzte und die Tabletts in die Zimmer brachte. Nein, Stinkesocke hat nix runterdonnern, sondern lediglich zwei Mal ein bißchen was aus der Kanne auf das Tablett plempern lassen. Die Zimmer waren alle groß genug, um an
jedes Bett zu kommen, hin und wieder musste ich das Tablett erst auf den Tisch oder auf die Fensterbank stellen, bis ich am Bett den Tisch ausgeklappt hatte – in den meisten Fällen war aber genug Platz.

In fast jedem Herrenzimmer bekam ich einen netten Kommentar, als mich
mit Namen vorstellte und als Praktikantin. „So werden wir ja gerne geweckt.“ – „Der Tag fängt gut an.“ – „Oh, endlich mal ein junger
Hüpfer.“ – „Ein neues Gesicht! Klaus, dreh dich um, da kommt ein Lächeln durch die Tür! Die Sonne geht auf!“

In einigen Zimmern waren die Kommentare weniger nett. „Warte, ich nehm dir das ab. So krank bin ich noch nicht, dass ich mir von einer Rollstuhlfahrerin das Frühstück ans Bett bringen lassen muss.“ – „Nun sind schon Kaputte in der Pflege hier. Das ist ein Krankenhaus, echt zum
Abgewöhnen.“ Bei der Oberschwester gehe ich davon aus, dass sie für Personalführung bezahlt wird, bei den Patienten, dass sie leiden. Im ersten Fall bin ich sauer, im zweiten lächel ich dann und schluck es runter. Schmeckt zwar eklig, aber unter Menschen mit Behinderungen gibt es auch genügend Leute, die (mal) rumnörgeln. Solange es nicht persönlich wird oder ich es persönlich nehmen muss … ich hab ja zwei Ohren.

Auf jeden Fall haben wir mit dem Frühstück austeilen einen neuen Rekord aufgestellt. Dadurch, dass ich mich nicht mit 4-6 km/h durch den langen Gang bewegt habe, sondern eher mit 12-15 km/h, waren wir extrem schnell fertig. Das sagte Schwester B. schon nach den ersten Tabletts: Sonst hat sie beim Warten nebenbei immer schon die direkt angrenzenden Zimmer versorgt, aber heute sei sie kaum mit dem Sortieren und Wasser / Kaffee aufkippen hinterher gekommen.

Ich fragte, ob ich noch eine Runde durch alle Zimmer drehen sollte, weil ja bestimmt Leute dazwischen sind, die Hilfe brauchen. Den Joghurt nicht aufkriegen, das Brot nicht geschmiert bekommen oder ähnliches: „So
etwas fangen wir hier gar nicht erst an.“ Okay. Es dauerte keine halbe Stunde, da wurde ich zu einem Vier-Augen-Gespräch gebeten: Ich würde auf
einer anderen Station benötigt. Und zwar in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seitdem bin ich dorf und rolle seit einer Woche einer
Ärztin hinterher, die mal eine Lunge abhört, mal den Rettungswagen ruft, weil jemand einen halben Liter Dieselkraftstoff getrunken hat, mal
Unterarme desinfiziert, die sich jemand aufgeritzt hat, mal eine Sportbefreiung ausstellt, weil jemand mit Erkältung nicht turnen soll, Magersüchtigen und Bulimikern Blut abnimmt … und wenn sie gerade Einzelgespräche führt, spiele ich auf einer Station mit den Kindern und Jugendlichen „Mensch ärgere dich nicht“, Backgammon, male, bastel, laber, tröste, hör mir Lebensgeschichten an, meistens schlimme, ermahne irgendwelche Nervensägen, dass sie keine Klimmzüge an der Gardinenstange
machen, das Messer wieder in die Schublade legen, nicht gegen die Wand spucken, ihren Dödel wieder in die Hose stecken, mich nicht schlagen, den Tisch stehen lassen, nicht mit Stühlen werfen und mit dem Kopf nicht
gegen die Wand schlagen sollen.

Da ich jeden Tag auf einer anderen Station bin oder gezielt mit einem
Kind oder Jugendlichen was machen soll, kommen kaum persönliche Bindungen zustande. Es ist eine Herausforderung und ganz ehrlich: Einem Halsquerschnitt das Schwimmen beizubringen ist wesentlich einfacher als der Job. Diese Klinik gehört zum selben Konzern und auch wenn ich dort keine dummen Sprüche vom Personal höre, das Arbeitsklima ist ähnlich unpersönlich. Ich mach das Beste draus.

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