Ganz viel heiße Luft

Heute saß ich im Bus, zusammen mit Cathleen, als eine Frau, schätzungsweise Mitte 40, den roten Knopf drückte, den man drückt, wenn man an der nächsten Station aussteigen will. Als Quittung leuchtet meistens irgendwo „Wagen hält“ auf.

Der Bus hält an der nächsten Station, die Frau geht nach draußen, dreht sich um, lässt einen Fuß in der Tür stehen, wartet drei Sekunden, kommt wieder rein. Cathleen und ich schauen uns fragend an. Vermutlich hat sie zu früh gedrückt, möchte erst an der nächsten oder übernächsten Station raus.

Tatsächlich, zwei Stationen später drückt sie erneut. Der Bus hält an, sie steigt aus, lässt einen Fuß in der Tür stehen, steigt nach drei Sekunden wieder ein. Dasselbe Spiel passiert noch zwei weitere Male. Dann sagt ein Mann: „Ey, was soll der Scheiß, hast du Langeweile oder was?“ – Antwortet die Frau: „Ich muss die Luft loswerden, die mir mein Arzt heute bei der Untersuchung in den Bauch gepumpt hat. Und das mache ich lieber draußen.“

Wollten wir das jetzt alles wissen?! Diese Information ist fast genauso überflüssig wie eine Vorschrift, auf die ich neulich hingewiesen wurde. Dabei ging es auch um das Fahren mit einem Linienbus, allerdings sah ich ihn am Horizont auftauchen und wollte noch schnell die Bushaltestelle erreichen. Mit dem Alltagsrollstuhl erreiche ich natürlich nicht dieselben Geschwindigkeiten wie mit meinem Sport- bzw. Rennrollstuhl, aber rund 12 km/h sind schon drin, ohne dass ich mich anstrengen muss.

„Is verboten“, wollte mir ein Polizist, genauer gesagt ein Bürgernaher Kontaktbeamter, erklären, der an der Haltestelle auch bereits auf den Bus wartete. Ich runzelte die Stirn. „Was ist verboten?“ fragte ich ihn. Seine Antwort: „Mit dem Rollstuhl so schnell zu fahren!“ – Ich dachte erst, es wäre ein Spaß, lächelte und antwortete: „Sie meinen, hier ist eine 30-Zone?“ – „Nee, hier ist ein Gehweg.“

An seiner Miene konnte ich erkennen, dass er es bierernst meinte. „Okay“, nickte ich.

„Ich verwarne Sie jetzt mündlich gebührenfrei, sollte ich Sie aber nochmal dabei erwischen, werde ich gegen Sie eine Ordnungswidrigkeitenanzeige fertigen.“

„Das habe ich verstanden“, sagte ich. Was sollte ich dazu auch anderes erwidern? In der Tat sagt die Straßenverkehrsordnung aus, dass mit Rollstühlen überall dort gefahren werden darf, wo Fußgänger gehen dürfen, allerdings nur mit Schrittgeschwindigkeit.

Tja. Dann muss ich jetzt aufpassen, wenn ich mal wieder schnell noch einen Bus erreichen will. Vielleicht wäre es eine Alternative, aufzustehen und den Rolli schnell zu schieben? Das wäre, glaube ich, erlaubt. Obwohl… nee, dafür bin ich zu behindert.

Nachtrag vom 22.01.12, 17:20 Uhr: Es kommt ja nicht oft vor, aber hier muss es sein – ein Nachtrag. Und zwar zu der Sache mit der Schrittgeschwindigkeit: Es scheint tatsächlich mehrere Gesetzesversionen zu geben. Ich hatte, bevor ich den Beitrag verfasst habe, im Netz nachgeschlagen, was genau in der Straßenverkehrsordnung steht, und habe dabei auf den ersten Link geklickt, den die meistbenutzte Suchmaschine mir angezeigt hat. Der führte mich zu der Webseite „Verkehrsportal“ und dort steht in der Tat folgendes:

(1) Schiebe- und Greifreifenrollstühle […] sind nicht Fahrzeuge im Sinne dieser Verordnung. Für den Verkehr mit diesen Fortbewegungsmitteln gelten die Vorschriften für den Fußgängerverkehr entsprechend.

(2) Mit Krankenfahrstühlen oder mit anderen in Absatz 1 genannten Rollstühlen darf dort, wo Fußgängerverkehr zulässig ist, gefahren werden, jedoch nur mit Schrittgeschwindigkeit.

Daraus ergibt sich, dass mit Schiebe- und Greifreifenrollstühlen nur mit Schrittgeschwindigkeit gefahren werden darf. Also nicht langsamer, aber vor allem auch nicht schneller.

Frank schaute, mit meiner Geschichte von der Warnung und diesem Beitrag konfrontiert, selbst auch in die StVO, und zwar in eine von einem renommierten Fachverlag herausgegebene Gesetzessammlung. Dort stand der Text genauso wie unter der Webseite „Verkehrsportal“. Möglich, dass auch bei der Polizei die falsche Version vorliegt, möglicherweise sogar von dem selben Fachverlag, von dem auch Frank den Schinken bezogen hatte. Sehr wahrscheinlich, dass auch das „Verkehrsportal“ seine Veröffentlichung von dort bezogen hatte.

Auf der Webseite des Bundesjustizministeriums ist allerdings die wohl maßgebliche, letztlich auch viel sinnvollere Version abgedruckt. Danach darf man mit meinem Rolli rasen, aber mit anderen Rollis (Elektrorollstühle etc.) eben nicht. Wortlaut:

(2) Mit Krankenfahrstühlen oder mit anderen als in Absatz 1 genannten Rollstühlen darf dort, wo Fußgängerverkehr zulässig ist, gefahren werden, jedoch nur mit Schrittgeschwindigkeit.

Vielen Dank an den anonymen Leser für diesen Hinweis. Sollte ich also demnächst beim Rasen (mähen) erwischt werden, habe ich die beste Ausrede, die es überhaupt nur geben kann: „Herr Wachtmeister, Ihr Gesetzbuch ist kaputt.“


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