Einmal Spiegel, einmal Flucht

Endlich sind die neuen Trainingsklamotten fertig! Wir bestellen über einen Sponsor aus Sachsen, der individuell schneidert – und der schickt dann große Pakete an den Vereinssitz. Ich durfte gestern dort vorbei fahren und die beiden großen Kartons abholen. Ein netter Herr mit
Sackkarre hat mir die Kartons ins Auto geladen, ich musste nicht mal aus dem Auto aussteigen, sondern nur anrufen, dass ich vor der Tür stehe. Supi.

Als ich mein Auto wieder von Gelände zirkel (die Einfahrt ist sehr eng, das ist immer Millimeterarbeit), höre ich plötzlich ein metallisches Klacken, schaue instinktiv nach rechts und sehe den Flügel des Eisentors, der sich im Wind gelöst hat, auf meine Beifahrerseite zukommen. Oh nein. Schnell beschleunigen hätte mir vermutlich die komplette Seite zerschrammt, also tat ich instinktiv das Richtige: Bremsen. Millisekunden später: Rumms. Der Torflügel knallte mit vollem Schwung gegen mein Auto. Glück im Unglück: Er traf den rechten Außenspiegel, der weitestgehend in sich zusammenfiel. Ein Typ kam angelaufen, hielt das Tor fest, hakte es wieder ein. Ich fuhr mein Auto aus der Gefahrenzone. Nun musste ich doch noch aussteigen. In der Tat: Zu einer Berührung mit dem Lack ist es nicht gekommen. Es war „nur“ der Spiegel.

Ich ließ mir den Namen des Typen geben, der das beobachtet hatte, und
rollte in die Geschäftsstelle. Die dortige Mitarbeiterin verstand mich nicht (oder wollte mich nicht verstehen), meinte: „Wenn Sie gegen das Tor fahren, was haben wir damit zu tun? Ist es verbogen?“ – „Naja, ich habe gestanden, als das Tor sich bewegte und außerdem bin ich für den Verein unterwegs.“ – „Ja, aber Sie dürfen doch im Torbereich gar nicht stehen.“ – „Ich möchte, dass Sie das aufnehmen und Ihrer Versicherung melden.“ – „Ich kann das nicht aufnehmen, ich wüsste nicht mal, wie das geht. Fahren Sie mal nach Hause und wenn Sie dann immernoch der Meinung sind, uns trifft ein Verschulden, können Sie uns das ja schriftlich einreichen.“

Im selben Moment öffnete sich schräg hinter mir eine Glastür. Ein Herr vom Vorstand, wie immer mit Anzug, Krawatte, polierten Schuhen und irgendeiner Mappe in der Hand, wie immer in Eile. Wollte in Richtung Treppenhaus, sah mich, machte einen Abstecher in meine Richtung, streckte mir die Hand hin und sagte: „Hallo Jule, was macht der Triathlon? Geht es Ihnen gut? Ich bin gerade ein bißchen in Eile.“ – „Danke, von dem Schreck auf dem Parkplatz eben abgesehen, geht es mir gut. Ihnen auch?“ – „Mir geht es gut, danke. Was für ein Schreck?“ – „Euer Parkplatztor ist gegen mein Auto geweht. Ich hab hier gerade zwei Kartons für unser Team abgeholt.“ – „Scheiße.“ – Er wendete sich zu der Mitarbeiterin hinter dem Tresen und sagte: „Rufen Sie mal Frau … an, die
soll mal eben mit runter gehen und Fotos machen und dann gleich die Meldung für die Versicherung schreiben. Ja? Jule, das tut mir leid, aber das wird sich alles regeln. Die Kollegin meldet das unserer Versicherung. Ich bin sehr in Eile, schönen Tag noch.“ – „Danke.“

Wie das plötzlich alles funktioniert, wenn man nur den richtigen fragt… Da wurde brav eine Versicherungsanzeige aufgenommen, Fotos gemacht, und am Ende stellte sich noch raus, dass der Zeuge für den Verein den Rasen mäht. Ich bekam eine Kopie der Meldung und fuhr mit einem kaputten Außenspiegel zum nächsten Termin. Stellte mein Auto an der Willy-Brandt-Straße in einer Parkbucht ab und kletterte, um nicht im
fließenden Verkehr zu landen, quer durch mein Auto und stieg durch die Schiebetür auf der Beifahrerseite aus.

Vier Stunden später kam ich wieder zu meinem Parkplatz. Dachte ich. Oder? Hier müsste doch mein Auto stehen. Wo ist es geblieben? Ich überlegte hin und her, ob ich es wirklich dort abgestellt hatte. Hatte ich einen Filmriss? Bin ich bescheuert? Falsche Straßenecke? Ich fuhr ein Stückchen weiter, aber je weiter ich fuhr, um so sicherer war ich mir, dass ich genau dort geparkt hatte, wo jetzt ein Golf stand. Okay, das auch noch: Abgeschleppt. Vermutlich konnte wieder irgendeiner meinen Ausweis nicht entdecken in der großen Windschutzscheibe oder kannte die
Regel nicht, dass man mit dem Behindertenausweis am Parkscheinautomaten keinen Parkschein lösen muss.

Okay, zwei Kilometer an der frischen Luft zum nächsten Polizeikommissariat sollten mir gut tun. „Was, wenn mein Auto geklaut wurde?“, fragte ich mich. Und schob den Gedanken schnell wieder zur Seite. Vor der Polizeiwache waren rund 10 Stufen, aber es kam jemand raus und öffnete ein Rolltor, durch das ich in das Gebäude kam. Ich musste mich einen Moment gedulden, dann kam ich dran. Ich bemühte mich, cool zu bleiben. „Ich suche mein Auto. Dort, wo ich es abgestellt hatte, ist es nicht mehr.“ – „Wo haben Sie es denn abgestellt?“ – „Willy-Brandt-Straße, Höhe Gröninger.“ – „Wohnen Sie dort?“ – „Nein.“ – „Dann hätten Sie doch nicht extra hierher kommen müssen. Nächstes Mal rufen Sie an, dann schicken wir einen Streifenwagen.“ – „Ist schon okay so, bißchen Bewegung schadet nicht.“ – „Ich sehe hier: Ihr Fahrzeug wurde abgeschleppt. Das hat den fließenden Verkehr behindert.“ – „Bitte was?“ – „Haben Sie vielleicht die Handbremse nicht angezogen?“ – „Das ist ein Automatikfahrzeug und man bekommt den Zündschlüssel nur raus, wenn man auf ‚P‘ stellt. Also ausgeschlossen.“ – „Ich frage bei den Kollegen mal nach, die das veranlasst haben. Kleinen Moment.“

Der Typ verschwand, einen Moment später kam ein anderer Typ aus einer Tür. „Sind Sie die Halterin von dem Viano?“ – Ich nickte. – „Ja, Ihr Fahrzeug mussten wir abschleppen. Können Sie mir kurz sagen, wann Sie das Fahrzeug dort abgestellt haben und wie?“ – „Naja, wann, vor etwa vier Stunden und wie … auf dem Parkplatz halt. Ganz normal.“ – „Das Fahrzeug stand nicht auf der Fahrbahn, oder?“ – „Natürlich nicht.“ – „Sicher?“ – „Sicher. Ich bin über die Beifahrerseite ausgestiegen und habe extra dicht am Bordstein geparkt, damit das mit dem Rollstuhl klappt ohne dass ich mich auf die Nase lege.“ – „Hatte ihr Fahrzeug irgendwelche Schäden, als Sie das abgestellt haben?“ – „Nö. Keine. Doch,
der Außenspiegel rechts ist kaputt.“ – „Rechts oder links?“ – „Rechts. Wieso?“ – „Also auf der Beifahrerseite oder auf der Fahrerseite?“ – „Beifahrerseite. Da ist vorhin ein Tor gegen geweht. Das ist auch aufgenommen worden von demjenigen, der vermutlich dafür aufkommen muss.“

„Also. Bei anderen würde ich sagen: ‚Setzen Sie sich erstmal hin.‘ Aber Sie sitzen ja schon. Wir haben Ihr Auto sichergestellt, genauso wie den Opel Omega davor. So wie es aussieht, ist ein größeres Fahrzeug, vermutlich ein Lkw, gegen Ihr Auto gefahren und hat es erheblich beschädigt und auf das davor stehende Fahrzeug aufgeschoben. Das ist die schlechte Nachricht. Und die noch schlechtere: Der Verursacher ist flüchtig. Vielleicht war es ein großes oder schweres Fahrzeug mit Anhänger und der Fahrer hat es nicht mitbekommen, vielleicht liegt auch eine Flucht vor.“ – „Na super. Was heißt ‚erheblich beschädigt‘?“ – „Nun, ich bin kein Gutachter, aber ich würde mal tippen: Totalschaden. Haben Sie eine Vollkasko?“ – „Der Schaden ist weniger das Problem als die Tatsache, dass das das zweite Auto innerhalb eines Jahres ist, das mir einer komplett zerlegt und dass ich ohne Auto kaum mobil bin.“

Ich musste mit in einen Nebenraum, dann sollte meine Aussage aufgenommen werden. Während wir schrieben, wann und wo ich wie das Auto abgestellt hatte, kam der Typ plötzlich rein, mit dem ich als erstes gesprochen habe. „Kommst du mal?“, fragte er den Kollegen. Als dieser wieder reinkam, meinte er: „Es gibt doch noch eine gute Nachricht. Die Kollegen haben Videobänder gesichert, auf denen der Crash zu sehen ist. Ob das Kennzeichen zu erkennen ist, weiß ich nicht, aber das Fahrzeug gehört wohl zu einer Spedition. Das nimmt jetzt alles seinen Lauf und es gibt gute Chancen, den Fahrer zu ermitteln. Sie sollten sich auf jeden Fall einen Anwalt nehmen.“

„Was unternehmen Sie denn jetzt?“ – „Man wird jetzt erstmal grob die Videobänder sichten und so genannte Prints erstellen und dann die Spedition aufsuchen und dort nach dem Fahrzeug Ausschau halten.“ – „Wann
passiert das?“ – „Na ich schätze mal, die Kollegen werden da schon vor Ort sein. Der Schaden ist ja schon erheblich.“

Genau. Erheblich. Meine persönlichen Sachen durfte ich noch nicht bekommen, aber mich rief heute, also am Tag danach, ein Gutachter an, der etwas über den Behindertenumbau wissen wollte. „Haben Sie davon noch
Rechnungen?“, fragte er mich. Auf meine Nachfrage meinte er, dass er sich vor Ende seiner Arbeit nicht zur Sache äußert, aber nach dem ersten Anschein ist es ein Totalschaden, da die gesamte Karrosserie sich verzogen und in sich verdreht hat.

Als ich heute beim Verkehrsunfalldienst anrief, wo der Fall inzwischen liegt, meinte der Sachbearbeiter, dass man auf jeden Fall das Unfallfahrzeug ermittelt und sichergestellt hätte, so dass es auch einen Haftpflichtigen gibt. Der Fahrer, der laut Fahrtenbuch gefahren sein soll, behauptet zwar im Moment, er sei gar nicht gefahren, aber es ist natürlich fraglich, ob ihm das weiterhilft. Ein Kollege von Frank hat heute von mir die Unterschrift bekommen, um mich zu vertreten.

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