Der Achte

Ich wurde ja mehrmals gefragt, ob ich ständig so etwas erlebe, wie im Beitrag Sieben an einem Tag
beschrieben. Die Antwort lautet: Ständig. Wirklich ständig. Nicht täglich, aber zumindest in so kurzen Abständen, dass es eintönig werden würde, wenn ich ständig darüber schreibe. Immerhin gibt es zwischenzeitlich auch wieder tolle und nette Dinge, sie überwiegen auch,
aber gerade heute steht es mir schon wieder bis zum Hals.

Ich möchte von meiner Physiotherapie zum Bahnhof fahren, warte an der
Haltestelle auf den Bus, der soll in vier Minuten kommen. Mit mir warten noch zwei andere Leute. Der Bus kommt, der Fahrer öffnet die Tür,
senkt den Bus ab, ein Typ steht auf und will die Rampe ausklappen. Ich sage zu ihm: „Neenee, lassen Sie drin, das geht auch so!“ – Er klappt die Rampe trotzdem aus. Okay, ich fahre hinein, bedanke mich bei ihm, er
klappt hinter mir die Rampe wieder ein, ich stelle mich auf den vorgesehenen Platz, mache die Bremsen fest, Schneeflocken werden vom Wind durch die offene Tür gepeitscht…

Nichts passiert. Vorne geht die Tür ein paar Mal auf und wieder zu, hinten bleibt sie offen. Irgendwann steht die Busfahrerin auf, geht am Bus entlang zur hinteren Tür, ruckelt an der Rampe, springt ein paar Mal
darauf herum, geht wieder nach vorne, setzt sich wieder hin, steht wieder auf, kommt mit einem Handfeger nach hinten, klappt die Rampe aus und fegt mit dem Handfeger den Eingangsbereich. Ein Typ pöbelt: „Fahren wir nochmal weiter oder was?“ – Die Fahrerin antwortet: „Wenn ich die Tür zukriege, fahren wir auch weiter, ja. Im Moment klemmt hier was.“ – „Mach mal hinne da, ich hab noch Termine heute.“

Nachdem die Fahrerin gefühlte 10 Liter Sand und Streugut unter der Rampe herausgefegt hat und sie noch einmal knirschend schließt, noch einmal darauf herumspringt, noch einmal nach vorne geht, noch einmal vergeblich versucht, die Tür zu schließen, den ganzen Bus aus stellt (Licht aus, Lüftung aus, Motor aus, alles aus) und wieder neu startet, die Tür trotzdem sich nicht schließt, senkt sie den Bus wieder ab, macht
alle Türen auf und sagt über Lautsprecher: „Liebe Fahrgäste, der Bus ist kaputt, bitte steigen Sie alle aus und warten Sie auf den nächsten Bus. Es tut mir leid, aber ich kann es nicht ändern.“

Rund 40 Leute stiegen mit verdrehten Augen, unter Gemurmel und Gemurre aus dem Bus aus, stellten sich in das Glashäuschen, für mich war
leider kein Platz mehr, nur noch so, dass ich trotzdem nass wurde, die Busfahrerin spielte an der Notentriegelung herum, klappte die Tür mit der Hand zu, schloss sie mir einem Vierkant ab, startete den Bus noch einmal neu – und tschüss. Nächster Bus: In 16 Minuten. Nicht zu ändern.

„Die könnten ja wenigstens mal einen Ersatzbus schicken“, meinte der Typ, der schon im Bus rumgepöbelt hatte. Alle anderen ignorierten das. Und dann ging es los: „Und das alles nur wegen dir hier“, sagte er und funkelte mich an. Ich erwiderte: „Ja sorry, tut mir Leid, aber ich kann auch nichts dafür, wenn das Ding plötzlich kaputt geht. Ich würde jetzt auch lieber im warmen Bus sitzen und nach Hause fahren anstatt hier rumzustehen.“ – „Jaaa, schön nach Hause fahren, was? Ich komm zu spät zur Arbeit und du hast Probleme, dass du nicht schnell genug zum Mittagessen kommst.“ Er redete sich in Rage. „Ich glaub, es hackt. Wer hat denn den Bus kaputt gemacht? Ich oder du? Vor dir sind tausend Leute
eingestiegen und alles hat funktioniert und jetzt kommst du und…“

Mehrere Leute gingen bereits auf Abstand und stellten sich lieber drei Schritte weiter ins Schneegestöber. Ein Mann mit ausländischem Akzent sagte: „So komm, nu lass mal die Frau in Ruhe. Die kann nun wirklich nichts dafür.“ – „Ey, bist du ihr Vater? Willst du Stress oder was? Was mischt du dich da ein!“ – „Ist gut jetzt. Wir wollen alle keinen Stress, okay? Lass uns auf den nächsten Bus warten, mehr können wir im Moment nicht tun.“ – Ich nutzte die Chance, um mich ein paar Meter zu entfernen. Lieber voll im Schneesturm stehen als von dem noch irgendwas abzukriegen.

Der Typ kam auf mich zu, blieb zwei Meter vor mir stehen. „Schämst du
dich jetzt?“ – Ich tat so, als wenn ich ihn nicht hörte und guckte auf der gegenüberliegenden Straßenseite einem Welpen hinterher, der versuchte, die Schneeflocken einzeln mit seinem Maul zu fangen. Dann spuckte er mich an. Nun war es genug. Ich rollte rund zwanzig Meter von ihm weg. Er kam nicht hinterher. Ich beschloss, „zu Fuß“ zum S-Bahnhof zu fahren. Die Strecke ging über Kilometer bergab. Nur der Wind war etwas blöd. Aber nach fünf Minuten hörte es auf zu schneien und die Sonne schien – das war dann wohl die richtige Entscheidung. Schließlich ist draußen die Luft auch wesentlich besser als im Bus…

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