Das Gutachten über Marias Pflegebedarf ist derzeit beim Gutachter. Der Gutachter begutachtet also das Gutachten und hat eine weitere Gutachterin, dieses Mal eine Sozialarbeiterin, mit der Abgabe eines (weiteren) Gutachtens beauftragt. Der Gutachter möchte also mithilfe verschiedener Gutachten zu einer Art Obergutachten kommen, in der er abschließend (?) eine eigene Empfehlung abgibt.
Die Begutachtung fand gestern statt, Maria bat mich, erneut dabei zu sein. Die Sozialarbeiterin, schätzungsweise um die 50, war nett und hat sich insgesamt über zwei Stunden lang mit Maria beschäftigt. Geschätzte 100 Fragen hat sie ihr gestellt und wollte alles ganz genau wissen. Am Ende sagte sie, dass sie noch in dieser Woche eine Empfehlung schreiben wird. Damit muss nun die Frage erlaubt sein, wieviele Empfehlungen es noch braucht, bis das Verfahren zu einem Ende kommt.
Es geht Maria gut bei uns. Sie kommt mit ihrem Leben zurecht, auch ohne dass ihr jemand den Tagesablauf strukturiert. Die Kosten, die auf ihre Assistenz und Pflege entfallen, sind angemessen und werden sinnvoll
eingesetzt. Davon bin ich persönlich überzeugt.
Anders ist das zum Beispiel in anderen Einrichtungen. Ich spreche natürlich sehr viel mit meinen Freundinnen und Freunden und mit anderen Leuten aus der Szene über das, was mich bewegt und was ich hier auch aufschreibe, und habe in dem Zusammenhang einen Betreuungsvertrag zugespielt bekommen, wie er für ein so genanntes Service-Wohnen bei einem (anderen!) Hamburger Dienstleister üblich ist. Mir fielen fast die Augen aus.
Service-Wohnen ist eine Art des Betreuten Wohnens, bei dem -anders als in unserer Wohngemeinschaft- ein regelmäßiger Betreuungsservice „für den Notfall“ vorgehalten wird. Während bei uns einige Leute ohne Assistenz nicht zurecht kämen, richtet sich Servicewohnen vorwiegend an ältere Menschen, die einfach eine Sicherheit haben wollen, dass sie im Notfall sofort jemanden erreichen und dass jemand da ist, wenn sie alleine sind oder im Alltag mal einen Tipp oder einen Ratschlag brauchen.
Das soll heißen: In einem Haus sind 20 Seniorenwohnungen und unten gibt es ein Büro, in dem zweimal pro Woche für ein paar Stunden eine Sozialarbeiterin sitzt, die einem erklärt, was die Krankenkasse einem geschrieben hat, ob man den neuen Pullover mit der Hand waschen sollte, woher man seine neuen Stützstrümpfe bekommt und wo man Essen auf Rädern bestellen kann, die im Notfall den Hausarzt anruft oder einen Angehörigen, die unter das Bett krabbelt, wenn einem der Ohrring runtergefallen ist oder die einem ein Zugticket ordert, wenn man zur Golden Hochzeit seiner Schwester reisen will. Also einfach alles das, was man seinen Sohn oder seinen Enkel fragen würde, würde er denn regelmäßig zu Besuch kommen.
Pflegeleistungen oder hauswirtschaftliche Leistungen sind (bis auf dreimal pro Jahr Fenster von außen putzen) nicht enthalten. Bei Menschen über 60, die mittellos sind, zahlt das Sozialamt im Regelfall diese Grundleistungen, wenn sie beantragt werden und wenn mit einem Leistungserbringer ein Vertrag nach vorgegebenen Muster abgeschlossen wird: Für einen Zwei-Personen-Haushalt im Monat rund 67 €. Soweit, so gut.
Nein wirklich, die Idee, die dahinter steckt, finde ich gut. Im Alter jederzeit jemanden zu haben, den man ansprechen kann, wenn man eine Frage hat oder der einem hilft, wenn einen die junge, schnelle Welt überfordert, kann Gold wert sein.
Ein jüngerer Mensch mit Behinderung wird sich so einen „Grundservice“ nicht buchen. Meistens braucht er pflegerische Hilfe oder konkrete Hilfestellungen im Haushalt, dann bucht und koordiniert er die auch konkret. Oder er kann seine Hilfe nicht alleine koordinieren, dann kommt er nicht mit diesem Hintergrund-Basisangebot aus. Das heißt: Diese Angebote richten sich fast ausschließlich an ältere Menschen.
Und die kann man ja bekanntlich leichter abzocken. Mit ziemlich dreister Masche, wie ich aus dem mir zugespielten Betreuungsvertrag eines Hamburger Anbieters für Service-Wohnen ableite. Man koppelt einfach die monatlichen Beträge, die der Senior an das Unternehmen zu zahlen hat, an den jährlich neu festgelegten Maximalbetrag der Sozialhilfe und behauptet dann im Gespräch, dass es sich bei dem Betrag um den von der Behörde genehmigten oder den von der Behörde festgelegten Betrag für diese Leistungen handelt. Im Vertrag nimmt man sogar den Passus auf, der Betrag „richtet sich nach den Grundsätzen für das Betreute Wohnen der Freien und Hansestadt Hamburg, Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, in der jeweils gültigen Fassung. Ändert sich dessen Höhe, so wird dieses dem Bewohner einen Monat im Voraus schriftlich mitgeteilt.“
Auf der anderen Seite dünnt man aber die Leistungen aus, die die Behörde als Mindestleistungen bei den von ihnen bezahlten Verträgen fordert. Das heißt: Es ist zwar der von der Behörde veröffentlichte Maximalbetrag für die Grundversorgung im Betreuten Wohnen zu zahlen, man bekommt aber nicht die Leistungen, die die Behörde dafür einfordern würde. Schließlich ist davon nie die Rede in dem Vertrag, im Gegenteil, im Anhang stellt man einfach andere Leistungen dar. Man suggeriert also einerseits, es handelt sich um eine mit den beaufsichtigenden und genehmigenden Behörden ausgehandelte Leistungsform, kann sich im Streitfall aber jederzeit darauf berufen, dass nur der Betrag an die Verträge des Sozialamtes angepasst ist. Die Leistungen ergeben sich hingegen aus einer besonderen Anlage.
Das wäre ja alles nicht so schlimm, würde man wenigstens (andere) Leistungen erhalten. Für 67,15 € pro Monat (800 € pro Jahr!) erhält man jedoch bei diesem Anbieter
– während der Sprechzeit mittwochs von 9 bis 11 Uhr:
1. Beratung in persönlichen Angelegenheiten (auch mit Angehörigen)
2. Beratung bei der Suche nach einem geeigneten Pflegeplatz
3. Hilfestellung bei Anträgen
4. Vermittlung von Hilfsdiensten und Menüdiensten
5. Vermittlung von ambulanten Diensten, Kurzzeit- und Tagespflegeeinrichtungen
6. Benachrichtung von Angehörigen und Ärzten im Krankheitsfall
7. Vermittlung von Krankentransporten
8. Kontaktvermittlung bezüglich Pflegehilfsmitteln
9. Kleinere nicht regelmäßig wiederkehrende Hilfestellungen in besonderen Fällen
10. Anregung von Kontakten der Bewohnern untereinander
Okay. Spätestens jetzt wird jeder halbwegs vernünftige Mensch den Kugelschreiber wegpacken und sagen: „Das unterschreibe ich nicht.“ – Wäre da nicht … richtig! Die Wohnungsnot. Viele alte Menschen suchen barrierefreie Wohnungen in Hamburg. Weil sie mit ihrem Rollator die Stufen nicht mehr hoch kommen oder in einem Altbau ohne Aufzug gewohnt haben. Sie bekommen (meistens nach Monaten bis Jahren Wartezeit) von der Behörde eine seniorengerechte Wohnung im Sozialen Wohnungsbau angeboten und wenn sie diese Wohnung haben wollen, sind sie verpflichtet, diesen Betreuungsvertrag abzuschließen. Sie haben keine Wahl: Der Mietvertrag ist mit diesem Betreuungsvertrag gekoppelt. Und dazu kommen in diesem konkreten Fall monatlich noch 57,85 € für ein verpflichtendes Hausnotrufsystem.
Das heißt: Monatliche Nebenkosten 125 €. Wofür? Für nix. Okay, nicht ganz, das Hausnotrufsystem macht ja durchaus noch Sinn. Wenn es in diesem Fall auch überteuert ist. Aber die Basisleistungen? Insbesondere die Punkte 6 und 7 treten jawohl nicht nur am Mittwoch zwischen 9 und 11 auf oder haben bis dahin Zeit. Der Punkt 2 kommt nur einmal kurz vor Auszug zum Tragen. Der größte Rest ist Unsinn, lediglich die Punkte 1 und 3 machen aus meiner Sicht noch einen gewissen Sinn. Aber wenn man dann 2 Stunden pro Woche für 20 Haushalte ansetzt, kann sich jeder vorstellen, wie die Beratung ausfällt.
Vielleicht muss man aber, wenn man eine Service-Wohnung (Seniorenwohnung) haben möchte, einfach so frech sein und die Kosten an das Sozialamt wegdrücken. Würde das denn zahlen… In dem konkreten Haus gibt es genügend Personen, die wegen kleiner Rente fast mittellos sind, aber das Sozialamt übernimmt aus diesen Betreuungsverträgen keinen Cent, denn: Sie umfassen ja nicht mal die Mindestleistungen. Und für einen Hausnotruf werden zudem höchstens rund 20 Euro übernommen. Kurzum: Wer eine mit öffentlichen Mitteln geförderte Seniorenwohnung anmieten will, sollte sich sehr genau über die Rahmen- und Vertragsbedingungen informieren, denn schwarze Schafe gibt es in dieser Branche definitiv!