Cathleen, Nadine, Kristina, Merle, Marie und ich standen im überdachten Bereich der Sportanlage neben unseren Rennrollstühlen und überlegten zusammen mit Tatjana, unserer Trainerin, noch einmal, ob wir es wirklich wagen sollten. Sie hatte einen Trainingsplan für uns geschrieben, war eigentlich davon ausgegangen, dass mehr Leute kommen würden zu unserer nächtlichen Trainingseinheit, aber bei diesem bescheuerten Wetter waren nur die harten Kämpferinnen da. Selbst bei den
parallel trainierenden Fußgänger-Triathleten lief alles auf Sparflamme.
Vier Grad über Null und Regen. Zwar kein Wind und es schüttete auch nicht (wenngleich es eindeutig mehr war als leichter Nieselregen) – aber
dennoch konnten sich alle etwas schöneres vorstellen. Andererseits: Wenn wir schonmal hier sind, um diese Zeit den langen Weg zum Elbdeich auf uns genommen haben, dann sollte man auch durchstarten. Schließlich kann man sich im Wettkampf das Wetter auch nicht aussuchen.
Tatjana gab uns unsere Trainingsaufträge, bekam dann aber von uns die
Bitte, vor Ort zu bleiben und Tee zu kochen. Bei dem Wetter mit Funk im
Ohr und Begleitfahrzeug zu trainieren, wäre eine absolute Zumutung geworden, zumal die meisten von uns wegen der langen Winterunterbrechung
sowieso erstmal wieder in ihre Form zurückfinden mussten. Dass die fetten kalten Tropfen aus dem Helm über den Kopf laufen oder direkt in den Nacken tropfen, ist ja eine Sache, dabei aber noch einen Knopf im Ohr zu haben, über den ständig Wasser ins Ohr tropft und dazu führt, dass man irgendwann noch ein Knistern und Knacken im Ohr hat und nichts mehr versteht und alles juckt – bäh nee *schüttel*
Wir sollten ganze 150 Minuten unsere Ausdauer nach einem festen Schema hinter dem Ofen hervor locken. Da wir uns auf den kleinen Kurs verständigt hatten, würden wir etwa ein Dutzend Mal bei Tatjana vorbei kommen und hätten dann jeweils gerne heißen, aber dennoch sofort trinkbaren Tee zum Aufwärmen. Man durfte echt nur wenige Sekunden anhalten und musste sofort weiter, ansonsten fing man zu frieren an. Und
Frieren ist bekanntlich ein böser und hinterhältiger Feind von Bewegen.
Nein, der Regen hörte nicht auf, nach zwei Stunden kam ich mir vor wie ein aufgeweichtes Stück Brot, komplett nass bis auf die Knochen, sah
von dem an den Rädern hoch spritzenden Schmutz aus wie nach einem Schlamm-Catch-Wettbewerb und freute mich auf die warme Dusche und auf mein Bett. Dennoch empfand ich das Training als das beste des letzten halben Jahres und es hat unter Garantie richtig viel gebracht. Nach 45 Minuten hatte ich mal für kurze Zeit den Moment, in dem mich mein Körper
zum Aufgeben überreden wollte, aber danach lief alles wie von selbst.
Als wir zu sechst unter den Duschen standen bzw. saßen und ich endlich den ganzen Sand aus den Haaren, der Nase und den Ohren gespült hatte, habe ich endlich seit langer Zeit mal wieder dieses positive Gefühl der körperlichen Erschöpftheit in mir gespürt. Nicht völlig fertig, sondern ein wohliges „ich habe was geschafft“. Und ich spürte, obwohl und vielleicht gerade weil niemand redete, dass es den anderen genauso ging. Und diese ruhige und entspannte Stimmung hätte noch endlos
so weitergehen können, wäre da nicht plötzlich die Alarmanlage eines Autos losgegangen, nachdem bereits auf dem Parkplatz das Licht durch den
Bewegungsmelder eingeschaltet worden war. Tatjana, die natürlich nicht mit unter der Dusche war, rannte durch den Flur und sah am anderen Ende des Grundstücks einen Typen weglaufen. Was der wollte, wissen wir nicht.
Das trötende Auto war unbeschädigt, Radio war sowieso nicht drin, vielleicht hatte er es auf den pitschnassen Rennrolli abgesehen. An den anderen Fahrzeugen war auch nichts zu sehen.
Ich frage mich zwar, was jemand mit einem Rennrolli will, da es sich um Maßanfertigungen handelt, aber in letzter Zeit werden diese Dinger verstärkt geklaut. Vor drei Wochen gerade haben zwei Typen in Hannover (vor genau jener Sportakademie, in der wir auch schon mehrmals zum Trainingslager waren) einem Basketballspieler seinen 14 Tage alten Sportrolli aus dem Kofferraum geklaut, während er auf dem Fahrersitz saß
und auf seine Mitspielerin wartete, die noch in der Halle war. Kofferraum auf und tschüss. Zwei windige Typen, die sich sicher sein konnten, dass er als Querschnittgelähmter gewiss nicht hinterher rennt.
Tja, wenn schon Inklusion, dann doch ganz. Warum sollte man Rollstuhlfahrer nicht auch bestehlen? Die Behinderten haben es mit ihrem
ständigen Geschrei nach Eingliederung in die Gesellschaft doch nicht anders gewollt.